Tradition und Gegenwart sind bei „Futura Pizza" seit einem Jahr eng miteinander verwoben. Pizzaiolo und Mitbetreiber Alessandro Leonardi sieht zu, dass original Neapolitanisches blitzgebacken aus dem Ofen auf die Teller kommt.
Dienstagabend, 20 Uhr. Alle Tische sind besetzt. Auch am Tresen wird gegessen, Wein getrunken und auf die Take Aways gewartet. Drei, vier Kellnerinnen und Kellner schlängeln sich durch das große, volle und betriebsame Ecklokal, balancieren Gläser, Teller und Schüsseln. Aus der offenen Küche im Hintergrund ist der orangefarben glühende Schlund des Pizzaofens zu sehen. Die Pizzaioli schieben und ziehen die neapolitanischen Pizzen flott hinein und hinaus. Der wohlige Duft von frisch gebackener Pizza weht immer wieder durchs Lokal: Willkommen bei „Futura Pizza"!
Die Pizza der Zukunft, wie die Betreiber Alessandro Leonardi und Alexander Uhlmann ihr Lokal in der Bänschstraße genannt haben, ist in der mehr als 250 Jahre alten Tradition der neapolitanischen Pizza verankert. Alessandro Leonardi sorgt dafür, dass das auch so bleibt: Erstens ist er Neapolitaner. Der strenge Blick auf die Qualität der aus der Gegend um Neapel angelieferten Zutaten wie San-Marzano- und Corbara-Tomaten mit DOG- und DOP-Herkunftssiegeln oder auf den in 500 Metern Höhe am Golf von Neapel gereiften Fior-di-Latte-Käse ist damit garantiert.
Zweitens ist er ausgebildeter Pizzaiolo. Er lernte das Zubereiten des Pizzateigs von sieben Lehrern. Er sagt: „Ich mache immer wieder Kurse mit." So wird der Hefeteig für den Boden in einer alten Bäckereimaschine geschlagen. Sie ahmt mit ihren „Armen" die menschlichen Handbewegungen nach und arbeitet „mit Schwerkraft, nicht mit Druck". Danach ruht der Teig über Nacht, bevor er belegt und bei 430 bis 480 Grad maximal eine Minute gebacken wird. Leonardi lernte unter anderem bei Meister Piergiorgio Giorilli und ist nach den Kriterien der AVPN, der „Associazione Verace Pizza Neapoletana", zertifiziert.
Das Originale aus Süditalien nach Berlin umzutopfen kann sich als schwere Aufgabe erweisen. „So ein Ofen wiegt 2,5 Tonnen", sagt Leonardi. „Er stammt aus der kleinen Manufaktur ‚Stefano Ferrara‘ in Neapel. Sie stellen nur 100 Öfen im Jahr her." Das bedeutete: Für die Anlieferung war ein Schwertransport nötig. In dem Ecklokal im nordöstlichsten Friedrichshain mussten die Holzdielen fürs Einbringen in die Küche eigens stabilisiert und der Boden verstärkt werden. Das alles bedeutete auch viel Aufwand und hohe Kosten. Dennoch ist eine Pizza bei „Futura" keine unbezahlbare Angelegenheit. Die Fresca ist mit 13,90 Euro die teuerste, die Margherita mit 8,80 Euro am günstigsten. Alessandro Leonardi ist die Vermittlung der neapolitanischen Pizza-Tradition jenseits von maximalem Gewinn wichtig: „Ich wollte mit der Pizza etwas aus meiner Heimat nach Berlin bringen. Ich bin ein Botschafter unserer Kultur." Die „Kunst des neapolitanischen Pizzabackens" wurde immerhin 2017 in den Katalog des immateriellen Unesco-Weltkulturerbes aufgenommen. Kulinarische Auswüchse wie Salami mit Zwiebeln oder Tomaten-Käse-Belag mit Knoblauch bei der Margherita kommen Leonardi nicht auf die Pizza. „Dann würde man Tomaten, Käse und Basilikum in ihrem Geschmack töten", merkt der sardische Feinschmeckerfotograf sogleich an. Allein die Marinara mit gelben, grünen und roten Datteltomaten darf bei „Futura Pizza" traditionsgemäß eine Knoblauchzehe obenauf haben.
Botschafter der Pizza-Kultur
Wir sind neugierig geworden, hungrig sowieso und durch unser Gespräch präpariert. Dennoch sind wir verblüfft, wie flott Margherita Futura, eine Salame, Marinara und Fresca vor uns stehen. Die kurze Backzeit sorgt für rasches Servieren. Wir schneiden Tortenstücke zum Probieren heraus. Die Margherita Futura mit einem Belag aus San-Marzano-Tomaten, Mozzarella di Bufala DOP, einigen wenigen, dafür aber umso aromatischeren Basilikumblättern und Olivenöl extra vergine erweist sich mit dem Extra-Käse vom Provolone de Monaco DOP als ausgesprochen zukunftsfähig. Jedes Produkt ist einzeln präsent, intensiv und exakt passend in genau dieser Kombination. „An der Margherita kannst du die Qualität der Zutaten erkennen", spricht die Foodie-Freundin.
Wen wundert’s, dass die um den würzigen Provolone ergänzte Margherita Futura der Favorit von Alessandro Leonardi selbst ist? Die San-Marzano-Tomaten ordert er ein Jahr im Voraus. „Diese Tomaten werden extra für mich angebaut." Freunde in Neapel halten den Kontakt zu den Bauern und stellen sicher, dass vor Ort alles genau so geschieht, wie es in Berlin gewünscht wird. Für die Pizzen werden die Tomaten in der Küche von Hand ausgequetscht, keinesfalls maschinell gehäckselt. Ihr Wassergehalt soll am Schluss bei 60 Prozent liegen. Das gewährleistet, dass beim kurzen Backen die optimale Feuchtigkeit erzielt wird und nichts verbrennt. Bei der Marinara dürfen grüne Corbarí und gelbe Kirschtomaten von Sapori di Corbara aus der gleichnamigen Gegend sowie rote Pomodori di Collina der Firma Dama auf den Boden. Die roten Flaschentomaten wuchsen auf 350 Metern Höhe und bringen ihr sonniges Höhenaroma auch in der Dose mit nach Berlin. Die Marinara hat eine säuerlichere bis sogar leicht bittere Note im Belag.
Wir verhalten uns wie reiche Neapolitaner vor gut zwei Jahrhunderten, als sie das Fladenbrot mit Tomaten und Käse für sich entdeckten: Wir lassen den Rand liegen. „Die Reste wurden damals für die Armen aufgehoben", weiß Leonardi. Das Nicht-Aufessen hat bei uns nichts mit dem Geschmack, sondern nur mit den Kapazitäten zu tun. Der wulstige und fluffige Rand ist so lecker wie frisch gebackenes Hefebrot eben ist. Aber wir haben die „Mission Probieren" zu erfüllen. Sie endet bei vier Pizzen und einer Vorspeise für drei schnell genug in Sättigung.
Der Fotograf und ich sind „Team Salame". Zu den San-Marzano-Tomaten, Basilikum und Olivenöl gesellen sich ein Fior di Latte – ein Kuhmilch-Mozzarella – und eine leicht angeschärfte und in Streifen geschnittene neapolitanische Salami. Das macht die Pizza flott und trifft unseren Geschmack. Aber auch die Fresca, die nach dem Backen mit großen aromatischen Rucolablättern, Culatello-Schinken, einer Büffelmozzarella-Kugel und Pecorino Romano belegt wurde, macht so viel Spaß, dass wir uns gern den beim besten Willen nicht zu schaffenden Rest in einer Doggy Bag mitgeben lassen.
„True Italian Pizza Week" im April
Die Fresella mit leuchtend roten Datteltomaten auf doppelt gebackenem Brot ist nicht nur optisch der Knaller. Das knusprige Brot im Zwieback-Style für die Vorspeise ist hausgemacht. Dieser Brot-Untergrund ist mit einem üppig mit Olivenöl, Knoblauch und Oregano angemachten Tomatensalat de luxe belegt. Rote Tropea-Zwiebeln sorgen für milde Schärfe, ein Mozzarella di Bufala für frische, milchige Cremigkeit, und die Tomaten sind süß wie mitten im Sommer. Ich sage: „Das ist Pizza in kalt. Wie erfrischend!" Der Fotograf sagt: „Es erinnert mich an den Tropea-Salat, den meine Mutter immer macht." Kann es ein größeres Kompliment geben, als dass eine Mahlzeit Heimatgefühle ein paar Tausend Kilometer entfernt aufkommen lässt?
Für alle, die keine italienische Mamma haben, gibt’s fürs Hauptstädter-Heimatgefühl die Berlino-Pizza: Deutsche Kartoffel vereint sich mit angeschärfter geräucherter Pancetta und Fior di latte-Mozzarella, Tropea-Zwiebeln, Pecorino Romano und Rosmarin auf dem Friedrichshainer Boden. Die mit zwölf Sorten übersichtliche Karte hält – wie es sich in Berlin gehört – überwiegend vegetarische Pizza bereit. Auf der Tageskarte wird eine saisonal und mit regionalen Zutaten belegte Pizza angeboten. Bei unserem Besuch ist es eine La Barola mit Büffelmozzarella, karamellisierten Zwiebeln, schwarzen Oliven und Testun al Barolo, einem mit Barolo-Trester behandelten, piemontesischen Hartkäse. Auf all das einen Schluck Weißwein: Mit dem Pecorino Colline Pescaresi 2017 von La Valentina tummeln wir uns auf dem Boden der Abruzzen und Berlins zugleich.
Demnächst lohnt sich ein Blick auf die Karte bei „Futura Pizza" und vielen weiteren Lokalen ganz besonders: Bei der „True Italian Pizza Week" vom 23. bis 29. April bieten 30 Pizzerien eine Special-Pizza, ein Glas Aperol Spritz oder ein alkoholfreies Getränk für zwölf Euro an. Eine bessere Gelegenheit, Italien komprimiert auf den Teller zu bekommen, dürfte sich in Berlin kaum bieten.