Polizei und Justiz haben Wichtigeres zu tun, als Kiffer zu jagen. Deshalb fordert Niema Movassat, drogenpolitischer Sprecher der Linken, eine Entkriminalisierung von Cannabis nach dem Vorbild der spanischen Region Katalonien. Die deutsche Drogenpolitik hält er für zu „ideologisch“.
Herr Movassat, ist die Drogen-Verbotspolitik in Deutschland gescheitert?
Das Ziel einer Verbotspolitik besteht darin, für Abschreckung zu sorgen und Menschen daran zu hindern, das Verbotene auszuführen. Wenn man diese strafrechtlichen Kriterien auf die Drogenpolitik legt, fällt auf, dass wir seit Jahren steigende Zahlen bei Drogendelikten haben. Wir haben vier Millionen Menschen in Deutschland, die gelegentlich oder regelmäßig Cannabis konsumieren. Im Hinblick auf diese Zahlen kommt man zu dem Schluss, dass die Verbotspolitik gescheitert ist. Sie trägt nicht dazu bei, dass weniger Menschen Drogen konsumieren. Im Gegenteil, die Zahl der Konsumenten steigt weiter an. Eine Drogenpolitik, die das ernst nehmen würde, würde umsteuern.
Wäre damit die Legalisierung von Cannabis nicht längst überfällig?
Das stimmt, die Legalisierung von Cannabis ist tatsächlich längst überfällig. Vor allem, weil das Verbot auch niemanden vom Konsum abhält. Das ist eine Tatsachenfeststellung. Und dabei geht es nicht nur um Cannabis, alle Arten von Drogen werden konsumiert und sind auch ohne große Probleme erhältlich. Und genau an diesem Punkt scheitert auch die Drogenpolitik. Bei Cannabis muss man dazu natürlich sagen, dass es nicht unbedingt nur um das Scheitern der Verbotspolitik geht. Es geht vor allen Dingen darum, dass diese Verbotspolitik auch keinen logischen Sinn hat.
Wie meinen Sie das?
Wenn es beispielsweise um den Gesundheitsschutz geht, muss man einfach festhalten, dass der Tabak- und Alkoholkonsum wesentlich gesundheitsgefährdender ist als Cannabiskonsum.
Jedes Jahr sterben 120.000 Menschen durch Tabakkonsum und 70.000 Menschen durch Alkoholkonsum. Durch Cannabis ist noch niemand gestorben. Wenn man das in ein Verhältnis setzt, gibt es keinen logischen Grund, Cannabis als gefährlich einzustufen und zu verbieten. Es ist nicht gefährlicher als Alkohol und Tabak.
Und doch bleibt Cannabis illegal ...
CDU/CSU betreiben seit Jahrzehnten eine ideologische Drogenpolitik. Alkohol wird zum Kulturgut stilisiert, Cannabis verteufelt. Die größten Drogenkonsumorte in Deutschland sind die bayrischen Bierzelte, das wird aber ignoriert. Und die Weigerung, diese Fakten zur Kenntnis zu nehmen, dient als Schutz für die Tabak- und Alkoholindustrie. Es kommt so kein anderer legaler Konkurrent auf den Markt, der noch dazu ungefährlicher ist.
Inwieweit würde sich der Schwarzmarkt nach der Legalisierung verändern?
Man nimmt ja immer an, dass Polizei und Justiz die großen Dealer und die Drogenmafia verfolgen. Das stimmt nicht. 80 Prozent der Ermittlungstätigkeiten bezieht sich auf konsumnahe Delikte. Das sind solche Fälle, in denen man mit ein paar Gramm Gras in der Tasche erwischt wurde. Es bindet gleichzeitig die Ressourcen von Polizei und Justiz massiv. Deswegen gibt’s vom deutschen Richterbund Forderungen, Cannabis zu entkriminalisieren.
Das würde auch zusätzliche Steuergelder in die Kassen spülen …
Bei einem legalisierten Markt würde es natürlich auch Steuereinnahmen geben.
Bisher überlässt man diese dem Schwarzmarkt. Und der Schwarzmarkt fragt nicht nach dem Alter der Konsumenten.
Cannabis wird auch an Kinder und Jugendliche verkauft. Würden wir den Markt staatlich regulieren, würde es uns auch einen zusätzlichen Schutz geben. Und das ist das Kernargument für die Legalisierung von Cannabis – der Jugend- und Gesundheitsschutz der Konsumenten. In einem legal verkauften Markt weiß der Konsument, was in seiner Droge drin ist, wie viel Prozent THC die Droge hat und dass sie frei ist von Streckmitteln.
Gibt es bereits Umsetzungsmodelle, die sich bei der Legalisierung von Cannabis bewährt haben?
Das Model, das mir hier persönlich vorschweben würde, wäre ein sogenannter Cannabis Social Club. Das gibt es bis jetzt nur in Katalonien, also in Spanien. Ein solcher Club ist nicht profitorientiert und wird von Mitgliedern betrieben, die für ihren Eigenbedarf Cannabis anbauen oder es anbauen lassen.
Dabei werden zwar keine Steuereinnahmen erzielt, weil sie ja für ihren Eigenbedarf anbauen, gleichzeitig würde der Club aber auch nicht unter dem Druck stehen, Geld damit zu verdienen wie es auf dem profitorientierten Markt der Fall ist. Zudem kann man solche Clubs auch sehr gut mit Hilfsangeboten verbinden und damit die Menschen tatsächlich erreichen, die Probleme mit dem Konsum haben.
Was sagen Sie zum System in den Niederlanden?
In den Niederlanden gibt es ja keine Legalisierung. Es ist eine Toleranzpolitik, ähnlich wie in Kanada. Das Hauptproblem dabei ist, dass Cannabis erst legal ist, wenn es im Geschäft ankommt. Der Weg bis zum Geschäft ist es allerdings nicht. Das heißt, dass es auch nicht legal angebaut werden kann. Diese Regelung wird gerade gelockert, es gibt jetzt Modellprojekte, aber vorher war das alles komplett verboten. Somit wird Cannabis in den Niederlanden illegal angebaut und illegal transportiert. Erst wenn die Ware die Schwelle des Türladens überschreitet, wird sie legal. Das ist ein besseres Modell als in Deutschland, weil man es legal erwerben kann. Aber was tatsächlich drin ist, was in den Niederlanden erworben wird, weiß man am Ende des Tages auch nicht.
Würde die Legalisierung von Cannabis nicht auch einen Anstieg – vor allem an jungen – Konsumenten fördern?
Nein, im Gegenteil. In Portugal beispielsweise hat man Cannabis entkriminalisiert. Es ist legal geworden. Die Anzahl der Konsumenten ist dennoch gleich geblieben. Das belegen auch Studien aus den unterschiedlichsten Ländern, sei es nun Portugal, Niederlande oder im Bundesstaat Colorado. (Anmerkung der Redeaktion: 2016 veröffentlichte das Gesundheits- und Umweltministerium von Colorado die Ergebnisse ihrer auf zwei Jahre angelegten Studie „Healthy Kids Colorado Survey“. Demnach konsumierten die Jugendlichen seit der Legalisierung in dem Bundestaat weniger Marihuana. Zudem verliert Cannabis mit der Legalisierung auch den Reiz des Verbotenen.
Und damit würden auch einige wegfallen. Somit wird sich an der Zahl der regelmäßigen Konsumenten meiner Meinung nach auch nichts ändern.
Außerdem ist der Genuss von Cannabis in unserer Gesellschaft de facto schon akzeptiert. Wer beispielweise einen Spaziergang durch den Park unternimmt, wird irgendwann mal den Geruch von Cannabis wahrnehmen. Das ist hier in Berlin so, das ist in Frankfurt so und in jeder anderen Stadt. Heutzutage kommen die Menschen auch gar nicht mehr auf die Idee, deswegen die Polizei zu alarmieren.