Fridays for Future ist in dieser Form eine bislang einzigartige Bewegung, sagt der Protestforscher Sebastian Haunss. Klimapolitik gab es auch schon vorher, aber der Druck ist durch sie deutlich gewachsen. Auch wenn Corona derzeit alles überlagert, bleibt das Thema auf der Agenda.
Herr Haunss, noch vor wenigen Monaten war das Klimathema das große Thema, das wöchentlich Zigtausende auf die Straßen gebracht hat. Nun wird es ganz plötzlich in den Schatten gestellt von der Corona-Krise. Das trifft auch die Bewegung der Fridays for Future. Wird die Bewegung jetzt den Coronavirus überleben?
Da sollten wir unterscheiden: Corona ist natürlich kurzfristig das beherrschende Thema, das in den Medien total dominiert. In den Medien kann nun einmal nur eine begrenzte Zahl von Themen behandelt werden. Die Aufmerksamkeit der Medien und der Menschen ist leider begrenzt. Kurzfristig wird daher das Klimathema sicher weniger stark im Vordergrund stehen. Trotzdem finden immer noch Demonstrationen statt, allerdings viel weniger als im vergangenen Sommer. Allerdings sind von den aktuellen Maßnahmen gegen größere Versammlungen natürlich auch die Fridays for Future betroffen. Das ist auch vernünftig. Aller Voraussicht nach wird das auch den großen geplanten Aktionstag am 24. April betreffen.
Das Klimathema wird also zurückkommen?
Ja, ganz sicher, es wird zurückkommen. Die Organisationsstrukturen von Fridays for Future, die sich seit dem Herbst 2018 herausgebildet haben, werden weiter bestehen bleiben. Und nach der Coronavirus-Pandemie wird das Klimathema wieder auf der Tagesordnung stehen.
Werden die Fridays dennoch nachhaltige Spuren in der Gesellschaft hinterlassen?
Auf jeden Fall, das ist schon jetzt erkennbar. Das hat man am Klimapaket der Bundesregierung gesehen, das definitiv ohne die Fridays-Demonstrationen nicht zustande gekommen wäre. Auch wenn das aus der Sicht der Fridays-Bewegung nicht ausreicht: Ansonsten wäre viel weniger passiert. Auch der Green Deal der neuen EU-Kommission unter Ursula von der Leyen ist davon beeinflusst. Die Fridays-for-Future-Proteste waren sicher nicht die einzige Ursache, es gab vorher schon Klimapolitik, sie haben aber entscheidend dazu beigetragen und Anregungen dazu gegeben. Auch auf kommunaler Ebene, in den Gemeinden, hat sich vieles verändert. In einzelnen Bundesländern, etwa hier in Bremen, ist der öffentliche Haushalt unter Klimavorbehalt gestellt. Einige Städte haben den Klimanotstand erklärt. Das bedeutet dann: Alle kommunalen Maßnahmen müssen auf ihre Auswirkungen auf das Klima abgeklopft werden. Das sind schon sichtbare Erfolge.
Ist es der Bewegung auch gelungen, breite Bevölkerungsschichten aufzuwecken und zu mobilisieren?
Ja, Umfragen bestätigen das. Es ist ein neues Bewusstsein geschaffen worden, allerdings kein Konsens. Natürlich gibt es auch viele, die sich davon nicht angesprochen fühlen, oder die eine ganz andere Meinung haben. Das ist ganz natürlich. Etwas anderes darf man nicht erwarten. Aber vor allem in der jüngeren Generation ist doch viel in Bewegung gekommen. Soziale Bewegungen entstehen immer aus der Position der Schwäche heraus. Man kritisiert bestehende Verhältnisse und Strukturen.
Sind denn die Fridays eine richtige Bewegung wie die Studentenbewegung, die Hippiebewegung?
Ja, sie sind eine soziale Bewegung, aber sie unterscheiden sich auch deutlich von der Studentenbewegung oder den Hippies, die die Gesellschaft vor allem kulturell verändert haben. Unmittelbare politische Folgen waren eher klein. Welche Folgen Fridays for Future in der Gesellschaft hinterlassen werden, kann man jetzt noch nicht sagen, weil das oft ein sehr langfristiger Prozess ist. Besonders deutlich ist das bei der Frauenbewegung gewesen. Da haben Erfolge Jahrzehnte auf sich warten lassen.
Wie sieht das bei den Fridays aus?
Die zielen ja vor allem auf die Politik. Natürlich geht es auch um Lebensstil, also Suffizienz, nachhaltigen Konsum. Ob sie hier auch nachhaltige Spuren hinterlassen, lässt sich noch nicht wirklich sagen. Was aber deutlich ist: Die Fridays-Bewegung ist sehr jung. Sie besteht zu einem großen Teil aus unter 25-Jährigen, viele sind sogar unter 19, also Schüler. Das unterscheidet sie deutlich von anderen, früheren Bewegungen. Vor allem zu Beginn waren die Teilnehmer sehr jung, später hat sich das etwas normalisiert. Wir haben die Teilnehmer der Proteste befragt: Am Anfang waren 70 Prozent der Teilnehmer unter 25 Jahre alt. Bei den letzten großen Protesten im November 2019 waren das noch 35 Prozent. Der Altersdurchschnitt ist im Laufe der Zeit gestiegen.
Hätte es die Bewegung eigentlich ohne das Handy, das Smartphone auch gegeben?
Das hat eine sehr viel geringere Rolle gespielt als oft vermutet. Natürlich nutzen viele oder fast alle das Handy für die Kommunikation über Organisatorisches. Aber die Meinungsbildung, also das Entscheidende, läuft über direkte persönliche Kontakte. Vor allem für die Mobilisierung sind die Schulklassen ganz wichtig, weil dort die Schüler miteinander sprechen, diskutieren, und sich für die Teilnahme an den Protesten verabreden.
Überzeugung und Sensibilisierung findet also nicht im stillen Kämmerlein statt?
Ja, wobei die Demonstrationen nur die Spitze des Eisbergs sind. Vieles ist nicht sichtbar. Die öffentlich sichtbaren Demonstrationen sind nur ein kleiner Teil der Protestaktivitäten. In kleinen, wenig formalisierten Gruppen findet die wichtige Organisationsarbeit statt: Man vereinbart Treffen, Demos, Programme. Dieser Teil des Protests ist nicht öffentlich sichtbar, aber er bildet die Basis für die sichtbaren Proteste.
Geht denn die Fridays-Bewegung durch alle Schichten der Bevölkerung, oder ist sie so etwas wie eine Bewegung der Kinder der Eliten?
Es beteiligen sich ganz eindeutig Menschen aus allen sozialen Schichten. Das haben unsere Befragungen gezeigt. Allerdings ist die Teilnahme nicht proportional zur Größe der Schichten. Junge Menschen aus Familien mit höherem Einkommen und besserer Bildung sind überrepräsentiert. Ärmere Familien und solche mit migrantischem Hintergrund sind deutlich unterrepräsentiert. Damit bildet Fridays for Future keine Ausnahme. Die Unterrepräsentation ärmerer und weniger gebildeter Teile der Bevölkerung ist ein generelles Problem politischer Beteiligung.
Und was wird in fünf Jahren von den Fridays übrig geblieben sein?
Sie werden auf jeden Fall nicht vergessen sein! Sie werden auf den politischen Ebenen Spuren hinterlassen, aber auch im Gefüge der Gesellschaft. Ich könnte mir auch vorstellen, dass es sie in fünf Jahren noch geben wird. Wenn wir uns die anderen großen Bewegungen der letzten Jahrzehnte anschauen, sehen wir, dass sie lange existierten, bevor sie die ersten Erfolge verzeichnen konnten. Nehmen Sie die Akw-Bewegung, entstanden in den 70er-Jahren. Erfolg hatten sie dann 2011 mit dem Atomausstieg, Jahrzehnte später. Je globaler die Programmatik ist, umso länger werden diese Prozesse natürlich dauern und umso mehr Widerstand dagegen wird es geben. Die Fridays waren ja auch nicht der Anfang der Klimabewegung, es gab die Proteste gegen die Abbaggerung der Dörfer für den Kohlebergbau, da gehören sie natürlich dazu. Ich bin überzeugt: Es wird weiter gehen.
Sie selbst waren auch schon auf Fridays-Demos – wahrscheinlich nicht nur zu Forschungszwecken. Werden Sie auf künftigen Demonstrationen wieder teilnehmen?
Ja, das werde ich sicher. Ich werde bei einzelnen Demonstrationen wieder Befragungen durchführen und bei anderen auch als Privatperson, nicht als Forscher, teilnehmen, weil ich die Forderungen von Fridays for Future unterstütze.