Seit sechs Jahren ist Reinhold Jost Minister für Umwelt und Verbraucherschutz, zuständig auch für Landwirtschaft und Bauern. Als Vorsitzender der Agrarministerkonferenz setzt er neue Akzente und geht keiner Diskussion aus dem Weg.
Die Weinköniginnen sind schon da" vermeldet der Referent beflissen in den Freisprecher seines Smartphone an den Chef. Es ist kurz vor 10 Uhr in der Halle 10.2 der Messe Berlin, Grüne Woche, Messeauftakt Mitte Januar. Was damals noch niemand ahnen konnte: Die weltgrößte Agrarmesse war die erste und vorläufig absehbar auch wohl letzte Großmesse in Deutschland, zumindest bis September.
Der Chef trifft pünktlich auf die Minute ein, im Schlepptau seine gesamte Entourage, der Leiter des Ministerbüros, Referatsleiterin, Presse Attaché inklusive Referenten und die Weinköniginnen nicht zu vergessen. Hier wird an diesem Tag geklotzt und nicht gekleckert.
Reinhold Jost ist derzeit Vorsitzender der deutschen Agrarministerkonferenz, und da gibt es auch innereuropäisch einiges zu besprechen. Den EU-Ratsvorsitz hat Kroatien. Deshalb macht es auf der Grünen Woche in Berlin für Jost auch Sinn, als Erstes bei der kroatischen Agrarministerin auf einen Kaffee vorbeizuschauen.
Eigentlich ist Messeauftakt bereits am Abend, bevor die Hallen offiziell die Tore öffnen. Beim traditionellen Empfang tauscht man sich inoffiziell aus, es werden heiße, vor allem kalte Getränke gereicht. Bereits da stand auch Josts kroatische Amtskollegin Marija Vučković im Mittelpunkt. Die 45-jährige Landwirtschaftsministerin vertrat das Gastland der Grünen Woche in diesem Jahr – und Kroatien hat zudem im ersten Halbjahr 2020 die Ratspräsidentschaft in der EU, eine Premiere für das kleine Mitgliedsland.
Jost muss sich ein ums andere Mal bemühen, der Kollegin seine derzeitige Funktion zu erläutern. Eine Herausforderung gegenüber anderen Partnern, wo doch selbst innerhalb der Bundesrepublik die Funktionsweise des deutschen Föderalismus bisweilen erklärungsbedürftig ist. Schließlich hat Vučković eine glänzende Idee, um das mal alles in geordnete Bahnen zu leiten. Jost soll doch einfach mal nach Zagreb kommen, dann könne man die anstehenden Aufgaben doch mal in Ruhe besprechen. Der saarländische Umweltminister ist begeistert und auch erleichtert, dass man diese schwierige Kommunikation am frühen Messemorgen dann doch noch zielführend beenden konnte. Reinhold Jost schwant in diesem Augenblick, dass alle weiteren heutigen Termine ähnlich mühsam verlaufen könnten. Politik ist, wenn man es trotzdem macht, und so beißt sich der 53-jährige durch, Messestand um Messestand. Klinken putzen kennt Jost aus dem Effeff. Kontakt ist alles, auf allen Ebenen.
Das hat Jost von der Pike auf gelernt, bei seiner Karriere in der Landes-SPD und nun seinem bundesweiten Auftritt, wobei er weiter dort fest verwurzelt ist, wo Politik unmittelbar für die Menschen ist. Er ist seit 25 Jahren Ortsvorsteher in Siersburg. „Das ist eine Aufgabe, die einfach dazugehört, und die gebe ich nicht einfach so auf." Reinhold Jost ist politisch erdverwurzelt, und „bei ihm muss man sich keine Sorgen machen, dass der abhebt", so ein ehemaliger Arbeitskollege. Der Mann kennt Reinhold Jost noch aus der Ausbildungszeit von vor mittlerweile fast 40 Jahren.
Der Weg zum Umweltminister war alles andere als vorgezeichnet
Als Schüler war Reinhold Jost immer bemüht, die an ihn herangetragenen Aufgaben zur vollsten Zufriedenheit des Lehrers zu erfüllen, bei Aufgaben die ihm Spaß bereiteten, gelang ihm das dann auch. So oder zumindest sehr ähnlich dürfte es in der mündlichen Beurteilung seiner Schule geklungen haben, die ihn nach neun Jahren Volksschule, wie es damals hieß, zum Dillinger Stahlbau DSD entließ. Da stand der damals gerade 16-Jährige dann im September 1981 in der Werkshalle vor dem Schraubstock, und Lehrmeister Rolf Platte drückte ihm die Feile in die Hand. Seine Aufgabe: Feile einen Stahlwürfel mit der Kantenlänge 9,8 auf 9,8 Zentimeter. „Ich wusste, das ist sicherlich eine ehrenvolle Aufgabe, aber noch nicht so ganz meine Erfüllung". Seine erste politische Tat: Er tritt der IG Metall bei, zunächst aber nur als zahlendes Mitglied. Das Würfel-Feilen beansprucht ihn, und es gibt ja in dem jungen Alter auch noch andere Dinge als Politik und Arbeit. Den Stahlwürfel hat er nach einigen Debatten mit Meister-Platte fertig gefeilt und damit dann nach drei langen Jahren auch seine Ausbildung zum Schlosser absolviert. Was er vor allem gelernt hatte, war, dass neun Volksschuljahre dann doch zu wenig waren. Auf dem zweiten Bildungsweg holt Jost die mittlere Reife nach, macht ein Metaller-Abitur. Das Geld in der Ausbildungszeit verdient er sich bei der Dillinger Hütte am Hochofen. „Ich habe noch Nachtschichten gekloppt und morgens gegen vier Uhr dann der Abstich, da wusste man dann, was man getan hatte." Noch heute ist er begeistert von dieser Zeit. Die beruflichen Zeichen des Reinhold Jost standen also ganz klar in Richtung Metallberuf. Aber denkste!
Aus dem Metallschlosser wurde ein Finanzbeamter. „Ich konnte damals tatsächlich wählen, zwischen Steiger und Finanzbeamten, und habe mich für Letzteres entschieden. Wäre ich Steiger geworden, wäre ich bereits seit vier Jahren als Rentner zu Hause", lacht Jost. Auf Nachfrage, ob das nicht eventuell der schlauere Weg gewesen wäre, schüttelt er heftig mit dem Kopf. „Nein, ich hätte ja so vieles nicht kennenlernen können und bin froh über jeden Tag, wo ich das alles erleben darf." Der Weg von der IG-Metall zur SPD ist zumindest im Saarland dann kein weiter, wobei Jost dort die erste politische Schlacht seines Lebens schlagen muss. Es ist der Frühsommer 2003 und der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder hat gerade erst die Agenda 2010 verkündet, die als Hartz-IV-Reformen vor allem beim linken Flügel der SPD bis zum heutigen Tag ein rotes Tuch ist. Jost schlägt sich damals auf die Seite von Gerhard Schröder, auf die Seite der Agenda-Politiker und geht unter anderem damit auch auf Konfrontationskurs zu seiner Gewerkschaft IG Metall. „Bis zum heutigen Tag gibt es da bei der IG Metall Leute, die geben mir nicht mehr die Hand, sondern drehen mir demonstrativ den Rücken zu", erzählt Reinhold Jost. „Die haben gar nicht begriffen, dass sich die Welt unterdessen weitergedreht hat und die alten Gräben längst zugeschüttet wurden". In dieser Zeit drohte auch der Bruch mit seinem alten Freund Ottmar Schreiner. Dieser stand ganz klar, ähnlich wie Oskar Lafontaine, gegen die Agenda-Politik von Gerhard Schröder. „Nur Ottmar hat eines begriffen: Abtauchen und wegducken, damit macht man keine Politik. Flucht gilt nicht. Ottmar hat bis zum Schluss gegen die Agenda 2010 gestanden, aber immer für die SPD." Das ist Reinhold Jost, dafür steht er, der strebsame Parteisoldat, der da seine Aufgabe macht, wo man ihn hinstellt. Trotz des politischen Zerwürfnisses mit Ottmar Schreiner blieb die menschliche Freundschaft. Ottmar Schreiner stirbt im April 2013 und bittet auf dem Totenbett seinen Freund Reinhold Jost darum, für ihn das Bundestagsmandat anzutreten. Jost tritt an – und landet im September 2013 tatsächlich im Bundestag. Die zweite große Koalition bahnt sich ihren Weg an die Regierung, und Reinhold Jost ist entsetzt vom politischen Berlin. „Hier ticken die Uhren anders, das ist klar, aber vor allem ist hier viel Theaterdonner", bringt es Jost auf den Punkt.
Erfahrungen aus unterschiedlichen Bereichen führen zu neuen Ansätzen
Horrorszenario UDL 50. Die Adresse ist selbst unter Bundestagsabgeordneten gefürchtet: Die Unterkunft für Bundestagsabgeordnete Unter den Linden 50. Ein klassizistischer DDR-Bau, in dem bis 1989 Teile des SED-Ministerrats untergebracht waren. Die legendäre DDR-Unfreundlichkeit hat sich tatsächlich auch fast eine Generation nach dem Mauerfall gehalten. „Das war im September 2013, ich kam in Berlin an, UDL 50. Der Bau wenig einladend, die Menschen darin noch mehr. Im Fahrstuhl, auf den Fluren hat niemand gegrüßt, kein freundliches Wort, nur Geschäftigkeit." Dann stellt sich Reinhold Jost bei den Bediensteten des Gebäudes vor. Wachmänner und Einlasskontrolle sind überrascht. „Das hat vorher offenbar noch nie ein Bundestagsabgeordneter gemacht, sich den Leuten vorgestellt." Doch damit war für Jost Berlin als Bundeshauptstadt und Arbeitsplatz auch gelaufen, „das war nicht meine Welt, das brauchte ich nicht wirklich." Reinhold Jost hatte Glück und wurde dann nach knapp vier Monaten befreit. Heiko Maas ging überraschend als Bundesjustizminister nach Berlin, Jost wurde nach Saarbrücken zurückberufen, jetzt als Minister für Umwelt und Verbraucherschutz. Aus der Sicht des gelernten Stahlschlossers nicht schlecht. „Aber als Finanzminister hätte ich es erheblich einfacher gehabt, denn da kannte ich alle Verwaltungsvorschriften, bei Umwelt und Verbraucherschutz musste ich wieder komplett neu lernen." Doch das kennt Jost ja schon.
Mittlerweile hat er sich mit seinem Ressort nicht nur angefreundet, sondern diskutiert bodenständig mit den Interessengruppen. Im Zuge seines eigenen Jobzuschnitts hat Jost einfach mal die Agrar- und Umweltministerkonferenz der Länder zusammengebracht. Die Begründung dafür ist mehr als simpel. „In den letzten zehn Jahren hat ein völliger Sinneswandel stattgefunden, breite Schichten haben begriffen, dass Umwelt- und Landwirtschaftspolitik zusammengehören. Wer bio essen möchte, muss auch bio anbauen." Im März findet zum ersten Mal in Deutschland eine gemeinsame Konferenz beider Ressorts unter der Leitung von Jost statt. „Ein Erfolg war für mich mal ganz klar, alle Vertreter sind bis zum Schluss auf ihren Plätzen geblieben und haben die Veranstaltung nicht verlassen." Obwohl es reichlich Zoff unter den Vertretern von Bund und Ländern gab. Wer in diesem Rahmen auf Bundesebene arbeitet, wird genügsam, vor allem, wenn Landwirtschaft auf Umweltschutz trifft. Glyphosat und Gülle gegen Bienen und Blüten. Eine Debatte, die bei einem Kompromiss generell nur Verlierer zu kennen scheint. Reinhold Jost wagt es trotzdem, und nach dieser Konferenz bleiben die meisten Vertreter noch zum gemeinsamen Essen in der saarländischen Landesvertretung. Er ist sichtlich froh, die Veranstaltung über die Bühne gebracht zu haben, aber auf das fröhliche, anerkennende Schulterklopfen seiner Amtskollegen aus den Ländern verzichtet er zunächst einmal.
Jost setzt auf Gespräche und Überzeugung durch Argumente
Vor der Tür stehen Demonstranten, unter anderem von der Umweltorganisation „Land schafft Verbindung". Draußen ist es unwirtlich, kalter Wind und Nieselregen. Den demonstrierenden Bauern ist das schnuppe, die kennen das nicht anders. „Das Wetter kommt und geht, der Landwirt bleibt", schmettert einer der Bauern Jost entgegen. „Schon richtig, nur drinnen lässt sich in Ruhe reden", Reinhold Jost holt die Naturburschen kurzerhand in die gute Stube. Nach fast vier Stunden „Ministerialgequatsche" zieht sich Jost dann noch die Umweltbauern für eine Stunde rein. Deren Expertise zu Gülleverordnung und Wasserschutz ist in der Wortwahl sicherlich nicht so geschliffen, aber inhaltlich mindestens auf Minister-Niveau. Die Vertreter von „Land schafft Verbindung" wissen ganz genau, worum es für sie geht, vor allem ums Geld. Es wird laut. Aber auch Reinhold Jost kann laut sein und klare Ansagen machen. „Ich habe da lange geduldig zugehört, aber irgendwann muss man dann auch mal Gegenansagen machen, sonst nehmen die dich nicht mehr ernst." Am Ende sind die Bauern ziemlich platt, dass ein Politiker die Tiefen und Unebenheiten des deutschen Wasserrechts und die zulässigen Grenzwerte bis zur zweiten Stelle nach dem Komma auswendig kennt.
Die Vertreter von „Land schafft Verbindung" sind gerade raus, da steht Greenpeace in der Tür. Josts Pressechefin Sabine Schorr hat gerade für „ihren Minister" einen Teller Gulasch mit Nudeln vom fast schon abgeräumten Büfett gerettet, da diskutiert der mit den Greenpeace-Leuten die Glyphosat-Problematik. „Abends bist du dann wirklich platt, aber anders funktioniert der Job nicht. Du musst mit den Leuten reden, aber eines ist ganz wichtig, niemanden zu Munde reden, immer die eigene Position behalten, sonst wirst du unglaubwürdig." Eine persönliche Erkenntnis aus dem Ganzen überrascht dann doch: „Politik ist nicht alles, ich kann mir gut vorstellen, dass ich nach meiner Zeit als Minister eine Kneipe aufmache." Das hört sich danach an, als wäre Reinhold Jost beruflich noch nicht wirklich am Ende angekommen.