Die Pandemie lässt nichts aus: Halb Deutschland macht sich Sorgen um die Ernte. Den Bauern fehlen wegen der Grenzsperren die Saisonarbeiter aus dem Ausland. Eine Plattform soll Zehntausende Arbeitskräfte, denen die Jobs weggebrochen sind, für die Arbeit auf dem Land mobilisieren.
Nicole aus Leipzig ist Kurierfahrerin. Sie hat für ein Anzeigenblatt gearbeitet, das kostenlos in Gaststätten, Cafés und kleinen Geschäften ausliegt. „Seit alles zu ist, ist mir der Job weggebrochen", sagt sie. Das Anzeigenblatt werde wohl auch kaum überleben. Deswegen hat sie sich auf der Plattform „Das Land hilft" (www.daslandhilft.de) als Erntehelferin gemeldet. „Ich esse sehr gern Spargel und ich möchte dazu beitragen, dass der Spargel in die Supermärkte und auf die Wochenmärkte kommt." Bis jetzt hat sich noch niemand gemeldet, aber „bevor ich in meinen alten Beruf als Krankenschwester zurückgehe, gehe ich lieber aufs Land." Sie habe wegen der mangelnden Schutzkleidung Angst vor Ansteckung.
Auch Erik (45) aus Berlin hat noch keine Nachricht bekommen. Dem freischaffenden Musiker mit Schwerpunkt Klassik sind die Engagements und damit alle Einnahmen verloren gegangen. „Ich stelle mir das toll vor, draußen zu arbeiten bei dem schönen Wetter", meint er. Über eine Bekannte hat er Kontakt zu einem Bio-Hof aufgenommen. Die bauen zwar keinen Spargel an, aber vielleicht kann er auch an anderer Stelle helfen und ein wenig Geld verdienen.
Klaus (60) aus Karlsruhe dagegen ist sauer. Er hat sich unabhängig von der Webseite bereits bei drei Betrieben gemeldet – und noch keine Rückmeldung bekommen. Der Berufsfotograf, der sonst Hochzeiten oder andere Familienfeiern ins Bild setzt, kann es nicht verstehen. „Ich habe meinen Betrieb zugemacht, es feiert ja keiner mehr, und war sicher, dass ich beim Spargelstechen gebraucht werde", klagt er. „Dabei bin ich quasi auf dem Spargelfeld geboren." Tatsächlich stammt er aus einer Familie, die traditionell das weiße Gemüse angebaut hat und in der er schon als Kind mit dem Spargelmesser aufs Feld geschickt wurde. „Entweder ist alles gar nicht so schlimm, wie die Politiker sagen, oder die Bauern lassen die Ernte stehen, weil sie sie nicht verkaufen können." Denn wenn die Restaurants und Gasthäuser alle zu sind, fallen auch die Großabnehmer weg, meint er. Und dann könne sowieso keiner mehr den Spargel zu einem ordentlichen Preis verkaufen. „Dann stechen die Bauern halt nur noch für den Eigenbedarf", prophezeit er.
Spargel soll später reifen – Hoffen auf nach Ostern
Auch auf einem Spargelhof in Nienburg, der ebenfalls auf der Webseite inseriert hat, ist man noch vorsichtig. Die Ernte werde schätzungsweise in zwei Wochen beginnen, meint Spargelbauer Hartmut L. Bisher hätten sich auch sechs oder sieben Leute gemeldet, aber ohne feste Zusagen. Anders beim Spargelhof Ruhnke in Tangerhütte. Dort hat die Ernte schon begonnen. Zwar seien vier oder fünf Leute bereits vorbeigekommen, berichtet Claus Dieter Ruhnke, aber nur bei einer Frau ist er sich sicher, dass sie wirklich geeignet ist. „Mit den anderen sind wir heute und morgen im Training", sagt er. Auch Schüler waren interessiert, doch die brauchen eine Genehmigung vom Schulleiter, um zu arbeiten, weil sie offiziell nicht vom Unterricht befreit sind, sie sollen ja zu Hause lernen. Auch mit dem Hin- und Herfahren zur Arbeit ist das so eine Sache: Ihm ist es lieber, wenn die Helfer aus der Nähe kommen, und da setzt er auf Mundpropaganda.
15 Kilo in der Stunde muss jemand schon stechen können, sonst rentiere sich das nicht. „Ich muss ja den Mindestlohn von 9,35 Euro zahlen – die Polen bekamen pro Kilo 45 Cent," sagt er. Im Moment drehen sie auf den Feldern die weiße Seite der Plane nach oben, damit sich das Reifen des Spargels verzögert. Denn er hofft, dass die Saisonarbeiter nach Ostern doch noch kommen dürfen. Dass sich über die Plattform „Das Land hilft" überhaupt Leute gemeldet haben, findet er schon ganz gut – immerhin sehe man, dass der Wille da ist. Jetzt hat er zwei arbeitslose Servicekräfte aus der Gastronomie an der Hand, die den Verkauf auf verschiedenen Wochenmärkten übernehmen würden. „Aber erst müssen wir noch mehr stechen", sagt er. „Und hoffentlich bleiben die Märkte auf."
Das Einreiseverbot für Erntehelfer aus Drittstaaten gilt seit dem 25. März. Die Regelung gilt für die Einreise aus Großbritannien, für EU-Staaten wie Bulgarien und Rumänien, die nicht alle Schengen-Regeln vollumfänglich anwenden, sowie für Staaten wie Polen oder Österreich, „zu denen Binnengrenzkontrollen vorübergehend wieder eingeführt wurden." Die Beschränkungen seien „zwingend erforderlich, um Infektionsketten zu unterbrechen", so das Bundeslandwirtschaftsministerium. Es trifft die Spargelbauern hart, aber auch die Erdbeer- und die Rhabarberernten sind gefährdet. Weil die üblichen Saisonarbeiter fehlen, werden laut Bundeslandwirtschaftsministerium im März etwa 30.000 zusätzliche Arbeitskräfte gebraucht, im Mai sogar 80.000. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) prüft derzeit auch, ob das Arbeitsverbot für Asylbewerber aufgehoben werden könne.
Auch Erdbeer- und Rhabarberernte betroffen
Die Vermittlungsplattform „Das Land hilft" hat das Landwirtschaftsministerium zusammen mit dem Bundesverband der Maschinenringe auf den Weg gebracht. Die Maschinenringe sind eine Selbsthilfeorganisation der Landwirte mit 187.000 Mitgliedern. Mit der Webseite sollen nicht nur die Leute gewonnen werden, die ihren Job in der Gastronomie oder dem Einzelhandel verloren haben, sondern auch Studenten und Schüler, die zum „Zuhausebleiben verdammt" sind. „Wir Menschen sind einfach nicht dafür gemacht, in Krisenzeiten nichts zu tun und nur zuzusehen. Jeder von uns kann handeln, viele von uns müssen es. Wir können diese schwierigen Zeiten nicht lösen, aber wir können sie erträglicher, vielleicht sogar besser machen", heißt es ein wenig pathetisch auf der Plattform. In der Tat müssen viele Jungakademiker aktuell kaum studieren. Nahezu alle deutschen Universitäten haben den Start des Sommersemesters vorerst auf Ende April verschoben, Prüfungen fallen aus. Und vielerorts dürfen Hausarbeiten später abgegeben werden.
Die Internet-Plattform ist aufgeteilt in „Suche Hilfe Landwirtschaft" und „Biete Hilfe Landwirtschaft". Noch ausgebaut werden die Rubriken „Biete und Suche Hilfe Firma/Privat", die für Handwerksbetriebe und kleine Gewerbebetriebe gedacht ist. Anbieten kann jeder seine Hilfe, nicht nur diejenigen, die in Berufen rund um die Landwirtschaft tätig sind. Die Plattform ist kostenlos. Jeder, der sich einträgt, soll angeben, für wie lange er oder sie zur Verfügung steht. Verdienst, Versicherungsfragen und Fragen der Anmeldung des Jobs sind direkt mit dem landwirtschaftlichen Betrieb, dem Arbeitgeber, zu klären. Nach der ersten Woche hatten sich bereits rund 30.000 Inserenten eingetragen. Ob sie alle bei einer wochenlangen Spargelernte durchhalten würden, darf bezweifelt werden. Doch es gibt noch viele andere Jobs auf dem Land: Gemüsepflanzen ziehen und später im Freien einpflanzen, Obst und Gemüse sortieren, bündeln und verpacken, die Stangen für ein Hopfenfeld anlegen, beim Verkauf auf dem Wochenmarkt helfen. Aber was viele Hilfswillige aufgeschreckt hat, so auch die Studentin Victoria, die gern beim Bio-Bauern einkauft und unbedingt helfen will: Ohne die schnelle Erntehilfe drohen viele Felder nicht bestellt und manche Ernte nicht eingeholt zu werden.