Die Corona-Pandemie belastet viele Menschen und stellt ihren Alltag völlig auf den Kopf. Wie kommt man gut durch diese schwere Zeit? Auf den Spuren der seelischen Widerstandsfähigkeit.
Jeder kennt solche Typen, die man gemeinhin als „Stehaufmännchen" bezeichnen würde. Krisen scheinen sie nicht im selben Maß fertigzumachen wie andere, Schicksalsschläge oder Schwieriges hängen ihnen weniger lange nach. Und selbst wenn es sie hart trifft, sie stehen immer wieder auf. Resilienz nennen das die Psychologen – psychische Widerstandsfähigkeit. Besonders resiliente Menschen können auf die Anforderungen wechselnder Situationen flexibel reagieren. Das ist vor allem von Bedeutung, wenn der äußere und der innere Belastungsdruck steigen. Deshalb fällt es ihnen leichter, Krisen zu meistern und schwere Zeiten durchzustehen. Manche Menschen scheinen an solchen Situationen sogar geradezu zu wachsen. Worauf ist das zurückzuführen? Und vor allem: Wie können wir gerade jetzt von ihnen lernen?
Wie resilient jemand ist, hängt zum einen mit angeborenen Eigenschaften zusammen, zum anderen aber auch mit Fähigkeiten, die der Einzelne im Zusammenspiel mit seiner Umwelt entfaltet und mit den umgebenden Einflussfaktoren. Das heißt, Resilienz ist kein angeborenes Persönlichkeitsmerkmal, das der Mensch entweder von Natur aus mitbringt oder eben nicht. Vielmehr handelt es sich um eine Fähigkeit, die lern- und trainierbar ist und zwar sowohl für Kinder und Jugendliche als auch für Erwachsene.
Die US-amerikanischen Wissenschaftler Karen Reivich und Andrew Shatté beschreiben in ihrem Buch „The Resilience Factor. 7 Keys to finding your Inner Strenght and Overcoming Life’s Hurdles" sieben Säulen, die dazu beitragen, Krankheiten, Verluste, Krisen, Überlastungen und Probleme im Privat- oder Berufsleben besser meistern zu können: Optimismus, Akzeptanz, Lösungsorientierung, Verlassen der Opferrolle, Übernahme von Verantwortung, Netzwerkorientierung und Zukunftsplanung. Diese internen und externen Ressourcen gelten den Psychologen zufolge als Standbeine, auf denen der Mensch sicher durch Krisen gehen kann. Je mehr diese Standbeine ausgeprägt sind, umso stabiler steht eine Person auf dem Boden und gerät nicht so leicht ins Wanken.
Resilienz ist eine lern- und trainierbare Fähigkeit
Der österreichische Neurologe und Psychiater Viktor Frankl etwa ist ein Beispiel für einen besonders resilienten Menschen. Er überlebte unter unvorstellbaren Umständen den Holocaust und schaffte es dabei, seine Integrität zu bewahren. Sein 1946 erschienenes Buch „… trotzdem Ja zum Leben sagen" ist ein Zeugnis dessen. Frankl glaubte, dass es im menschlichen Leben viel weniger um Glück und Unglück gehe als um Sinn. Aus dieser Annahme heraus begründete er die Logotherapie, eine sinnorientierte Psychotherapie. Neben Frankl kann man auch Nelson Mandela als berühmtes Beispiel anführen. Obwohl er 27 Jahre im Gefängnis war, behielt er die Hoffnung und den Glauben an seine politische Mission. Er überwand die Apartheid und wurde später zum ersten schwarzen Präsidenten Südafrikas. Auch Malala Yousafzai, die ihre Geschichte in „Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen wollten, weil es für das Recht auf Bildung kämpft" teilt, setzte trotz ihrer schrecklichen Erlebnisse den Kampf für Bildung fort. 2014 wurde sie die jüngste Friedensnobelpreisträgerin der Geschichte.
Aber nicht nur bekannte Persönlichkeiten, die Außergewöhnliches geleistet haben, sind resilient. Der New Yorker Psychologe George Bonanno hat mit Überlebenden des Anschlags vom 11. September 2001 gearbeitet und konnte dadurch zeigen, wie unterschiedlich ganz gewöhnliche Menschen auf Schicksalsschläge reagieren. Zwei Jahre lang beschäftigte er sich damit, wie Menschen, die aus der Nähe erlebt hatten, wie die Zwillingstürme angegriffen wurden und einstürzten, damit umgingen. Das Ergebnis: Bei einigen Menschen führte das Erlebte dazu, dass sie krank wurden und beispielsweise Depressionen, Angstpsychosen oder andere psychische Störungen entwickelten. Andere wiesen zunächst Stresssymptome oder leichte Psychosen auf, erholten sich aber wieder und waren nach zwei Jahren psychisch gesund. Eine weitere Gruppe reagierte anfänglich gefasst, entwickelte aber nach Monaten oder Jahren psychische Störungen wie Depressionen oder eine posttraumatische Belastungsstörung. Es gab aber noch eine letzte Gruppe, in die 35 Prozent der Teilnehmer fielen: die Gruppe der Resilienten. Sie waren in der Lage, den Terroranschlag trotz der Schwere des Geschehenen ohne pathologische Folgen zu verarbeiten. Schaut man sich andere Studien an, die sich mit Krisen wie dem Verlust eines geliebten Menschen, einer Krebserkrankung oder dem Verlust eines Jobs befassen, findet man Werte um die 60 Prozent. Der Mensch, so der Psychologe Bonanno, sei ein zähes Tier.
Das Unvermeidbare akzeptieren
Der Neurowissenschaftler Raffael Kalisch glaubt, dass Resilienz ein dynamischer Prozess ist, der während der Herausforderung entsteht. Getreu dem Motto: Widerstandskraft trainiert man mit Widerstand. Kalisch leitet das Mainzer Resilienzprojekt, eine Langzeitstudie des Deutschen Resilienz-Zentrums. In diesem Projekt begleiten die Forscher junge Menschen für viele Jahre auf ihrem Weg von der Schule über die Ausbildung bis in den Beruf und erfassen ihre psychischen Belastungen und ihre Reaktionen darauf. Was die Forschung tatsächlich über Resilienz weiß, erläutert er in seinem Buch „Der resiliente Mensch: wie wir Krisen erleben und bewältigen. Neueste Erkenntnisse aus Hirnforschung und Psychologie". Bei Resilienz geht es ihm zufolge nicht um eine Art Teflon-Menschen, an dem alles abprallt und der sich nicht berühren lässt. Vielmehr zeige sich bei resilienten Menschen, dass sie in der Lage sind, in allem Übel und in aller Schwere einen Funken Gutes zu finden. Ihr neuronales Belohnungssystem zeigt auch in stressigen und belastenden Situationen noch Aktivität. Solche Menschen machen sich keine Illusionen. Ist etwas aber ungewiss, haben sie die Tendenz, einen positiven Verlauf der Dinge anzunehmen. Resiliente Menschen neigen nicht zum Katastrophisieren, sie malen sich also nicht unentwegt aus, was alles schiefgehen oder Schlimmes passieren könnte. Außerdem glauben sie eher, dass sie selbst etwas bewirken können. Selbstwirksamkeit nennen das Psychologen die Überzeugung einer Person, auch schwierige Situationen und Herausforderungen aus eigener Kraft erfolgreich bewältigen zu können. Auch Reivich und Shatté haben sieben Schlüssel zur Resilienz herausgearbeitet, die eine Art Anleitung zum hilfreichen Denken sein sollen. Dazu zählt, die eigenen Gedanken zu beobachten und dabei Denkfallen und unbewusste Überzeugungen zu identifizieren, die eigene Problemlösekompetenz zu trainieren, Katastrophendenken zu stoppen, sich zu beruhigen und zu fokussieren und Resilienzpraktiken in Echtzeit anzuwenden.
Was sind nun Resilienzpraktiken und wie genau können unsere Resilienz trainieren? Gemäß den sieben Standbeinen, auf denen die Resilienz fußt, kann man dazu gezielte Übungen machen. Zum Beispiel kann man üben, das Unvermeidbare zu akzeptieren. Sich also bewusst zu machen, dass zum Beispiel die Corona-Krise jetzt eben da ist und wir damit leben müssen. Dieser Aspekt war von uns nicht beeinflussbar und schimpfen, jammern und klagen verbessert die Situation nicht. Stattdessen kann man im Sinne des Optimismus fragen: Was kann für mich, mein Land oder die Welt ein positiver Aspekt in der Krise sein? Habe ich zum Beispiel mehr Freizeit, verbessert sich an manchen Orten die Luft, sehe ich Menschen, die näher zusammenrücken und sich unterstützen? Oder spare ich mir aktuell die Fahrt zur Arbeit und stehe deshalb nicht im Stau, sind meine Prüfungen verschoben und ich muss weniger lernen oder habe ich endlich mal wieder die Gelegenheit, morgens auszuschlafen?
Feste Routinen können hilfreich sein
Um sich die guten Dinge, die einen auch umgeben, immer wieder bewusst zu machen, kann es helfen, ein Glückstagebuch zu führen. Dazu notiert man täglich drei positive Ereignisse des Tages. Das kann eine Unterstützung beim Einkaufen, ein nettes Telefongespräch oder Sonnenschein bei der Joggingrunde sein. Auch eine halbe Stunde die Lieblingsserie schauen, eine lustige Situation mit den Kindern oder ein leckeres Essen sind kleine Glücksmomente, die uns stärken.
Damit man nicht ins Katastrophisieren abrutscht, ist es auch ratsam, die eigene Mediennutzung zu reflektieren und zu beschränken. Daher sollte man ganz bewusst auf seriöse Quellen setzen wie etwa das Robert Koch-Institut, die Ministerien, die Gesundheitsämter und bestimmte Zeitungen, Radio- und Fernsehsender oder Online-Portale nutzen. Sollte man bei seiner Medienauswahl unsicher sein, verlässt man sich auf die erstgenannten Quellen. Gerade bei Online-Angeboten ist es ratsam zu prüfen wer dahintersteckt und ob das, was dort behauptet wird, auch bei seriösen Quellen zu finden ist. Bei dubiosen Absendern oder Nachrichten, die sich sonst nicht finden lassen, ist es gut möglich, dass es sich um Fake News handelt. Zudem sollte man Medien nicht exzessiv nutzen und sich lieber ein Limit – wie etwa zweimal 30 Minuten pro Tag – setzen.
Wichtig für die Stärkung der Selbstwirksamkeit ist es, sich die immer noch vorhandenen Einflussmöglichkeiten zu verdeutlichen. Das kann gelingen, indem man sich auf Bereiche konzentriert, die man immer noch beeinflussen kann. Zum Beispiel kann man sich damit beschäftigen, was man am nächsten Tag zu Essen kochen will, wie man seine Freizeit gestaltet, ob man eine neue Sprache lernen oder im Garten werkeln mag. Auch Routinen helfen dabei. Dazu gehört etwa, dass man morgens aufsteht und sich vernünftig anzieht, auch wenn man im Homeoffice arbeitet, aber auch das Einplanen fester Arbeitszeiten, Essenszeiten und Pausen.
Für alle Menschen, die in einer Situation sind, in der sie gut helfen können, ist auch das ratsam. Denn wer zum Beispiel anderen bei Einkäufen hilft, Menschen anruft, die einsam sind, oder sich anderweitig betätigt, unterstützt nicht nur die Gemeinschaft, sondern fühlt sich auch selber besser. Umgekehrt ist es genauso wichtig, Hilfe anzunehmen, wenn man sie benötigt. Derzeit kann man etwa eine Einkaufshilfe in Anspruch nehmen, für einsame Senioren gibt es beispielsweise auch das Hilfstelefon Silbernetz, das aktuell bundesweit erreichbar ist, sowie sämtliche Hotlines zu Kummer, Sorgen, Gewalt und gesundheitlichen Fragen. Auch der Kontakt zu Freunden, Verwandten und Bekannten oder zum Therapeuten ist derzeit wichtig. Telefonate oder Videocalls bieten gute Möglichkeiten, Verbindungen aufrechtzuerhalten oder zu stärken. Das soziale Umfeld, das einen Menschen fördert und im Krisenfall unterstützt, spielt als seelischer Schutzfaktor eine wesentliche Rolle.
Die Psychologin Kate Sweeny von der University of California forscht dazu, wie es uns leichterfällt, in Unsicherheit durchzuhalten. Nachdem das Coronavirus im chinesischen Wuhan ausgebrochen war, hat sie dort Daten gesammelt, die aktuell ausgewertet werden. Strategien, die eine Quarantäne erträglicher machen, sind ihr zufolge Meditation und sogenannte Flow-Erlebnisse. Der Zustand des Flows bezeichnet ein völliges Vertieftsein und Aufgehen in einer Tätigkeit. Genau dabei vergisst der Mensch dann seine Sorgen. Am leichtesten erzeugt man ihn, wenn man sich eine Aufgabe sucht, die Spaß macht und die einen herausfordert.
Mit zahlreichen unterschiedlichen Übungen, Tätigkeiten und Perspektivwechseln können wir also dazu beitragen, Krisen im Allgemeinen und die Corona-Krise im Speziellen besser zu überstehen. Wie genau das gelingt, dafür gibt es kein Patentrezept. Eine Art allgemeine Resilienz, die für jeden Menschen in jeder Situation gleichermaßen gültig wäre, gibt es nicht. Vielmehr ist der Mensch gefragt, sich auf die Suche zu begeben, welcher Weg für ihn der richtige ist. Und: Resilienz hilft nicht gegen jedes Problem. Krisen, die politische, ökonomische oder umweltbedingte Ursachen haben, müssen auch auf diesen Ebenen gelöst werden. Dagegen kommt die individuelle Resilienz nicht an. Aber die Resilienzforschung macht Hoffnung. Es gibt Dinge, die wir tun können und Perspektiven, die wir einnehmen können, um unseren Weg zu finden. Vielleicht überraschen wir uns dabei sogar positiv, denn oftmals merkt der Mensch erst in Krisen, wie stark er tatsächlich ist.