In der Alten Sammlung des Saarlandmuseums hängen bis 15. November Werke italienischer Meister aus dem Lindenau-Museum Altenburg. Thomas Martin, Leiter des Museums für Vor- und Frühgeschichte und Kurator der Ausstellung „… Lorenzetti, Perugino, Botticelli …", erläutert Werke, die Szenen der Passion darstellen.
Herr Martin, wie gehen Sie damit um, dass die Alte Sammlung des Saarlandmuseums nicht mehr für das Publikum zugänglich ist?
Für alle Museen und Kuratoren ist es gegenwärtig eine traurige Zeit, Besucherinnen und Besucher von den Kunstschätzen fernhalten zu müssen. Für die aktuelle Italiener-Ausstellung bei uns im Hause ist es ein ungewöhnlicher Glücksfall, dass eine für Kunstausstellungen ungewöhnlich lange Laufzeit von knapp zehn Monaten von vornherein angesetzt war – da das Museum in Altenburg wegen Kernsanierung dauerhaft geschlossen ist, war mit dem dortigen Direktor besprochen, dass wir seinen Kostbarkeiten eine längere Heimatstatt bieten in unserem „Renaissance-Museum auf Zeit". Wir hoffen natürlich sehr, dass das Museum bald wieder für den Publikumsbetrieb öffnet, aber darauf können und wollen wir uns gegenwärtig nicht ausruhen. Wir arbeiten hinter den Kulissen intensiv daran, die Ausstellung über digitale Kanäle wie Internet und Social Media trotzdem zugänglich zu machen und lebendig zu halten. Ich hatte einen Fotografen im gerade leider sehr stillen Museum, um ansprechende Raumansichten der Italiener-Säle anzufertigen und so dem Publikum bald virtuelle Blicke in die Räume zu ermöglichen. Dankenswerterweise ist das Lindenau-Museum in Altenburg dabei voll auf unserer Linie und begrüßt es sehr, dass wir in dieser schwierigen Zeit durch alternative Medien trotzdem versuchen, diese einmaligen Leihgaben an den Besucher zu bringen.
Ein unbekannter Meister schuf um 1370 die „Kreuzigung Christi". Die Wirkung der Szene auf der kleinformatigen Pappelholztafel ist, jedenfalls bei mir, gewaltig. Das Blut spritzt in weitem Bogen aus der Wunde, Maria Magdalena und Maria blicken herzzerreißend, Johannes bedeckt sein Gesicht, weil er es nicht mehr aushält Jesus beim Sterben zuzusehen. Diese drastische Darstellung: Was bezweckte man? Wie haben die Menschen des Spätmittelalters darauf reagiert?
Zweck der drastischen Darstellungen ist die sogenannte Compassio – das Mit-Fühlen und Mit-Leiden. Der Betrachter soll emotional angesprochen werden und sich der Trauer anschließen. Viele der Bilder sind auch künstlerisch so komponiert, dass der Betrachter sich wie im Kreis der Zuschauer innerhalb des Bildgeschehens befindlich fühlt. In den verschiedenen Typen der Trauernden von in sich gekehrt bis expressiv kann sich jeder persönlich wiederfinden. Man muss ergänzend erwähnen, dass die Passionsdarstellungen gerade im 13. Jahrhundert verstärkt aufkommen, gekoppelt an das Erstarken des Franziskanerordens. Es war Teil der Ordens-Propaganda, dieses Leid zu zeigen mit der Intention, dass der gläubige Betrachter mit-leidet und sich dadurch demütig fühlt. Eine Reaktion darauf, die sich in der Kunstproduktion spiegelt, war das verstärkte Anrufen Marias. Maria gilt als die Fürbittende, die bei Gottvater um Erlösung für die Sünder bitten soll – dieser „Umweg" über Maria ist ein Reflex aus der Lebenswirklichkeit der Menschen damals, die bei einem Problem nicht direkt bei ihrem lokalen Fürsten vorsprachen, sondern den Pfarrer oder Dorfhonoratioren um vermittelnde Fürsprache baten. Maria wurde so zum Ventil der Menschen, nicht an der Erbsünde zu verzweifeln, sondern doch Erlösung zu erfahren. Daher kommen zu den Passionsdarstellungen verstärkt Madonnen und Szenen aus dem Marienleben als Sujet dazu.
Bernardo Daddis „Kreuzigung Christi", um 1345 entstanden, zeigt eine Szenerie mit mehreren Figuren. Eine ist von einem sechseckigen Heiligenschein umgeben. Wer ist das? Drei Spruchbänder mit lateinischen Schriftzeichen sind zu erkennen. Was sollte, über das Bildhafte hinaus, an die Gläubigen vermittelt werden?
Diese Figur stellt den sogenannten „guten Hauptmann" dar. Es handelt sich dabei um den römischen Zenturio als Repräsentant des Römischen Reiches, der die Hinrichtung überwachen sollte. In der Bibel wird diese Szenerie begleitet von ungewöhnlichen Ereignissen wie kurzfristiger Finsternis am Tage. Der gute Hauptmann durchläuft beim Tod Christi am Kreuze eine Läuterung, er erkennt die Unschuld Jesu und wendet sich dem christlichen Glauben zu. Dies wird auch durch das vom ihm ausgehende Spruchband ausdrückt: „Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen" (Matthäus 27,54). Die Spruchbänder helfen, neben speziellen Attributen der handelnden Personen den Inhalt der biblischen Geschichte zu erzählen – ich finde durchaus vergleichbar mit Comics des 20. Jahrhunderts. So verleiht man den Akteuren Stimme und Sprache. Zurück zum guten Hauptmann: Der eckige Heiligenschein des guten Hauptmanns soll ausdrücken, dass er im Gegensatz zu den „richtigen" Heiligen mit rundem Nimbus eine Stufe „weniger heilig" ist.
Beide Szenen erscheinen vor einem goldenen Hintergrund. Welche Bedeutung kommt diesem zu?
Der Goldgrund, der in zahlreichen Bildern hier zu sehen ist, steht für die überirdische Sphäre, der göttliche Raum, der jenseits der menschlichen Vorstellungskraft und daher abstrakt ist. Das Gold schafft dazu eine prachtvoll-majestätische Atmosphäre, vielleicht auch etwas mystisch. Natürlich transportiert es auch den Ausdruck von Reichtum des Stifters oder der Glaubensgemeinschaft, die das Werk mit solch kostbarem Material in Auftrag geben konnte. Der Goldgrund wurde jedoch nach und nach abgelöst von einem illusionistischen Landschaftshintergrund. Gerade die Szenen Jesu, die sich auf der Erde abgespielt haben, wurden den Gläubigen wohl verständlicher, wenn sie in den Bildern auch auf der Erde spielen, nicht im abstrakten Raum – dadurch kann sich der Gläubige besser in die Geschichte hineinversetzen. Die Bilder in der Ausstellung zeigen sehr schön wie sich dieser Wandel Schritt für Schritt vollzog.
In der Ausstellung werden fünf Tafeln von Luca Signorelli gezeigt, die Szenen der Passion darstellen. Die Bilderserie, entstanden um 1507, gehört zu einer Predella. Was ist das?
Die Bilder zeigen sich heute leider gänzlich anders als in ihrer ursprünglichen Wirkung, da sie aus den Kontexten gerissen sind. Sie waren zum Großteil nicht als autarke Einzelbilder gedacht, so wie wir sie heute im Museum erleben, sondern gehörten zu großen Hochaltarsystemen, sogenannte Retabeln, in denen zahlreiche Bildtafeln mit Schnitzwerk zu monumentalen Aufbauten zusammengesetzt waren. Eine Predella bezeichnet dabei die querrechteckige Sockelzone unter dem Hauptaltarbild, die den Aufbau des Hochaltars trug und ebenso verziert war. Im 19. Jahrhundert sind diese Altäre zersägt worden, da sich auf dem Kunstmarkt einzelne Bildtafeln besser verkaufen ließen – die Sammler wollten keine riesigen Gesamtaltäre von einem Künstler, sondern lieber viele Einzelwerke von verschiedenen großen Meistern.
Vom Spätmittelalter zur Renaissance. Ein Riesensprung. Die Figuren haben ihre Starre verloren, der goldene Hintergrund ist durch Landschaft ersetzt. Welche weiteren Charakteristika zeigen sich?
Oh, in der Ausstellung wird dieser Wandel gleich an mehreren Entwicklungslinien aufgezeigt. Frühe Werke wirken noch starr und gefühlslos, wie statuenhafte Kultbilder, die angebetet werden sollen. Dann kommt Mimik und Gestik zu den Figuren und verleiht ihnen dadurch Emotionen von Trauer bis zu heiterer Feierstimmung. Fleisch modelliert Körper, die Figuren haben plötzlich Atem in der Brust. Eine weitere Neuerung ist die sogenannte Storia. Neudeutsch würde man sagen: Es kommt endlich Action ins Bild. Damit meine ich, dass Heilige das statuenhaft Statische, bei dem sie nur mit Erkennungsattribut ausgestattet im Bild stehen, ablegen und Handlung den Bildraum bevölkert. Biblische Geschichten werden durch das Präsentieren der jeweiligen Szene erzählt. Als große Erfindung der Renaissance gilt die Perspektive – durch Anwendung geometrischer Grundsätze wie Fluchtpunkt-Orientierung bei den Bildkompositionen entsteht Tiefenwirkung, die einen real-illusionistischen Raum schafft. Mehr unterschwellig schummelt sich Antike ins Bild. Renaissance kennen wir als Begriff der „Wiedergeburt der Antike". Dennoch bedeutet dies nicht, dass christliche Heilige komplett von antiken Göttern abgelöst werden und plötzlich eine Generation von Heiden heranwächst. Stattdessen hielten die Philosophen der Renaissance wie Marsilio Ficino gerade ein fruchtbares Miteinander des christlichen Glaubens und des antiken Wissens für das Erstrebenswerte, was sich nicht gegenseitig ausschließt. Daher entdeckt man in den christlichen Bildthemen manchmal feine Zitate zur antiken Kunst. Letztlich erfolgt im Geist der Renaissance ein Umbruch im Selbstverständnis des Menschen – das Individuum wird bildwürdig. So entstehen neue Bildgattungen wie das Porträt, in der Ausstellung prominent durch Botticellis Bildnis einer Dame vertreten, aber auch durch Menschen, die in den sakralen Bildthemen die Bildgründe bevölkern als Teil der irdischen Schöpfung.
Besteht eine Möglichkeit den Katalog zu bestellen, um sich auf den Besuch der Ausstellung vorzubereiten und die Zeit bis dahin sinnvoll zu überbrücken?
Diese Frage muss ich mit Ja und Nein beantworten – und zwar aus erfreulichem Grund. Für uns hatte die Ausstellung gleich in den ersten vier Wochen einen so intensiven Zulauf, weit über unseren Erwartungen am Schlossplatz, über 2.500 Besucher im ersten Monat. Und diese Besucher haben so fleißig auch den Ausstellungskatalog gekauft, dass die erste Auflage bereits vergriffen ist und wir eine zweite nachbestellen mussten. Interessenten können sehr gerne das Buch über die Website des Museums – www.kulturbesitz.de > Stiftung > Publikationen – bestellen, sobald die Druckerei geliefert hat, wird es postalisch zugeschickt. Übrigens: Dort finden Sie auch eine Liste weiterer Publikationen des Museums, die die Stunden zu Hause mit abwechslungsreicher Lektüre füllen können.