Bei Sascha Grammel trifft Comedy auf Puppenspiel, Bauchrednerei und Zauberei. Im Interview spricht das blonde Multitalent aus Berlin-Spandau über therapeutische Effekte, Political Correctness und wirklich unheimliche Puppen.
Herr Grammel, was macht Puppen wirklich glücklich?
Ich habe herausgefunden, was die Menschen glücklich macht: nämlich Puppen. Weil sie einen ein Stück weit Kind sein lassen. An meiner Puppe Josie fasziniert mich, dass 5.000 Erwachsene plötzlich ganz still werden und ihr gebannt zuhören, obwohl sie offensichtlich eine Puppe ist. Da entsteht so eine schöne Stimmung, und es ist weder albern noch Kindertheater. Ich bin von den Worten dieser kleinen Schildkröte immer wieder selbst ergriffen.
Was mich beim Schauen Ihrer DVD überrascht hat: Manche Zuschauer bringen sogar ihre eigenen Puppen mit in die Show.
Sie basteln sich selbst T-Shirts, sie häkeln und sind unfassbar kreativ. Zum Beispiel ein Pärchen Ende 60. Sie war Richterin und bemalt jetzt liebevoll Keramiktassen mit den Motiven aus meiner Show. Mein Publikum setzt sich aus allen Altersstufen zusammen. Das ist so schön.
Puppen bilden auch bei uns noch immer eine starke Projektionsfläche, obwohl wir als aufgeklärte Mitteleuropäer eine viel rationalere Beziehung zu Gegenständen haben als die Menschen in anderen Kulturen. Was fasziniert die Menschen an Puppen?
Es gibt ganz verschiedene Puppen, zu denen wir unterschiedliche Beziehungen haben. Auf eine Porzellanpuppe im Regal reagiert man zum Beispiel ganz anders als auf eine Handpuppe, die zu einem spricht. Und es gibt auch Puppen, die einem Angst einflößen. Da gibt es ja so einige Gruselfilme.
Warum kaufen sich immer mehr Menschen lebensechte Puppen, dazu gehören neben Erwachsenen-Puppen auch sogenannte Reborn Babys?
So was finde ich auch ein bisschen gruselig, weil solche Puppen eindeutig eine Ersatzfunktion haben. Diese Menschen vermissen etwas und brauchen jemanden. Es ist natürlich schön, wenn man durch eine Puppe eine Lücke füllen kann, aber ein echter menschlicher Kontakt wäre in meinen Augen besser. Ich freue mich jedenfalls, dass ich echte Freunde habe und mich nicht nur mit meinen Tieren unterhalte. (lacht)
Pro Jahr werden in Japan etwa 2.000 Silikonpuppen verkauft. Für die Besitzer sind sie keine Sexpuppen, sondern Partnerinnen. Das Leben mit ihren echten Ehefrauen ist ihnen zu anstrengend.
Ich bin ein wahnsinnig toleranter Mensch. Jeder soll machen, was ihn glücklich macht, wenn er andere damit nicht in irgendeiner Form einschränkt oder verletzt. Die Menschen sind so vielseitig und verschieden. Nicht nur in anderen Kulturen. Schon im eigenen Land, ja selbst in der eigenen Straße. Das finde ich faszinierend.
Halten Sie privat Abstand zu den Puppen?
Also, wir wohnen jetzt nicht zusammen. So weit ist es noch nicht. (lacht) Die Arbeit mit Puppen ist ein großer Teil meines Lebens, den ich wirklich liebe. Auf der Bühne sehe ich sie als Lebewesen und behandle sie auch als solche, aber es gibt einen Punkt, an dem ich sage: Jetzt ist Feierabend. Nämlich wenn die Show vorbei ist. Der Mensch braucht echte soziale Kontakte. Für meine Puppen habe ich ein Lager. Aber ich gestehe: Wir machen immer die Kisten auf, wenn wir sie abstellen. Wir haben Angst, die Puppen kriegen sonst keine Luft.
Wie kamen die Puppen in Ihr Leben?
Früher habe ich gezaubert. Irgendwann habe ich mir die erste Puppe in Amerika bestellt und sie bei meinen Auftritten ab und zu vorgeführt. Damals war alles im kleineren Rahmen. Ich war nie getrieben oder wollte berühmt werden. Im Kulturhaus vor 140 Zuschauern habe ich genauso viel Spaß wie in der großen Halle. Natürlich kann ich mir jetzt ein Känguru leisten, auf dem ich reite, und mir Kulissen nach meinen Vorstellungen bauen lassen, aber ich bin auch schon zufrieden, wenn ich mit einer Socke im Kulturhaus Spandau stehe und die Leute lachen. Ich hatte nie einen Businessplan und habe ihn auch jetzt nicht. Ich mache einfach, was mir Spaß macht.
Finden Sie es ungewöhnlich, als Erwachsener noch immer so viel Lust zu haben, mit Puppen zu spielen?
Ich würde es gar nicht auf die Puppen projizieren, sondern ich bin generell nicht gern erwachsen. Ich liebe es, albern zu sein und bin auch noch mit meinen 45 Jahren eher verspielt und neugierig. Ich schaue mir zum Beispiel gerne Backstage-Berichte an, will wissen, wie die Spezialeffekte funktionieren und hinter die Kulissen gucken. Ich bin offen für alles und unterhalte mich gern mit Menschen. Und auch gerne über Themen, von denen ich keine Ahnung habe. Einmal kam ich mit einem Physikprofessor ins Gespräch. Er erzählte mir von spannenden physikalischen Phänomenen. Das hat mich gefesselt.
Welches war die prägendste Puppenerfahrung Ihrer Kindheit?
Die hatte ich unter anderem mit der Augsburger Puppenkiste. Ich hatte vor ein paar Jahren das Vergnügen, vom Enkel der Gründer in Augsburg durch das Theatermuseum geführt zu werden. Das war ein toller Moment, und ich war erstaunt, wie klein die Bühne dort ist. Das sah im Fernsehen immer so groß aus. Aber auch die „Fraggles", die „Muppet Show", „Der dunkle Kristall". Eigentlich habe ich alles von Jim Henson geliebt.
Waren Sie als Kind so frech wie Ihre Puppe Frederic Freiherr von Furchensumpf?
Nein. Ich war eher harmlos, aber ich habe gerne Quatsch gemacht und viel gelacht. Ich war eine Zeit lang auch ein ziemlich pummeliges Kind und wurde beim Sport immer als Letzter ausgewählt. Obwohl unscheinbar, war ich aber auf jedem Kindergeburtstag eingeladen. Vermutlich, weil ich eigentlich immer mit allen gut ausgekommen bin. Wenn mich etwas stört, sage ich es freundlich, aber direkt. Ich verstecke keine Gefühle.
Ist Ihre witzige Schlagfertigkeit angeboren oder haben Sie sie Schritt für Schritt erlernt?
Ich glaube, es ist eher Mut. Ich bin gar nicht immer schlagfertig, sondern ich versuche, vermeintliche Fehler in etwas Schönes umzuwandeln. Aber das klappt auch nicht immer. Man muss sich trauen, darauf einzugehen, auch auf die Gefahr hin, dass es mal nicht lustig wird. Wenn man die Scheu ablegt und einen Fehler als Angebot sieht, ist zumindest die Chance da, dass es etwas ganz Großes werden kann. Einige Stellen in meinem Programm sind so lustig geworden, weil ich es einfach zugelassen habe. Gerade vor Kurzem bei meinem Auftritt im Tempodrom in Berlin haben die Fehler sich leider etwas gehäuft. Unter anderem ist ein Gurt von Professor Hackes Instrument gerissen. Da war ich ganz schön am Kämpfen und fand es selbst gar nicht mehr lustig. Ich habe aber versucht, das Problem zu bannen und einen Gag daraus zu machen. Was hätte ich aber gemacht, wenn mir das Instrument runtergefallen wäre? Es ist zum Glück noch mal gut ausgegangen, und die Zuschauer, die die Nummer nicht kannten, dachten, es gehört dazu, und fanden es sogar witzig.
Sind Sie im wahren Leben genauso schlagfertig wie auf der Bühne?
Sobald ich in fremdes Terrain komme, fühle ich mich leider nicht mehr so richtig sicher. Deshalb bin ich wohl auch kein guter Talk-Gast. Da muss man ja immer mal etwas frech dazwischen sagen oder eine Frage stellen. Bei einem frühen Kameratraining auf dem Ku‘damm habe ich zum Beispiel kläglich versagt, weil ich einfach zu normal bin. Die Puppen geben mir im Prinzip das, was mir fehlt.
Wie haben Sie früher bei Bewerbungsgesprächen abgeschnitten?
Ich war immer aufgeregt und unsicher. Aber ich habe trotzdem einen Ausbildungsplatz als Zahntechniker bekommen. Und anschließend wurde ich von der Neurologischen Station in der Klinik Berlin als Zivildienstleistender genommen. Diese 13 Monate waren nach anfänglicher Skepsis ein großer Moment in meinem Leben. In diesem Haus in meinem Bezirk traf ich auf viele Menschen, die ganz große Probleme hatten. Durch sie bekam ich jeden Tag vorgeführt, wie gut es einem eigentlich geht. Ich habe in der Klinik „Mensch ärgere Dich nicht"-Runden organisiert oder bin mit Patienten mal ums Haus herumgefahren. Das liebten die Patienten, und das Personal hatte dafür keine Zeit. Einmal habe ich jemandem ein Stück Apfel abgeschnitten, der Schluckprobleme hatte und noch dazu nicht richtig reden konnte. Er wusste, dass er so was nicht essen darf. Wir mussten dann mit ihm zum Notarzt, und ich habe später, als alles wieder in Ordnung war, mit ihm geschimpft. Am nächsten Tag bat er mich wieder um einen Apfel. Da haben wir beide gelacht.
Was haben Sie nach dem Zivildienst getan?
Ich habe noch ein Jahr in meinem Ausbildungsberuf gearbeitet. Dann habe ich gekündigt, um hauptberuflich als Zauberer zu arbeiten. Das war im Prinzip eine Entlastung, weil ich nicht mehr müde vorm Bunsenbrenner sitzen musste, sondern mich auf meine Auftritte konzentrieren konnte.
Was treibt Sie an? Möchten Sie mit Ihren Shows landauf, landab Freude verbreiten oder das Publikum zum Nachdenken anregen?
Ich habe mit dem Ganzen angefangen, weil ich selbst Spaß an dieser Zauberwelt hatte. Und dann kamen positive Reaktionen wie Lachen und Applaus dazu. Für mich war es ein Kompliment, wenn mich ein Brautpaar für seinen schönsten Tag im Leben buchte. Ich möchte die Menschen aus dieser Welt, die mich teilweise auch sehr belastet, herausreißen. In meinem Programm denken sie nicht an den Alltag, sondern lassen kurz mal alles hinter sich. Und ich auch.
Die künstlerische Freiheit scheint durch Shitstorms und Political Correctness zu schwinden. Ist der Witz eine aussterbende Kunstform?
Da komme ich wieder zurück auf meine Zivildienstzeit. Ich habe mit Rollstuhlfahrern, Blinden und anderen behinderten Menschen so viel Spaß gehabt! Die konnten über sich lachen. Mich hat mal ein Blinder beim Einsteigen in den Zug angesprochen: „Na, Herr Grammel!" Ich war verwundert und fragte ihn, wie er mich erkannt hätte. „Na, ich habe Sie im Fernsehen gesehen!" Bei Menschen mit Handicap fehlen die Hemmungen. Ich finde, man darf alles sagen. Man ist einfach Mensch. Wenn sich jemand über eine bestimmte Wortwahl beschwert, kann man ja darauf eingehen. Ich habe zum Beispiel einen harmlosen Gag, bei dem in einem Wortspiel der Name Mustafa vorkommt. Das kann aus dem Kontext heraus heutzutage in den falschen Hals gelangen, was ich traurig finde. Wenn ich einen Witz über meinen türkischen Kumpel mache, macht der auch einen Witz über mich. Ohne Hintergedanken. Man darf sich nicht verletzen, aber man darf doch zusammen Spaß haben.