Über Morgenübelkeit, Schokoladenhunger und andere Gelüste bei Schwangeren
Juhu, endlich für zwei essen. Eine Tüte Chips auf der Couch? Her damit! Eine Tafel Schokolade nach dem Essen? Ich bin dabei! Endlich so viel futtern wie man will – und das ganz ohne schlechtes Gewissen, denn man isst ja für zwei und muss schließlich dafür Sorge tragen, dass der neue, noch ungeborene Erdenbürger ordentlich wachsen kann. Eine Schwangerschaft ist ein Freifahrtschein für grenzenloses Schlemmen … oder nicht?
Leider hielt diese Euphorie nicht lange an, und der Zahn wurde mir schnell gezogen. „Um Gottes Willen", sagte mein Arzt, als ich von der täglichen Tafel Schokolade zum Abendessen erzählte, um kurz danach das Wort „Schwangerschaftsdiabetes" hinterherzuschieben. Ich dachte, das sei nur so eine Redewendung, die man zur Abschreckung benutzt – ist es aber wohl nicht. Und der Satz „jetzt darfst du für zwei essen" stimmt leider auch nicht.
Tatsächlich ist der tägliche Bedarf am Anfang nur um etwa 100 Kalorien am Tag erhöht, was etwa einer kleinen Scheibe Brot entspricht – ohne Belag. Später dann um knapp 250 Kalorien pro Tag. Was zwar zum Brot noch eine Scheibe Käse und einen Apfel erlaubt, aber immer noch nicht mal die Werte einer halben Tafel Schokolade abdeckt. Mist! Dabei wäre es nur fair gewesen, neben den ganzen Unannehmlichkeiten, die man als Frau während der neun Monate so durchlebt, ein paar Vorteile zu haben.
Und noch eine Frage beschäftigt mich: Wer hat eigentlich das Märchen von der Morgenübelkeit erfunden? Also mir war wochenlang permanent flau im Magen. Zudem hatte ich ständig Hunger – und nach dem Essen war mir wieder schlecht: ein Teufelskreis. Vielleicht auch eine Folge des übermäßigen Schoko-Konsums, aber auch nach deutlichem Zurückschrauben der täglichen Dosis wurde es nicht wesentlich besser.
Was mir durch diese Zeit geholfen hat, waren Salzstangen. Die habe ich schon als Kind bekommen, wenn es mir auf Autofahrten nicht gut ging. Und saure Gurken. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, aber es ist tatsächlich kein Mythos. Schuld sind die Hormone, die permanent für Turbulenzen im Körper sorgen. Sie verändern Geruchs- und Geschmackssinn und sorgen für völlig neue Vorlieben und Abneigungen. Der hohe Gehalt an Natrium, Eisen und Salz ist wohl ein weiterer Grund, warum Schwangeren so oft nach Essiggurken gelüstet. Und ein Zeichen, dass sie genau diese Stoffe jetzt brauchen. Denn der Salzbedarf ist während der Schwangerschaft erhöht. Also gibt es doch noch eine gute Nachricht, was das Essen angeht: Endlich ist Nachsalzen erlaubt. Und allen blöden Kommentaren kann man sogar wissenschaftlich begegnen, während man genüsslich zum Salzstreuer greift.
So langsam wird es auch etwas besser mit der Übelkeit. Und obwohl ich mein gutes Verhältnis zu meinem Bauch noch nicht wieder vollständig aufgebaut habe, habe ich mich vorige Woche getraut, mal wieder einen Döner zu essen – denn ja, auch Fleisch steht plötzlich ganz oben auf der „Muss ich haben und zwar sofort"-Hitliste. Und – oh Wunder – ich habe den Verzehr des Kebapspieß’ nicht sofort bereut. Jetzt gilt es darauf zu achten, nicht jedem Gelüst nachzugeben und den Körper mit den richtigen Nährstoffen zu versorgen: Ballaststoffe, Vitamine, Eiweiße, gute Kohlenhydrate und Fette. Dass eine Schwangerschaft kein Freibrief für eine tägliche Tafel Schokolade am Abend ist, habe ich inzwischen verstanden und versuche mich – mal besser, mal schlechter – daran zu halten.
Und es gibt auch positive Beispiele, die zeigen, dass sich der Körper mit den Gelüsten holt, was er braucht. Letztens – vor der Corona-Ausgangsbeschränkung – hatte ich abends plötzlich unbändige Lust auf frisches Obst. Ein knackiger Apfel, eine saftige Ananas – egal. War zwar etwas unangenehm, dass ich von einer Sekunde auf die andere an nichts anderes mehr denken konnte, aber immerhin ein Gelüst, dem man gerne nachgibt. Zum Glück waren wir in der Nähe eines Bahnhofs und der Kiosk hatte tatsächlich kleine Becherchen mit Obstsalat. Trauben, Melone, Kiwi – perfekt! Um zukünftig für solche Notfälle gerüstet zu sein, habe ich jetzt immer einen Apfel in der Handtasche. Leider war das wohl nur ein vorübergehendes Gelüst, denn gebraucht habe ich ihn bisher nicht. Ich bin gespannt, was als Nächstes dran kommt.