Weltweit arbeiten Ärzte an Impfstoffen, aber auch an Medikamenten. Möglicherweise stehen diese schneller zur Verfügung als eine Impfung, weil die Arzneimittel-entwicklung gegen Coronaviren nicht bei null beginnt und die Forschung relativ weit vorangeschritten ist.
Es war ein lauter Streit, berichten mehrere US-amerikanische Medien übereinstimmend. Peter Navarro, Präsident Trumps Handelsberater und verantwortlich für die Durchsetzung des kürzlich in Kraft getretenen „Defense Production Act", stritt sich mit dem Top-Experten für Epidemien im Krisenstab des Weißen Hauses, Anthony Fauci. Der „Defense Production Act", ein Gesetz aus dem Koreakrieg, weist die US-Wirtschaft an, kriegswichtige Produkte herzustellen – und zu denen gehört nach Meinung des US-Präsidenten und einigen seiner Berater nun ein Wirkstoff namens Hydroxychloroquin. Das Anti-Malariamittel wird auch in der Behandlung von Rheuma und systemischem Lupus eingesetzt, einer Autoimmunerkrankung. Der Streit im Weißen Haus entzündete sich daran, inwieweit das Medikament jetzt schon zur Behandlung von Covid-19 geeignet ist. Das amerikanische Gesundheitsministerium hat die Behandlung im Notfall bereits erlaubt. 29 Millionen Dosen des Medikaments habe man bereits auf Lager, verkündete Trump auf einer seiner täglichen Pressekonferenzen. „Nehmt es. Was habt ihr zu verlieren?", sagte der US-Präsident. Anthony Fauci aber wies in der Sitzung darauf hin, dass es klinisch überhaupt nicht erwiesen sei, dass das Medikament bei Covid-19-Patienten zuverlässig wirke – woraufhin es zu dem hitzigen Wortwechsel kam, wie das Magazin „Politico" berichtet.
Die Zusammenarbeit läuft weltweit
Das bereits in den 30er-Jahren entwickelte Medikament zur Malaria-Prophylaxe ist schon seit einigen Wochen in den USA im Gespräch, nachdem Tests an Zellkulturen angeblich gezeigt haben, dass es die Vermehrung der Viren hemme. Auch chinesische Ärzte in Wuhan hätten das Mittel erfolgreich eingesetzt, berichtet das US-Branchenblatt „Fierce Pharma". Repräsentative Tests liegen aber nicht vor, einige der Studien werden von Experten angezweifelt.
Dies bestätigt auch Prof. Stefan Ludwig, Koordinator der Zoonose-Plattform Deutschland an der Universität Münster. Der Virologe beschäftigt sich mit Infektionskrankheiten, die vom Tier auf den Menschen übergehen. Dies soll beim neuartigen Coronavirus Sars-CoV-2 geschehen sein. „Hydroxychloroquin halte ich nach jetzigem Kenntnisstand für den am wenigsten geeigneten Wirkstoff", sagt Ludwig im FORUM-Interview. „Es hat extrem viele Nebenwirkungen."
Global arbeiten Ärzte an einer medizinischen Lösung für das Virusproblem, das die Welt lahmlegt – auch mit chloroquinhaltigen Stoffen. Auch Deutschland deckt sich mittlerweile mit Medikamenten ein, die hilfsweise bei der Lungenkrankheit Covid-19 zum Einsatz kommen könnten. Das Bundesgesundheitsministerium teilte der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" mit, die Beschaffung der antiviralen Grippetablette Avigan zum Einsatz bei schwerwiegenden Covid-19-Verläufen werde eingeleitet. Das gelte ebenso für die Medikamente Kaletra, Foipan sowie andere, chloroquin- und hydroxychloroquinhaltige Arzneimittel. „Die beschafften Arzneimittel werden über Apotheken von Universitätskliniken sowie Apotheken der Behandlungszentren für die stationäre Versorgung betroffener Patienten verteilt, teilte ein Ministeriumssprecher der Zeitung mit. Allerdings sagte ein Sprecher des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte in Bonn, dass sich aktuell zu keinem der genannten Arzneimittel Aussagen zu dessen Wirksamkeit bei Covid-19 treffen ließen. Die Ergebnisse laufender klinischer Prüfungen blieben abzuwarten.
Die Patienten müssten jedoch geschützt werden, so Bundesgesundheitsminister Jens Spahn gegenüber der Presse, da jedes Medikament auch Nebenwirkungen habe. Es gebe auch in Deutschland bereits eine Reihe von Studien, auch zu dem „alten Malaria-Mittel" Resochin (Wirkstoff Chloroquinphosphat) des Pharma- und Chemiekonzerns Bayer, aber auch weitere Medikamente, die helfen könnten. Auf jeden Fall werde deutlich früher ein Medikament als ein Impfstoff auf dem Markt sein, sagte Spahn, und ist damit auf einer Linie mit vielen Experten. „Die Impfstoffentwicklung ist noch mal herausfordernder. Das Malaria-Medikament kennen wir seit Jahren und Jahrzehnten. Da kennen wir Wirkungen und Nebenwirkungen", sagte Spahn. Diese Wirkungen und Nebenwirkungen müsse man nun neu für den Einsatz zur Behandlung von Coronavirus-Erkrankungen abwägen. „Der Impfstoff ist eher eine Frage von mehreren Monaten als von wenigen Monaten." Bayer hatte bereits mitgeteilt, in Europa Produktionsmöglichkeiten für den Wirkstoff Chloroquin zu schaffen.
In Deutschland arbeitet unter anderem das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung sowohl am Impfstoff wie auch an Medikamenten gegen Sars-CoV-2. Alleine dort laufen derzeit neun Studien zu dem neuen Coronavirus, im Tübinger Institut für Tropenmedizin und in Köln unter anderem mit Hydroxychloriquin in der Studienphase III –
sprich das Medikament wird Patienten verabreicht. Wie in den USA ist es auch hierzulande für den Notfallgebrauch mittlerweile zugelassen, also für Patienten mit schwerem Krankheitsverlauf nach ethischer Abwägung im Einzelfall.
Warten auf Daten klinischer Tests
Auch andere Stoffe befinden sich in der Testung in verschiedenen Studienphasen, darunter auch das Medikament Remdesivir, das mit nur moderatem Erfolg gegen Ebola eingesetzt wird. Keines der Medikamente in der derzeitigen öffentlichen Aufmerksamkeit aber kommt ohne Nebenwirkungen aus. Remdesivir etwa, so empfiehlt es die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA, sollte nur bei beatmeten Covid-19-Patienten oder Studien zum Einsatz kommen, „bei denen es noch nicht zu Multiorganversagen gekommen ist", so die Behörde. Das Mittel könne die Nierenfunktion beeinträchtigen, auch Auswirkungen auf die Leber seien zu befürchten. Der Hersteller von Remdesivir, der US-Pharmariese Gilead, bereitet sich dennoch offenbar auf eine verstärkte Nachfrage vor, auch angesichts ausgeweiteter klinischer Studien. Die derzeit bereitstehenden 1,5 Millionen Dosen sollen gespendet werden, so Gilead-CEO Daniel O’Day in einem offenen Brief. „Es gibt Einzelberichte aus China, die eine Wirkung im Einsatz gegen Covid-19 vermuten lassen", erklärt Prof. Ludwig von der Universität Münster. „Wir erhalten derzeit erste Bestätigungen in klinischen Tests." Auch Prof. Dr. Bernd Salzberger aus der Infektiologie des Universitätsklinikums Regensburg bestätigt Remdesivir gegenüber FORUM als „vermutlich aktivste Substanz", bleibt aber gleichfalls vorsichtig: „Wir warten auf die Daten der behandelten Patienten aus China."
Gleichfalls warnt die französische Arzneimittelbehörde (ANSM) die französische Ärzteschaft am 30. März vor Hydroxychloroquin und dem HIV-Medikament Kaletra: Auf keinen Fall dürften diese Medikamente von niedergelassenen Ärzten für Covid-19-Patienten verschrieben werden, da ihre Wirksamkeit nicht nachgewiesen sei und es zu Fällen schwerer Nebenwirkungen in Verbindung mit anderen Medikamenten wie zum Beispiel dem Antibiotikum Azithromycin gekommen sei, die man derzeit untersuche, heißt es in einer Mitteilung der ANSM. Möglicherweise hat der amerikanische Präsident ein Memo nicht gelesen: Er pries bei seiner Pressekonferenz am Sonntag voriger Woche erneut das Anti-Malaria-Medikament an. Und es wirke wohl noch besser, wenn Menschen es zusammen mit einem Antibiotika einnehmen, auch gerne präventiv. Zumindest die, die keine Herzprobleme haben, wie er ergänzte.
Die Suche nach einem Wirkstoff wird sich noch eine Weile hinziehen, erklärt Prof. Ludwig – auch wenn manche eine schnelle Lösung herbeisehnen. Möglicherweise könne man klinische Studien angesichts der Dringlichkeit ethisch vertretbar verkürzen. „Das darf aber kein Dauerzustand sein", mahnte Ludwig. Fragliche Medikamente einzusetzen dürfe nur der letzte Ausweg bei kritischen Patienten sein. Dies ist auch die Linie des Bundesamtes für Arzneimittel, das diese Tests genehmigen muss. „Insgesamt ist hierbei das größte Problem der extrem knappe Zeitraum", schränkt Prof. Salzberger aus Regensburg ein. „Viele Planungen werden daran scheitern. Das größte Problem ist die Geschwindigkeit der Krankheitswelle. Es ist zu befürchten, dass wir ähnlich wie in China Studien nicht vollständig, also mit der notwendigen Zahl von Patienten durchführen können, weil diese Welle rasch steigt und danach auch wieder rasch abfällt." Die Wege sind also noch lang bis zur medikamentösen Behandlung – möglicherweise aber kürzer als bis zum Impfstoff.