Viel ist dieser Tage über ihn geschrieben worden, jenen streitbaren „Herz-Jesu-Marxisten" mit CDU-Parteibuch. Berechtigte Anerkennung für Norbert Blüm und sein Wirken, der als „das soziale Gewissen" seiner Partei und einer Phase der Bundespolitik insgesamt galt. Es waren vor allem die letzten anderthalb Jahrzehnte des vergangenen Jahrhunderts. Kämpfer wie er sind seither rar. Das „soziale Gewissen" hat in den ersten zwei Jahrzehnten des neuen Jahrhunderts nicht die Hauptrolle auf der politischen Bühne eingenommen.
Die Zeiten standen nicht so sehr auf Soziales, obwohl der mit Abstand größte Posten im Bundeshaushalt auf diesen Bereich entfällt. Einen Hinweis auf diese scheinbare Widersprüchlichkeit gab Norbert Blüm selbst, als er sich zu seinem 75. Geburtstag (2010) noch einmal die christliche Soziallehre vornahm und befand, dass sie eine „Idee im Tiefschlaf" sei. Die Höhe der Ausgaben ist eine Kennziffer, aber sagt sie wirklich etwas darüber, wie sozial es in einem Land zugeht?
Das ist eine der vergessenen Fragen.
Die andere, grundsätzlichere: Was ist eigentlich „sozial"? Just als Blüm die christliche Soziallehre im Tiefschlaf wähnte, waren Banken „systemrelevant". Jetzt sind es Menschen, die einen Dienst für Menschen leisten, denen das sperrige Adjektiv zugeschrieben wird. Corona sei Dank. Ob sich Blüm über diesen Ansatz von Paradigmenwechsel gefreut hätte? Inhaltlich vermutlich schon, auch wenn ihm das „systemrelevant" ziemlich fremd vorgekommen wäre. Menschen sollten für Menschen relevant sein, nicht für Systeme, hätte sich der gelernte Werkzeugmacher und studierte Philosoph vermutlich gedacht. Und geärgerte hätte ihn, dass die Erkenntnis nicht aus Einsicht und Überzeugung zustande kam. Da brauchte es schon eine Pandemie, die den Blick auf Wesentliches lenkt. Blüm hätte sich die Chance zum Kämpfen trotzdem wohl kaum entgehen lassen, wie immer, wenn es um soziale Gerechtigkeit ging.
Die Überzeugungen wie die eines „Herz-Jesu-Marxisten" sind in den neoliberalen Jahren als politische Kategorie verschütt gegangen, aber vielleicht nicht ganz verloren. Und vielleicht lehrt Corona, dass sie moderner waren als das, was zwischenzeitlich als modern daher kam.