Der AC Mailand, Sampdoria Genua und Juventus Turin waren die Europapokalsieger der Saison 1989/90. Zum ersten und einzigen Mal in der Geschichte des europäischen Fußballs räumte damit ein Land in einer Spielzeit in allen drei Vereinswettbewerben den Titel ab.
Milans Kapitän Franco Baresi hob den Henkelpott für den Gewinner des Europapokals der Landesmeister in den Wiener Nachthimmel. Mit 2:0 hatte der AC Mailand zuvor am 23. Mai 1990 in Europas wichtigstem Clubwettbewerb gegen Benfica Lissabon gewonnen und damit den italienischen Triumph in der Saison 1989/90 perfekt gemacht. Zum ersten Mal in der Geschichte des europäischen Fußballs räumte damit ein einziges Land in einer Spielzeit alle drei Europapokalwettbewerbe ab. Denn neben dem Landesmeisterpokal holten die italienischen Vertreter vor 30 Jahren auch noch den Europapokal der Pokalsieger durch Sampdoria Genua sowie den Uefa-Cup durch Juventus Turin.
Ein astreiner Sweep, der bis heute nicht wieder erreicht wurde. Nachdem der Europapokal der Pokalsieger 1999 abgeschafft wurde und seitdem nur noch zwei Europapokalwettbewerbe existieren, schafften es zwar auch die Spanier (fünfmal) sowie einmal die Engländer, beide Trophäen nach Hause zu nehmen – im vergangenen Jahr siegten der FC Liverpool in der Champions League und der FC Chelsea in der Europa League. In den letzten sechs Jahren ereignete sich ein solches Double sogar gleich fünfmal. Das Titel-Triple indes blieb einzigartig. Die italienische Serie A war damals klar die stärkste Liga Europas, was sich auch darin zeigte, dass die nationale Meisterschaft in jener Saison keiner der drei Europapokalsieger holte, sondern der SSC Neapel. Fast wehmütig blicken die Tifosi heute auf diese Erfolge zurück. Erst recht in einer Saison, in der die Serie A wegen des Coronavirus als erste europäische Topliga den Spielbetrieb einstellen musste.
Dabei hatte es auch 1989/90 nicht gut angefangen. Im Landesmeisterpokal, der damals noch nach einem reinen Pokalmodus mit Hin- und Rückspiel und ohne Gruppenspiele wie in der heutigen Champions League ausgetragen wurde, war Italiens Champion Inter Mailand bereits in der ersten Runde am schwedischen Vertreter Malmö FF gescheitert. Auch DDR-Meister Dynamo Dresden strich gegen AEK Athen vorzeitig die Segel. Dagegen überstand der AC Mailand seine erste Bewährungsprobe gegen den HJK Helsinki aus Finnland souverän.
Der AC Mailand hatte den Europapokal der Landesmeister bereits in der vorherigen Saison 1988/89 gewonnen und sich überhaupt nur deshalb für die neue
Spielzeit erneut seinen Startplatz gesichert, den man als Liga-Dritter ansonsten verpasst hätte. Nun behielt Milan in der zweiten Runde auch im Gigantentreffen mit Real Madrid die Oberhand, genau wie anschließend im Viertelfinale gegen den KV Mechelen aus Belgien. Im Halbfinale traf man auf den Deutschen Meister FC Bayern München. Am Ende zog Mailand nach einem 1:0 und 1:2 nach Verlängerung aufgrund der Auswärtstorregel ins Endspiel ein. Immerhin gelang den Bayern um Kapitän Klaus Augenthaler im Rückspiel in bislang zehn Aufeinandertreffen der einzige Sieg gegen den AC. Bis heute ist Mailand für den deutschen Rekordmeister ein absoluter Angstgegner im Europapokal geblieben.
Der AC Mailand verteidigte seinen Titel
Im anderen Halbfinale setzte sich Benfica Lissabon ebenfalls aufgrund der größeren Zahl der auswärts erzielten Tore gegen Olympique Marseille durch. Im Endspiel am 23. Mai 1990 im Wiener Praterstadion war der AC Mailand jedoch zu stark für die Portugiesen. Das goldene Tor erzielte Frank Rijkaard – der Niederländer sollte im selben Jahr mit seiner Spuckattacke bei der WM gegen Rudi Völler noch traurige Berühmtheit erlangen. Neben ihm standen mit Ruud Gullit und Marco van Basten zwei weitere Weltstars in Oranje im AC-Aufgebot und belebten die Offensive der Männer in Rot-Schwarz. In der Abwehr konnte sich Trainer Arrigo Sacchi auf Spieler wie Franco Baresi, Paolo Maldini und Alessandro Costacurta verlassen. Auch der spätere Bayern-Trainer Carlo Ancelotti war im Mittelfeld ein fester Bestandteil der Mailänder Mannschaft.
Eine stabile Defensive war auch für den zweiten italienischen Europokalgewinner dieses Jahres der Schlüssel zum Erfolg. Sampdoria Genua gewann den Europapokal der Pokalsieger durch ein 2:0 im Finale gegen den RSC Anderlecht aus Belgien und blieb dabei während des gesamten Wettbewerbs zu Hause ohne Gegentor. Im Tor stand Gianluca Pagliuca, mit 592 Einsätzen Rekordtorhüter der Serie A; in der Verteidigung vertraute der jugoslawische Coach Vujadin Boskov auf Spieler wie Luca Pellegrini oder Pietro Vierchowod.
Frank Rijkaard erzielte das goldene Tor
Bereits ein Jahr zuvor hatte Sampdoria das Endspiel dieses Wettbewerbs erreicht, war dort aber dem spanischen Spitzenverein FC Barcelona unterlegen. Dieses Mal ging es nach zwei Siegen zum Auftakt gegen Brann Bergen aus Norwegen in der zweiten Runde gleich gegen DFB-Pokalsieger Borussia Dortmund, der in der ersten Runde Besiktas Istanbul ausgeschaltet hatte. Der BVB dominierte das Hinspiel und spielte die Italiener nach der Pause fast an die Wand – das 1:1 war insofern eine verpasste Gelegenheit. Erst eine Minute vor dem Abpfiff kamen die Gäste durch Roberto Mancini, den heutigen Nationaltrainer der Squadra Azzurra, zum Ausgleich. Auch im Rückspiel übernahmen die Borussen zunächst das Kommando, doch nach zwei Treffern von Genuas Topscorer Gianluca Vialli – darunter ein Elfmeter – war der deutsche Vertreter ausgeschieden und Sampdoria eine Runde weiter. „Schade, dass von diesen beiden starken Mannschaften nur eine weiterkommen konnte", meinte Dortmunds Stürmer Frank Mill. Auch DDR-Pokalsieger BFC Dynamo Berlin scheiterte in Runde zwei am AS Monaco.
Im Viertelfinale schlug Genua anschließend die Grasshoppers Zürich, in der Vorschlussrunde dann Monaco, während Anderlecht Dinamo Bukarest bezwang. Das Endspiel am 9. Mai 1990 im Ullevi-Stadion von Göteborg ging in die Verlängerung, in der schließlich Gianluca Vialli mit einem Doppelschlag (105./107.) alles klar machte. Mit sieben Treffern wurde er in dieser Spielzeit auch Torschützenkönig im Pokalsiegerwettbewerb.
Im Uefa-Cup bekamen die Zuschauer 1989/90 sogar ein rein italienisches Endspiel zu sehen – ein weiterer Beleg für die damals führende Rolle der Serie A in Europa. Juventus Turin setzte sich am 2. und 16. Mai in zwei Partien mit 3:1 und 0:0 gegen den AC Florenz durch. Die Fiorentina erreichte das Finalspiel, obwohl man im gesamten Wettbewerb nicht ein einziges echtes Heimspiel bestreiten durfte. Weil das eigene Stadion wegen der bevorstehenden Weltmeisterschaft 1990 in Italien umgebaut wurde, wich Florenz stattdessen zumeist nach Perugia aus. Das Rückspiel im Finale wurde dann vom Verband allerdings nach Avellino verlegt und damit ausgerechnet in eine Juve-Hochburg. Zum Leidwesen der AC-Fans lotste die „Alte Dame" anschließend auch noch Fiorentina-Star Roberto Baggio nach Turin – für umgerechnet rund 15,2 Millionen Mark, damals der teuerste Transfer der Welt.
Das Endspiel ging in die Verlängerung
Auch Thomas Häßler vom 1. FC Köln wechselte zur folgenden Saison zu Juventus, nachdem er mit seiner Mannschaft im Halbfinale des Uefa-Cups nur knapp gegen die Turiner unterlegen war. Im anderen Halbfinale hatte sich Florenz ebenfalls gegen eine deutsche Mannschaft durchgesetzt: Werder Bremen. Schon in den Runden zuvor hatte es mehrere Duelle zwischen Vertretern aus Italien und Deutschland gegeben, von denen es in jener Spielzeit gleich ein halbes Dutzend gab: Neben den schon genannten Clubs mischten auch der Hamburger SV, der VfB Stuttgart (Aus in Runde drei) sowie die beiden DDR-Vereine Hansa Rostock (Aus in Runde eins) und FC Karl-Marx-Stadt europäisch mit. Juventus mit seinem Top-Torjäger Salvatore Schillaci besiegte in Runde drei zunächst Karl-Marx-Stadt – wobei der Außenseiter aus Ostdeutschland lange ebenbürtig war – und anschließend im Viertelfinale den HSV. In den ersten beiden Runden hatte Turin mit Trainer Dino Zoff gegen Górnik Zabrze aus Polen und Paris Saint-Germain gewonnen. Florenz erreichte die Endspiele durch Erfolge gegen Atlético Madrid, den FC Sochaux aus Frankreich, Dynamo Kiew, den AJ Auxerre ebenfalls aus Frankreich und eben Bremen.
So viele Vereinserfolge schürten bei den Tifosi die Hoffnung auf einen ähnlichen Erfolg bei der Heim-WM 1990. „Un’estate italiana", ein italienischer Sommer sollte es werden – so hieß auch die offizielle Hymne zum Turnier der beiden Musiker Edoardo Bennato und Gianna Nannini. Doch der Traum vom Titel endete im Halbfinale gegen die Argentinier; am Ende wurde die Squadra Azzurra Dritter. Den Pokal sicherte sich vor 30 Jahren Deutschland. Dass DFB-Kapitän Lothar Matthäus, Finaltorschütze Andreas Brehme und etliche weitere Spieler aus dem Weltmeisterteam damals in der Serie A ihre Brötchen verdienten, dürfte die Italiener dabei kaum getröstet haben.