Der neue Generaldirektor des Weltkulturerbes Völklinger Hütte, Dr. Ralf Beil, skizziert seinen Wirkungsort und angedachte Pläne dafür.
Herr Dr. Beil, womit glauben Sie, haben Sie den Aufsichtsrat bei der Neubesetzung des Generaldirektors des Weltkulturerbes Völklinger Hütte überzeugt?
Es ist, so denke ich, von Vorteil, wenn man sehr klar ist und lebhaft darstellen kann, wie ein neues Weltkulturerbe-Profil aussehen könnte. Im Bewerbungsgespräch hatte ich das Vergnügen, ein Fünfjahresprogramm vorzustellen, beziehungsweise umgekehrt zu schildern, was in der Völklinger Hütte realisiert wurde während meiner ersten Amtszeit. Ich habe also aus der Warte von 2025 präsentiert, was wir hier alles erreicht haben – das war ein sehr interessantes und offenbar auch überzeugendes Rollenspiel. Was auch für mich gesprochen hat, ist sicherlich, dass ich sehr breit aufgestellt bin. Versiert als interdisziplinärer Ausstellungsmacher, kann ich erfolgreich Themen in den Medien und bei einem großen, generationenübergreifenden Publikum platzieren. Ich kann Partnerschaften auf Augenhöhe umsetzen. Hinzu kommen noch zwölf Jahre Leitungserfahrung als Direktor in unterschiedlichsten Häusern. Last but not least habe ich eine große Affinität zu Frankreich und Luxemburg: Ich freue mich schon darauf, grenzüberschreitend mit den Akteuren der Großregion zusammenzuarbeiten.
Als Direktor des Kunstmuseums Wolfsburg wurden Sie vor Vertragsablauf beurlaubt. Das Kunstmuseum Wolfsburg als private und gemeinnützige Stiftung, getragen von der Kunststiftung Volkswagen, wird von VW mitfinanziert. Mutmaßlich gefiel nicht, dass Sie sich kritisch mit der Geschichte des Volkswagenwerks beschäftigten.
Genießen Kuratoren bei staatlichen Institutionen mehr Freiheit?
Das kann man so pauschal nicht sagen. Ich gehe jedoch davon aus, dass ich hier im Saarland mehr künstlerische Freiheit haben werde als in der Monokultur der Konzernstadt. Ich erhoffe mir, in der Völklinger Hütte ganz anders arbeiten zu können – definitiv.
Die Völklinger Hütte wird formelhaft als „besonderer Ort“ beschrieben. Was macht den Ort für Sie besonders?
Für mich beruht die Besonderheit des Weltkulturerbes zum einen auf der starken atmosphärischen Qualität der unterschiedlichen Schauplätze: von der auratischen Gebläsehalle über den spröden Charme der Möllerhalle bis zur Gartenlandschaft des Paradieses. Zum anderen ist da die intensive Gegenwart von Geschichte. Hier spürt man hautnah, was gemeint ist, wenn vom Anthropozän, dem von Menschen geprägten Erdzeitalter, die Rede ist. Dieses Eisenwerk hat mit seinen Industrieprodukten die Welt verändert – im Krieg ebenso wie in Friedenszeiten.
Die Völklinger Hütte ist nicht aus ästhetischen Überlegungen entstanden. An dem Industriestandort haben Tausende Menschen schwere Arbeit verrichtet. Die Völklinger Hütte wird auch als Industriekathedrale bezeichnet. Gewinnen Sie dem Begriff etwas ab?
Das Weltkulturerbe Völklinger Hütte ist für mich keine Kathedrale, sondern ein einzigartiges Monument der Industriekultur – ein eminentes Zeugnis des Umgangs mit der „Ressource Natur“ und der „Ressource Mensch“. Die Völklinger Hütte hat sich bis 1986 immer wieder organisch weiterentwickelt und ausgebreitet im Dienste der Roheisenproduktion. Die historische Hütte ist keine Kulisse, sondern ein realer Arbeitsort – allenfalls ästhetisiert durch die Aura von Rost und Verfall, die spätestens seit den 60er- Jahren in der Kunst eine Rolle spielt, denken Sie nur an Richard Serra und Joseph Beuys. Für mich ist die einstige Industrieanlage mit all ihren Facetten von ungeheurem Reiz, aber sie ist kein „Gesamtkunstwerk“.
Sind Sie der Auffassung, dass die von Ihnen geplanten Ausstellungen thematisch mit dem Ort verbunden sein müssen oder ist das für Sie nicht entscheidend?
Doch, das ist auf jeden Fall wichtig. Das sollte unbedingt so sein, dass man mehr, als das bisher vielleicht der Fall war, Zusammenhänge erkennt. Man kann starke Ausstellungen machen und sich zugleich auf den Ort beziehen. Die riesigen Räder in der Gebläsehalle beispielsweise stehen für mich metaphorisch für die großen Schwungräder der Geschichte …
… die Gebläsehalle betrachten Sie als zentralen Ausstellungsort?
Sie hat zumindest den stärksten Eigencharakter als exemplarischer Maschinenraum der Moderne. Wenn ich dort einer Jahrhundertfigur eine Ausstellung widme, dann stellt die Gebläsehalle unweigerlich die Frage: Wie behauptet sich diese Figur im Räderwerk der Geschichte? Die Gebläsehalle wird weiter ein zentraler Ausstellungsort sein, aber ich möchte sie mit weniger Stellwänden und Vitrinen bespielen. Bei manchen Objekten geht es nicht anders, da der Raum selbst nicht klimatisiert ist, das ist ein restauratorisches Problem. Aber grundsätzlich möchte ich mit leichteren Materialien und mehr Projektionen auf die Aura des Ortes reagieren.
Sie haben verlautbart, dass sie „die Auseinandersetzung mit Realitäten und Visionen unserer Lebenswelt“ verstärken möchten. Was heißt das konkret?
Das heißt, dass wir „Geschichte von unten“ in den Vordergrund rücken und parallel zur Geschichte der Familie Röchling die Geschichte der Generationen von Arbeiterfamilien erfahrbar machen, die die Hütte wortwörtlich am Laufen gehalten haben. Das sind wichtige, bisher eher vernachlässigte Realitäten. Zu den Visionen: Es geht um die grundsätzliche Frage, wie wir unsere Welt entwerfen. Wie soll die Zukunft unseres Planeten aussehen? Was für Produkte brauchen wir in den nächsten Jahrzehnten? Was ist sichtbar von den Strukturen, die unser Leben bestimmen, was unsichtbar? Die Völklinger Hütte war eine ungeheuer gefräßige Maschine, sie musste zu jeder Tages- und Nachtzeit gefüttert werden. Heute füttern wir alle permanent die digitalen Medien mit Daten und Informationen – doch die Maschinen dahinter bleiben weitgehend unsichtbar. Wir reden von immateriellen „Clouds“. Dabei sollten wir eher von den gigantischen Serverfarmen reden. Mir ist wichtig, jenseits von Verschleierungen das zu erkennen und zu zeigen, was unser Leben und Denken wirklich bestimmt. Ich möchte unsere Besucher über das Erleben zum Nachdenken verführen – es geht mir immer um Kopf und Bauch zugleich.
Für Herbst 2021 haben Sie ihre erste Ausstellung angekündigt. In welche Richtung wird Sie gehen?
Es ist noch ein wenig zu früh, um konkret über Projekte zu sprechen. Sie fragen mich am Tag neun meiner Amtszeit, geben Sie mir noch ein paar Tage mehr.
Aber Sie haben doch Ihre Vorstellungen bis 2025 bereits rückwärts offenbart.
Das stimmt. Und ich kann Ihnen versichern, dass ich mindestens zehn Projekte habe, die ich sofort gerne machen würde. Doch was passt am besten? Wie geht es weiter mit Corona? Kann man derzeit ein Großprojekt mit internationalen Leihgebern machen? Wie entwickelt sich diese Welt? Und wenn ich mit Künstlern aus Übersee arbeite –
können die überhaupt kommen? Ich habe viele Pferde im Stall, kann Ihnen aber noch nicht sagen, welches davon ich als Erstes ins Rennen schicke.
Was haben Sie vor Ihrer Berufung über das Bundesland Saarland gewusst?
Wenn sie sich für eine Stelle bewerben, gerade im Direktorenbereich, dann informieren sie sich intensiv über Land und Leute. Als Kunst- und Kulturhistoriker habe ich viel gelesen, von Joseph Roth etwa oder von Ludwig Harig. Am Wichtigsten war jedoch der persönliche Eindruck von Freunden und Bekannten aus dieser Weltregion, dass es sich bei den Saarländern grundsätzlich erstmal um angenehme Zeitgenossen handelt.