SR Klassik am See ist aufs nächste Jahr verschoben. Die Musicalproduktion im Zeltpalast Merzig fällt aus. Die Kammermusiktage vom 26. Juni bis 9. August sollen stattfinden. Kulturunternehmer Joachim Arnold lässt Musikfreunde hoffen.
Das umfangreiche Programm der 35. Kammermusiktage liegt seit Langem vor. Franziska Hölscher, die Künstlerische Leiterin, tüftelte über Monate daran und nutzte ihre Kontakte, um herausragende Musiker an die Saar zu bringen. Waren alle Bemühungen umsonst? In ihrem Vorwort „Liebe Musikfreunde" – geschrieben vor Corona – zitiert sie Beethoven: „Die Kunst will von uns, dass wir nicht stehen bleiben." Die Aufforderung lässt sich in dieser Zeit geradezu als mehrdeutiger Weckruf verstehen. Auch an das Publikum.
Wäre das Publikum bereit, bei einem Abstands- und Hygienekonzept, welches im Zeltpalast Merzig, nicht aber für den ursprünglichen Veranstaltungsort in Mettlach umsetzbar ist, zu kommen? Diese Frage trieb den Kulturveranstalter Joachim Arnold um. Denn nur dann würde es Sinn machen, die Realisierung der Kammermusiktage weiterzuverfolgen. Seit 1986 findet die Veranstaltungsreihe, die sich zum bedeutendsten Kammermusikfestival der Großregion entwickelt hat, statt. Joachim Arnold kontaktierte sein Stammpublikum zwecks einer Umfrage per E-Mail. Er habe „kein Bauchgefühl" gehabt, in welche Richtung das Ergebnis deuten, und auch nicht, wie viele Rückmeldungen er erhalten würde. Von 500 früheren Konzertbesuchern schrieben ungefähr 200 zurück, in der Mehrzahl positiv, aber auch: „Nein, an einer Durchführung der Kammermusiktage im Zeltpalast sind wir nicht interessiert." Die positiven Rückmeldungen jedoch ermutigten ihn: „Guten Tag, lieber Freund, was du aufgebaut und am Leben erhältst: Chapeau! Wir kommen, wir kommen, wir kommen!"
Joachim Arnold strahlt und ruft: „Ist doch irre!" Eine andere Reaktion lautet: „Man muss auch an die Künstler denken, denen das Einkommen weggebrochen ist. Kultur ist ein Stück Lebensqualität." Ein weiterer Musikfreund lobt: „Gratuliere zu Ihrer Flexibilität!" Während der Kulturveranstalter auf dem Smartphone durch seine E-Mails scrollt und vorliest, genieße ich beobachtend den schönen Moment, den nur Menschen einander schenken können – allein durch die Kraft eines guten Wortes.
Der Pianist Kit Armstrong galt als Wunderkind
Die Publikumsreaktionen veranlassten Joachim Arnold dazu, ein Abstands- und Hygienekonzept nicht auf dem Papier zu erdenken, sondern vor Ort umzusetzen. Zehn Mann entfernten Stuhlreihen und bauten Stühle im Zeltpalast wieder auf, um jedem Gast anderthalb Meter Freiraum um sich herum zu sichern. Die Bühnenpodeste wurden umgruppiert und mit einer Fläche von 40 Quadratmeter neu justiert, ein Leitsystem mit Aus- und Eingang wurde installiert. Alles Kosten, die bereits im Vorfeld entstanden sind, ebenso wie die Ertüchtigung der Parkfläche. Tonnen von Schotter waren nötig, um das Areal für die Auto-Kino-Konzerte vorzubereiten, die erstmals wegen Corona angeboten werden. Und auch bei diesem neuen Format hört Arnold auf das Publikum und justiert nach. Konzert plus Kino, manch einem ist das zu viel, beziehungsweise der Abend zu lang. Jedes Modul ist ab sofort einzeln buchbar, ob Konzert, Kino oder DJ-Musik. Bei allen Unwägbarkeiten und zusätzlichen Anstrengungen jammert der Mann nicht, er wirkt energiegeladen: „Warum sollten wir die Kammermusiktage denn ausfallen lassen? Wir machen das!" Das Ordnungsamt Merzig hat seinem Konzept grünes Licht gegeben, die Kulturministerin Christine Streichert-Clivot hat bekräftigt, dass der finanzielle Zuschuss kommen werde – das letzte Wort hat das Innenministerium.
Der Kulturunternehmer Arnold hat aus den Bundesmitteln Soforthilfe erhalten. Die Beantragung über das Wirtschaftsministerium erlebte er als unkompliziert. Dennoch bleibt die Frage: Ist sein Unternehmen bedroht? „Alle privatrechtlich organisierten Kulturunternehmungen sind bedroht. Wer nicht in öffentlicher Trägerschaft befindlich ist, ist bedroht", sagt Arnold, „ich bin zuversichtlich, dass ich das Geschäftsjahr, dieses Katastrophenjahr, auch dank der Sponsoren überstehe. Das große Fragezeichen ist das kommende Jahr. Wie wird sich das Publikum verhalten? In welcher Verfassung werden die Sponsoren sein? In welcher die Gemeinden? Die Gewerbeeinnahmen brechen weg. Das nächste Jahr ist das entscheidende!" Arnold schnauft, als habe er einen Berg erklommen, nimmt neuen Anlauf, grinst und spricht sich Mut zu: „Eigentlich sind wir kleine Helden!"
Das Programm der Kammermusiktage ist zu schön, um auszufallen. Die „heldenhafte Tat", die Reihe durchziehen zu wollen, darf man würdigen.
Die Künstlerische Leiterin Franziska Hölscher legt erneut die Reihe „Kammermusikfest Franziska Hölscher & Freunde" auf. Die Geigerin ist gemeinsam mit dem Pianisten Kit Armstrong für den 2. August angekündigt. Armstrong galt als Wunderkind, da er bereits als Fünfjähriger nicht nur Klavier spielte, sondern auch komponierte. „Er wohnt in Belgien in einer umgebauten Kirche. Er ist ein universal gebildeter Weltbürger. Alfred Brendel hat ihn maßgeblich gefördert. Den muss man natürlich erlebt haben!" Arnold holt kurz Luft: „Natürlich auch Christoph Prégardien! Einer der legendären wichtigsten lyrischen Tenöre." Arnold senkt die Stimme – ein Bekenntnis? „Ich bin Schubert-Liebhaber." Auf dem Programm des Abschlusskonzertes steht „Die schöne Müllerin". Der Bariton André Schuen soll singen. „Ein weltbekannter Ladiner, aus Südtirol, der ist so fantastisch. Er war letztes Jahr schon da. Er kommt noch einmal zu uns, weil es ihm hier so gut gefallen hat", sagt der Chef von Musik & Theater Saar.
Das Zemlinsky Quartett ist angekündigt, das erstaunt noch nicht, aber der Hornist Felix Klieser spielt sein Instrument ohne Arme. 2014 erhielt er den Echo Klassik als Nachwuchskünstler des Jahres. „Er spielt toll. Ich kenne ihn nicht – noch nicht.", sagt Joachim Arnold hoffnungsfroh.