Sie ist eine der besten Schauspielerinnen ihrer Generation. Ob in Blockbuster-Movies, Independent-Filmen, Historien-Epen oder Bio-Pics – Keira Knightley ist immer ein Ereignis. So auch in ihrem neuen Film „Die Misswahl – Der Beginn einer Revolution".
Eigentlich wollten wir uns in London zum Interview treffen. Denn ihr neuer Film „Die Misswahl – Der Beginn einer Revolution" sollte ursprünglich im Juni in die Kinos kommen. Dann wurde er aber wegen der Corona-Pandemie auf einen späteren Zeitpunkt verschoben. Dieses amüsante und mit viel Humor gewürzte Feel-Good-Drama, das antiquierte Schönheitsklischees genüsslich bloßstellt, ist auch ein leidenschaftlicher Appell gegen Diskriminierung und Rassismus. Also wie gemacht für die smarte Britin, die in unserem jüngsten Interview sehr viel Wert darauf legte, „nur noch in wichtigen und relevanten Filmen mitspielen" zu wollen. Und da ich Keira Knightley letztes Jahr gleich zweimal vor dem Mikrofon hatte, soll sie nun im FORUM-Magazin ausführlich zu Wort kommen. Denn was die 35-Jährige über ihre Karriere, ihre Familie und ihr Selbstverständnis als Frau zu sagen hat, hat Gültigkeit weit über den Tag hinaus…
Mrs. Knightley, ist eigentlich jeder Ihrer Filme für Sie auch ein Blick in den Spiegel?
Klingt interessant. Was genau meinen Sie damit?
Kann man anhand Ihrer Filme Rückschlüsse auf Ihren Bewusstseinszustand während der Dreharbeiten ziehen?
Ja, das ist wohl seit etwa 15 Jahren tatsächlich der Fall – seit ich meine Filme selbst auswählen kann. Seitdem mache ich bei jedem Projekt, das mich interessiert, vorher eine Art Seelenerforschung. Ich höre sehr intensiv in mich hinein, um herauszufinden, ob es mich gerade wirklich interessiert und ob ich mich damit auch künstlerisch auseinandersetzen will. Dabei habe ich nicht nur sehr viel über mich und die Welt gelernt, sondern bin in den letzten Jahren auch immer lockerer geworden. Was wiederum bestimmt damit zu tun hat, dass mein Privatleben auf einem sehr guten Kurs ist. Und dass sich diverse schwere Schleier in meinem Leben gelichtet haben.
Von welchen Schleiern sprechen Sie?
Über lange Jahre habe ich viel beruflichen Ballast mit mir herumgeschleppt. Vieles in diesem Job hat mich verunsichert. Ich habe zwar schnell gelernt, mir eine ziemlich taffe Fassade aufzubauen, aber wie es dahinter aussah…
Es ist sicher nicht leicht, unter dem Vergrößerungsglas der Medien aufzuwachsen.
„Nicht leicht" ist ziemlich untertrieben! Es grenzte schon manchmal an Wahnsinn. Na ja, vielleicht übertreibe ich jetzt etwas, aber es ist mir doch oft an die Nieren gegangen. Ich bin jemand, der dem Celebrity-Aspekt der Schauspielerei so gut wie nichts abgewinnen kann. Klar ist es mal schön, in einem Designerkleid über den roten Teppich zu flanieren und von den Fans bejubelt zu werden. Aber deshalb bin ich nicht Schauspielerin geworden. Sondern weil ich mich brennend für Literatur interessiere.
Ein sehr idealistischer Blick auf den Beruf eines Filmstars.
Das weiß ich heute auch. Doch warum sollte man sich schon als Kind in seinen Träumen korrumpieren lassen? Aber eines weiß ich genau: Sollten meine Kinder jemals Schauspieler werden wol-len, werde ich ihnen mit all meiner Kraft davon abraten. Nicht wegen der Schauspielerei selbst, sondern wegen all dem, was drumherum geschieht. Denn wenn man jung ist, sollte man doch ein Leben haben, das sehr, sehr privat ist. Und alle Fehler und Peinlichkeiten, die man als Teenager so begeht, sollten eben unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden.
Mittlerweile sind Sie verheiratet und Mutter zweier Töchter. Wie kriegen Sie eigentlich Ihr Privatleben und Ihre höchst erfolgreiche Filmkarriere unter einen Hut?
Eigentlich ganz gut. Es gibt doch Millionen Frauen, die verheiratet sind, Kinder haben und dabei erfolgreich in ihrem Job sind. Und das ganz ohne viel Aufhebens. Und die meisten dieser Frauen sind wahrscheinlich nicht so privilegiert wie ich. Denn ich konnte mir immer eine Auszeit nehmen, wenn ich sie brauchte, um meine seelische Balance wiederzufinden – ohne dabei gleich vor dem finanziellen Ruin zu stehen. Mittlerweile kann ich mein Privatleben sehr gut mit meinem Beruf als Schauspielerin in Einklang bringen. Gerade auch weil ich einen wunderbaren und sehr verständnisvollen Ehemann (sie ist seit 2013 mit dem Musiker James Righton verheiratet. Das Paar hat zwei Töchter: Edie, 5 Jahre und Delilah, 8 Monate; Anm. d. Red.) an meiner Seite habe, dem unser Familienleben genauso am Herzen liegt.
Was ist denn das Geheimnis einer guten Ehe?
Gibt es da überhaupt ein Geheimnis? Eine gute Beziehung ist doch eher von Offenheit geprägt. Wichtig ist, dass man miteinander redet. Und nicht müde wird, sich emotional und intellektuell auszutauschen. (lacht) Es schadet sicher auch nicht, wenn man sich liebt. Die Liebe ist etwas sehr Wesentliches im Leben. Und sie verändert sich ständig. Das finde ich sehr spannend. Denn nur so können wir uns weiterentwickeln und wachsen. Liebe muss sich wandeln. Und echte Liebe wächst jeden Tag ein Stückchen mehr.
Hilft Ihnen die Schauspielerei eigentlich, intensiver zu leben? Oder Ihre Mitmenschen besser zu verstehen?
Ich glaube, jede Kunstform, die man mit Herzblut ausübt, kann das leisten. Man darf sich nur vom Schein nicht blenden lassen. In all den Jahren habe ich schon einige Frauenfiguren dargestellt, von denen ich auch etwas in mein eigenes Leben mitnehmen konnte. Zum Beispiel im Film „Niemandsland – Aftermath", wo ein Ehepaar trotz der großen Verletzungen, die beide sich gegenseitig zugefügt haben, sich dazu durchringen kann, gemeinsam weiterzumachen und einen Sinn darin zu finden. Das hat mich persönlich sehr angesprochen. Denn es gibt wohl kaum einen Erwachsenen, der nicht schon ein paar gescheiterte Beziehungen hinter sich hat… Und wenn der geliebte Mensch, den man so gut zu kennen glaubte, plötzlich zu einem total Fremden wird – das ist der einsamste Moment im Leben. Normalerweise ist das der Moment, an dem die Beziehung oder Ehe dann zu Ende ist. Aber wie der Film zeigt, sollte man die Hoffnung nie aufgeben.
Wenn Sie in einer Rolle traurig oder verzweifelt sein müssen, greifen Sie da auf konkrete persönliche Erinnerungen zurück?
Ich würde nie die Trauer, die ich beim Tod meiner Großeltern gefühlt habe, in die Schauspielerei einbringen, wenn Sie das meinen. Das funktioniert für mich überhaupt nicht. Ich versuche jede Figur, die ich spiele, von Grund auf zu begreifen und bringe ihr immer sehr viel Empathie entgegen. Das hat mit meinem wirklichen Leben aber absolut nichts zu tun. Andererseits bin ich natürlich eine Frau mit einer eigenen emotionalen Gemütslandschaft – und picke mir da eben die Dinge heraus, die mir passend erscheinen.
Sie spielen in letzter Zeit gerne Frauen, die sehr selbstbestimmt auftreten und oft sogar kämpferisch, ja wütend sind …
… was mir nicht nur großen Spaß macht, sondern auch sehr befreiend ist. So wie die britische Whistleblowerin Katharine Gun, die ich in „Official Secrets" darstelle. Oder die bisexuelle Schriftstellerin Colette, die es irgendwann satt hatte, von Männern bevormundet zu werden. Oder wie in „Die Misswahl – Der Beginn einer Revolution" die Aktivistin des Women’s Liberation Movement, Sally Alexander. Ab und zu sollte man doch auch als Frau das Recht haben, die Sau herauslassen! (lacht) Und erst recht als Schauspielerin! Doch meist werden wir nur dazu abgerichtet, feminin, sexy und harmlos zu sein. Nur ganz selten gibt es Frauenrollen, die uns erlauben, auch mal unsere Wut, unseren Zorn oder unseren Hass zu zeigen – ohne dabei gleich zur Karikatur zu verkommen. Das Lebensgefühl von uns modernen Frauen ist doch in den meisten Filmen völlig unterrepräsentiert.
Und warum ist das so?
Das liegt zum guten Teil daran, dass es viel zu wenig Regisseurinnen, Drehbuchautorinnen und Produzentinnen gibt. Auf 100 Schauspieler in England kommt etwa eine Schauspielerin – und die ist dann meist nur der Sidekick für den männlichen Helden. Und ich habe leider nicht das Gefühl, dass sich das in den letzten Jahren wirklich verändert hat.
Ihr Vater ist selbst Schauspieler, Ihre Mutter Bühnenautorin – haben die Sie nie vor den Fallstricken des Berufes gewarnt?
Das brauchten sie gar nicht. Ich habe es ja hautnah miterlebt, wie schwer es ist, als freischaffender Künstler seinen Lebensunterhalt zu verdienen. In unserer Familie war das Geld auch schon mal ganz schön knapp. Aber meine Eltern haben meinen Bruder und mich eben immer in unseren Träumen unterstützt. Ganz abgesehen davon bin ich sehr langsam in den Schauspiel-Job hineingerutscht. Nach der Schule wollte ich eigentlich eine Maurer-Ausbildung machen (lacht). Denn Maurer sind immer sehr gefragt! Als ich damals die Stellenangebote in den Tageszeitungen durchgesehen habe, fiel mir sofort auf, dass im Großraum London vor allem Maurer gesucht wurden… Wäre da nicht der Film „Kick It Like Beckham" dazwischengekommen, hätte ich vielleicht sogar eine Lehre gemacht.
Das ist jetzt nicht Ihr Ernst!
(lacht) Warum nicht? Okay, natürlich bin ich sehr froh, dass es bei mir mit der Schauspielerei so gut geklappt hat. Und dass man mir immer noch sehr interessante Rollen anbietet.
Stimmt der Eindruck, dass Sie in letzter Zeit lieber in Europa Filme machen als in Hollywood?
Ich habe sehr gerne und erfolgreich in Hollywood gedreht, empfinde mich aber als europäische Schauspielerin. Abgesehen davon lebe ich sehr gerne in London und bekomme vor allem auch in England sehr gute Filme angeboten. Sehnsucht nach dem Hollywood-Glamour hatte ich auch nie. Vor allem liebe ich die typisch englischen Historien-Filme, die eine gute Story erzählen (lacht). Und ich wurde stark von allen Filmen geprägt, in denen Emma Thompson je mitspielte. Denn abgesehen davon, dass sie eine tolle Schauspielerin ist, hat mir vor allem ihre unaufgeregte Selbstbestimmtheit imponiert. Sie ist so witzig, scharfzüngig, und nimmt das ganze Showbiz-Theater nicht so ernst.
Das machen Sie vermutlich auch nicht, oder?
(lacht) Absolut nicht! Was wäre das für eine Lebenszeitverschwendung? Denn das Schlimmste ist doch, wenn junge Mädchen ihr Frauenbild auf sogenannte Stars oder Celebrities projizieren. Das, was man da sieht, ist doch meist nur ein sehr künstliches Image und hat mit der echten Person, die dahintersteckt, so gut wie nichts zu tun.