„Bosch" ist die am längsten laufende Eigenproduktion der Amazon Studios. Aktuell ist die sechste Staffel der ruhigen und gut durchdachten Krimiserie um Detective Harry Bosch zu sehen.
Der Blick aus dem komplett verglasten Wohnzimmer und von der Terrasse über das nächtliche Los Angeles ist atemberaubend. Verständlich, dass kaum eine Folge der TV-Serie „Bosch" darauf verzichtet. Stolzer Besitzer des Bungalows auf Stelzen ist Hieronymus „Harry" Bosch, gespielt von Titus Welliver – Kriegsveteran und ehemaliges Mitglied der Special Forces, der sein Geld als Detective bei der Mordkommission des Los Angeles Police Departments verdient. Unweigerlich stellt man sich die Frage, wie sich ein Detective des LAPD eine solche Behausung in den Hollywood Hills leisten kann, doch diese Frage wird gleich zu Anfang ganz nonchalant geklärt. Ein Spielfilm, der sich in groben Zügen an Boschs Leben orientiert, habe ihm das nötige Geld eingebracht. Ein Filmplakat in Boschs Haus erinnert daran.
„Bosch" basiert auf den Erfolgsromanen und Kurzgeschichten des US-Schriftstellers Michael Connelly. 2014 wagte sich Amazon an das Thema heran, produzierte eine Pilotfolge und ließ seine Zuschauer darüber abstimmen, ob weitere Folgen produziert werden sollten. Inzwischen ist „Bosch" die am längsten laufende Eigenproduktion der Amazon Studios. Seit März ist bei uns die sechste Staffel zu sehen, eine finale siebte Staffel für kommendes Jahr ist bereits angekündigt.
In der ersten Staffel hängt die Karriere des Protagonisten am seidenen Faden. Harry Bosch muss sich selbst vor Gericht verantworten. Bei der Verfolgung eines Verdächtigen erschießt Bosch diesen – „aus Notwehr", wie er vor Gericht beteuert. Neben dem Untersuchungsverfahren sieht er sich auch mit einer Zivilklage der Familie des Opfers konfrontiert. Eigentlich vom Dienst freigestellt, arbeitet Bosch dennoch mit seinem Partner Jerry Edgar (gespielt von Jamie Hector) an einem Fall weiter. Ein Hund hat bei einem Spaziergang menschliche Knochen ausgegraben, die etwa 25 Jahre dort vergraben lagen. Die Untersuchungen der Überreste deuten auf ein Kind oder einen Jugendlichen hin, der augenscheinlich schwer misshandelt wurde.
Immer wieder unerwartete Wendungen
Der Fall ist spannend erzählt und bringt immer wieder unerwartete Wendungen. Dennoch merkt man auch, dass Amazon anfänglich wohl noch nicht das vollste Vertrauen in das Projekt hatte (siehe oben). Alles ist auf die Person Harry Bosch zugeschnitten, den ruhigen, einsamen Wolf, der aus schwierigen Verhältnissen stammt. Der ungeklärte Mord an seiner alleinerziehenden Mutter, einer Prostituierten, war seine Motivation, Detective zu werden. Seine Person ist vielschichtig und spannend zugleich: Ein knallharter Ermittler einerseits, der für andere hohe moralische Maßstäbe aufstellt, für sich selbst Regeln aber auch einmal beugt, um zum Ziel zu kommen. Andererseits der begeisterte Jazzliebhaber und fürsorgliche Vater.
Die anderen Hauptfiguren bleiben in Staffel 1 dagegen eher blass und ohne eigene Konturen. Zwar hat Bosch mit Jerry Edgar einen festen Partner, doch meist ist Harry allein unterwegs und Edgar eher mit Nebensächlichkeiten betraut. Gleiches gilt für die anfangs völlig unausgegorene Figur des stellvertretenden Polizeichefs Irvin Irving (Lance Reddick). Dieser wird meist in einem großen schwarzen SUV scheinbar ziellos durch die Gegend kutschiert und wirkt hinter der halb heruntergelassenen Fensterscheibe mehr wie ein Mafiaboss denn wie ein Polizist.
Das ändert sich zum Glück in den weiteren Staffeln. Hier geben die Drehbuchautoren auch den anderen Hauptfiguren wesentlich mehr Raum und lassen diese eigene Persönlichkeiten entwickeln. Das gibt der Serie deutlich mehr Tiefgang und trägt fraglos zu ihrem Erfolg bei. Gleiches gilt für die Personen in Boschs familiärem Umfeld – seine geschiedene Frau Eleanor Wish (gespielt von Sarah Clarke), zu der Bosch immer noch ein freundschaftliches Verhältnis pflegt. Vor allem aber für die gemeinsame Tochter Madeline „Maddie" Bosch (Madison Lintz), die zur wichtigsten Bezugsperson Boschs wird und von Staffel zu Staffel mehr Raum einnimmt.
Die Stärke von „Bosch" liegt eindeutig in der Entwicklung der Handlung. Ruhig und stetig und nicht wie viele andere Krimiserien reißerisch, hektisch und auf Action getrimmt. Die Fälle sind gut durchdacht und wirken nie trivial oder gar einfach zu durchschauen. Auch wenn man als Zuschauer häufig einen vermeintlichen Wissensvorsprung hat, wird man doch immer wieder mit unerwarteten Wendungen überrascht. Das führt dazu, dass man der nächsten Folge entgegenfiebert, weil man unbedingt wissen möchte, wie es weitergeht. Und etwas Besseres kann man über eine Serie wohl kaum sagen.