Erdogan und Putin festigen in Libyen, Syrien und in der Ukraine ihre Macht
In der Corona-Krise ist die Welt mit sich selbst beschäftigt. Doch im Schatten der Pandemie lodern Konflikte auf, die für einen weiteren Flüchtlingsansturm Richtung Europa sorgen können.
Im festgefahrenen libyschen Bürgerkrieg gibt es eine neue Dynamik. Die Ursache hierfür hat einen Namen: Recep Tayyip Erdogan. Der türkische Präsident mischt seit Monaten in dem Konflikt mit. Ankara greift mit Kampfdrohnen, Luftabwehrsystemen und Soldaten militärisch immer stärker in Libyen ein.
Die Truppen des mit Erdogan verbündeten Premierministers Fajis al-Sarradsch sind daher auf dem Vormarsch. Sie konnten kürzlich zuerst den mehr als ein Jahr andauernden Belagerungsring rund um die Hauptstadt Tripolis durchbrechen. Die Verbände von Al-Sarradschs Gegner, General Chalifa Haftar, mussten zurückweichen. Auch die dem Kreml nahestehende Privatarmee „Wagner", die auf Seiten Haftars kämpft, wich in den Osten und Süden des Landes aus, den Haftar kontrolliert. Russland hatte nach US-Angaben mindestens 14 Kampfjets an den General geliefert.
Der libysche Bürgerkrieg tobt seit dem Sturz des Diktators Muammar al-Gaddafi 2011. Mehr als 100 Milizen und Stämme liegen miteinander über Kreuz. Es ist ein Stellvertreterkrieg. Haftar bekommt Rückendeckung durch Russland, Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate und Frankreich. An der Seite von Al-Sarradsch stehen die Türkei, der Golfstaat Katar sowie Italien.
Erdogan geht es vor allem ums Geschäft. Er hat mit Al-Sarradsch eine Übereinkunft über neue Seerechtsgrenzen im Mittelmeer getroffen. Der Türke plant, vor Zypern und Kreta nach Erdgas zu bohren – was ihm Ärger mit Griechenland einbringt. Zudem schielt Erdogan auf lukrative Staatsaufträge für die türkische Bauindustrie.
Russland und die Türkei peilen eine Waffenruhe für Libyen an. Ein Deal unter Autokraten. Putin und Erdogan unterstützen – wie in Syrien – unterschiedliche Konfliktparteien. Sie sind Gegner und Partner zugleich. Sie folgen der machtpolitischen Logik, die in Einflusssphären denkt. Es könnte dazu führen, dass Libyen de facto geteilt wird.
In Syrien sind die Würfel gefallen. Der Machthaber Baschar al-Assad hat fast das ganze Land wieder unter Kontrolle. Rund 400.000 Menschen wurden in dem seit 2011 andauernden Bürgerkrieg getötet. Mehr als elf Millionen mussten fliehen.
Die russische Luftwaffe hatte den Regierungstruppen den Weg freigebombt, teilweise mit massiven Angriffen auf Krankenhäuser und Schulen. Russlands Präsident Wladimir Putin ist der Lenker in Syrien, der dem geschwächten Assad-Regime neues Leben eingehaucht hat. Die iranischen Revolutionsgarden helfen ebenfalls dabei. Putin hat Moskau als Welt- und Ordnungsmacht im Nahen Osten etabliert.
Es gibt noch einen anderen Gewinner im geostrategischen Schachspiel. Die Türkei marschierte 2018 in Nordsyrien ein. Der Assad-Gegner Erdogan verfolgte das Ziel, die Kurden zu vertreiben und eine Pufferzone an der Grenze zu seinem Land zu schaffen. Die letzte Hochburg der Anti-Assad-Rebellen ist die nordwestsyrische Provinz Idlib. Hier geben islamistische Milizen den Ton an, die Erdogan unterstützt.
Erdogan und Putin vereinbarten im März eine Waffenruhe für Idlib. Die Kämpfe flauten daraufhin ab. Zuletzt kam es aber wieder zu Luftangriffen auf Stellungen der Rebellen und zu Gefechten zwischen syrischen Regierungstruppen und Dschihadisten. Doch trotz Assads Übergewicht bleibt die Lage zerbrechlich. Das Land steckt in einer schweren Wirtschaftskrise. An einzelnen Orten wie in Al-Suwaida im Süden gab es Proteste gegen das Regime.
In der Ostukraine herrscht eine militärische Pattsituation. Entlang der mehr als 400 Kilometer langen Kontaktlinie stehen sich seit 2014 ukrainische Regierungstruppen und prorussische Rebellen gegenüber. Diese erhalten von Moskau Geld und Waffen. Bei Gefechten mit Regierungstruppen wurden seither rund 13.200 Menschen getötet.
Deutschland, Frankreich, die Ukraine und Russland versuchen seit sechs Jahren, den Krieg zumindest zu entschärfen – doch ohne großen Erfolg. Skeptiker in der Bundesregierung machen geltend, dass Putin kein wirkliches Interesse an einer Lösung habe. Er wolle den Konflikt am Kochen halten, um eine Stabilisierung der Ukraine samt EU- und Nato-Beitritt zu verhindern. Bislang ging das Kalkül auf.