Versteckt hinter Büschen an der Getraudenbrücke liegt Herbert Beltles „Rotisserie Weingrün". An der Flammenwand wird Fleisch und Fisch gegrillt, der Chef schenkt Wein vom eigenen Gut ein. Das Draußen-Essen ist an diesem Ort ein erstaunlich ruhiges Vergnügen.
Aufgespießt, vor einer Flammenwand gegrillt und anschließend halbiert. So brachial geht’s im Namen der schmackhaften Sache am Kupfergraben zu. Doch fernab von drastischen mittelalterlichen Szenarien finden wir uns einfach in der „Rotisserie Weingrün" in der Getraudenstraße ein. Im Restaurant von Herbert Beltle, in dem der Flammenwandgrill eine zentrale Rolle spielt. Auf und vor diesem landet so ziemlich alles, was sich durch offenes Feuer veredeln lässt: Paderborner Hähnchen, finnisches Lachsfilet, Spare Ribs vom Havelländer Apfelschwein oder US-Beef GOP Rumpsteaks. Das schmeckt nicht nur gut, sondern sieht auch beeindruckend aus.
Bezieht sich Teil eins des Namens auf die französische Grilltradition – das Verb „rôtir" bedeutet so viel wie „braten" oder „grillen" –, steht der Name „Weingrün" für den zweiten Teil von Herbert Beltles Passion: den von Kellermeister Wolfgang Grün auf Beltles Weingut Horcher im pfälzischen Kallstadt produzierten Wein. „Rotisserien gab’s in Frankreich früher an jeder Ecke", erklärt Beltle. Die Gerichte sind klassisch, die Produkte ausgewählt, saisonal und „mit Herkunft".
Der Paderborner Gockel hat gutes Futter und genügend Zeit im Leben gehabt, um sich per Grillspieß in einen zartfleischigen Broiler mit würziger Knusperhaut zu verwandeln. Das mit Thymianhonig glasierte Lachsfiletstück wurde vorher sogar auf ein Holzbrettchen genagelt. Zack, Flamme dran, schon ist es von oben durch und innen schön saftig. Zum Finish gibt’s eine Showeinlage: Der Service flambiert den Lachs am Tisch mit Whisky. Dazu wird eine Senf-Dillsauce gereicht, die sich ebenso gut zu den angekräuterten Grillkartöffelchen oder dem mediterranen Grillgemüse macht.
Weinempfehlung bei den Gerichten
Einige Weinempfehlungen sind auf der Karte zu den Gerichten notiert. Ein guter Service, wenn nicht der Kopf für längliche Weingespräche vorhanden ist. Doch wir verlassen uns vor Ort natürlich auf die Empfehlung und den Wein vom Chef! Herbert Beltle schenkt uns vom 2018er Horcher Rosé Silber ein. Der ist eine fruchtig-fluffige Cuvée aus Spätburgunder, Merlot und Syrah und ein hervorragender, unkomplizierter Begleiter zu feiner nuancierten Gerichten wie Lachs oder Spargel. Das Paar neben uns nimmt gleich noch zwei Flaschen für zu Hause mit.
Die Horcher-Weine gibt’s zum „Hof-Preis" statt an der Weinstraße in der Pfalz mitten in Berlin. Eine Frau, die auf ihr Mitnehm-Essen wartet, nimmt im Stehen ein kleines Glas Weißen. Der Außer-Haus-Verkauf ist nicht zuletzt ein Resultat der Schließung in der Corona-Krise: „Das bleibt", sagt Beltle. Wer von der am Eingang aufgestellten „To-Go-Tafel" wählt, bekommt Flammlachs, Spare Ribs oder Broiler mit einer oder drei Beilagen als Tagesangebot in Schachteln und Papiertüte. Spargel hätten wir ebenfalls haben können, in kuschliger Gemeinschaft mit Kartoffelgnocchi, Büffelmozzarella aus Brandenburg und Basilikumpesto dargeboten. Dieser Teller steht auf der vegetarischen Seite der Karte. Die ist mit einem weiteren „The Moving Mountains Burger" mit Coleslaw vom Spitzkohl, Ananas und „Brückenpfeiler-Pommes" zwar übersichtlich, aber die Fantasie anregend: Sind die Kartoffelstäbchen so stämmig wie die Träger der alten Gertraudenbrücke?
Wir sitzen tatsächlich beinah auf der historischen Brücke, die Ende des 19. Jahrhunderts errichtet wurde. Die Kombination mit der benachbarten Betonbrücke, über die heute der Verkehr fließt, und die Verschlingung von Fußgänger-Überwegen und Unterführungen sorgen für Unübersichtlichkeit beim Erreichen des Restaurants. Doch ist man da, erweist sich der Nachteil als großer Vorteil. Gerade auch in der Corona-Situation: Es gibt sehr viel autofreien Platz draußen. An den Terrassen-Tischen beiderseits des Eckhauses sind 45 Plätze eingedeckt, quasi beliebig auf der ehemaligen Straße und an der Friedrichsgracht erweiterbar. Im Inneren stehen ebenfalls 45 Plätze zur Verfügung. Die abstandsbedingt freien Tische sind mit Stillleben aus Weinflaschen geschmückt.
Herbert Beltle kam bislang manierlich durch die Krise: „Wir hatten 14 Tage geschlossen und haben dann ein Azubi-Projekt mit dem Außer-Haus-Verkauf gemacht." Das wurde gut angenommen, und die hiesigen Gäste sind nun auch wieder da. Nur die 60 bis 70 Prozent Touristen und die Geschäftsessen in Gruppen an den langen Tischen fehlen. „Jetzt wird, wenn überhaupt, an einem von zehn Tischen Englisch gesprochen", beobachtet Beltle.
Herbert Beltle wurde auf das neogotische Eckhaus mit den markanten Giebeln vor gut zwölf Jahren beiläufig aufmerksam. Er fuhr mit seinem Motorroller daran vorbei. Da gab das vormalige Restaurant mit nur wenigen Gästen darin ein trauriges Bild ab. Es schloss bald. Von Wohnbebauung im Hinterland des Auswärtigen Amtes, Hotels und Organisationen war vor Jahren noch kaum etwas zu sehen. „Ich fand die Gegend spannend", sagt Beltle und zeigt auf ein Hochhaus an der Straßenkreuzung. „Ich mag die Riesen-Coca-Cola-Werbung. Sie erinnert mich an Billy Wilders Film ‚Eins, zwei, drei‘." Der Kontakt zum Besitzer des einzigen erhaltenen historischen Gebäudes am Spittelmarkt kam rasch zustande. Beltle übernahm, baute um und ein und eröffnete die „Rotisserie Weingrün" im Jahr 2009 neu. Die historische Gewölbedecke im großen Gastraum blieb, lange hölzerne Tische und „schallgedämmte" Stühle, Metallakzente und Kunstwerke kamen hinein. Der Raum ist mit Bildern und Grafiken des Malers Nils Burwitz geschmückt. „Kunst spielte immer schon eine große Rolle bei mir", sagt Beltle. „Und die Fliesen sind aus derselben Manufaktur wie die im Zollhaus."
Nachhaltigkeit ist hier Trumpf
Herbert Beltle weiß seine Gastronomien miteinander zu verbinden: 30 Jahre führte er das „Alte Zollhaus" in Kreuzberg, bevor er es zu Jahresbeginn an Anja und Carsten Schmidt übergab und es sich unter der kulinarischen Regie von Marco Müller ins „Rutz Zollhaus" verwandelte. 20 Jahre lang betrieb Beltle parallel das beliebte „Aigner" am Gendarmenmarkt. „2005 habe ich dann das Weingut gemacht. Ein Winzer, ein großer Berlinfan, hat mir erzählt, dass eine Frau ihre Weinberge abgibt." Beltle kaufte und baute mit Kellermeister Wolfgang Grün ein eigenes Weingut neu auf. Er sicherte sich die Namensrechte und benannte seine Weine nach dem „Horcher", einem der In-Restaurants der Stadt in den 1920er-Jahren. „Das war das Pendant zum ‚Hotel Adlon‘", weiß Beltle, der sich viel mit Berliner Gastronomiegeschichte und -geschichten befasst.
Auch wenn der Horcher-Wein viel neuer ist als sein Name, schmälert das nicht den Genuss. Zur einen Tick herzhafteren zweiten Runde mit Kotelett und krossem Schweinebauch lassen wir uns vom Horcher Sauvignon Blanc Silber, einer der drei „metallischen" Linien des Gutes, einschenken. Ein bisschen die Aromen von Stachelbeere und grünem Gras in Nase und Mund, dazu erneut schönes Fleisch auf dem Teller – so macht der fortgeschrittene Abend Spaß.
Wir tun uns am 24 Stunden lang geschmorten und crunchy-krustigen Schweinebauch vom Havelländer Apfelschwein mit Hopfen-Malz-Sauce gütlich. Die Freundin ist happy: „Schwein wird oft unterschätzt." Ist es ein so ordentlich aufgezogenes wie das Duroc-Schwein, das amerikanische Zucht-Pendant der Iberico-Rasse, das uns mit seinem dicken Kotelett vom Grill erfreut, isst das gute Gewissen mit. Der Caesar Salad aus der ersten Runde, der seine Herzhaftigkeit aus würzigem Schinkenspeck bezieht, steht noch da und erfreut uns nun auch dazu.
Nachhaltigkeit ist Herbert Beltle wichtig: Sein Weingut führt das Siegel „Fair and Green", das nicht allein den schonenden Weinbau zertifiziert, sondern ebenfalls Beschaffung, Entlohnung, Kellerwirtschaft und Vertrieb einbezieht. „Was Sie nicht schaffen, packen wir Ihnen für zu Hause ein", schlug Beltle uns schon bei der Bestellung vor, als wir berechtigte Zweifel hegten, vier Hauptgerichte „zum Probieren" verzehren zu können. „Doggy Bags sind eine gute Sache!" So bleibt Platz für den warmen Schokokuchen mit flüssigem Kern und in Cassis-Sauce gebettete Heidelbeeren. Die kulinarische Begleiterin mit der Schwäche für Schokoladiges ist glücklich. Das hausgemachte Nougateis, auf das ich ein Auge geworfen habe, muss sich ebenso wenig verstecken. Wir sind beide happy und uns einig: In die „Rotisserie Weingrün" könnten wir bedenkenlos Menschen mit unterschiedlichsten Geschmäckern mitnehmen. Jeder findet etwas, gerade weil nicht fancypopancy herumexperimentiert wird. Die Begleiterin fasst zusammen: „Es ist genau das, was man erwartet – und das dann auch richtig gut."