Ob Tea Time, konditern oder herzhaftes Essen: Christian Münster und Bianca Schönemann haben mit dem „Teehaus im Englischen Garten" eine kulinarische Oase geschaffen. Ein Besuch im Tiergarten wird so zum britischen Kurzurlaub.
Wie richtig kann frau alles an einem Sommernachmittag machen? Die kulinarische Freundin kommt mit ihrem Royal Corgi und im luftigen Kleid durch den Englischen Garten auf das „Teehaus" zugewandelt. Ich schwebe im Rosen-Gewand an, wir nehmen auf der Terrasse Platz und bestellen unsere Tea Time im Freien. „Es würde mich nicht wundern, wenn ich gleich die Queen unter den Bäumen sähe", sage ich wohlig seufzend unter der Markise vor dem reetgedeckten Cottage.
„Die Queen hat tatsächlich 1965 bei ihrem ersten Staatsbesuch gleich nebenan einen Baum gepflanzt", sagt Christian Münster. Er betreibt gemeinsam mit Bianca Schönemann das „Teehaus". „Die Bäume sind aus dem Park von Windsor." Der nach dem Krieg abgeholzte Tiergarten wurde im Bereich hinter dem Schloss Bellevue als Englischer Garten angelegt und wieder aufgeforstet. 1963 war das von den britischen Alliierten im „Geschenkpaket" an die Berliner Bevölkerung ebenfalls enthaltene „Teehaus" fertiggestellt.
Queen Elizabeth wäre bestimmt direkt die Terrasse hinauf geschritten, ohne den Corona-Parcours durch den seitlichen Eingang absolvieren zu müssen. Doch der Rundkurs findet im Namen der sinnvollen Sache statt. Er ist mit Begleitung zum Tisch, Handdesinfektionsstation oder Abzweig zu den WCs und Maskenpflicht bis zum Platz regelkonform wie unaufdringlich organisiert. Am Tisch angekommen fühlen wir uns wieder unbekümmert wie auf einem royalen Sommersitz: Der Blick fällt über in Glasvasen luftig arrangierte Blüten auf Beete und Blumen im Gartenparterre. Darjeeling und Earl-Grey-Tea ziehen noch ein, zwei Minuten in der Kanne, und die Etagere mit den traditionellen drei Stationen von herzhaft bis süß wartet nur darauf, dass wir zugreifen. Pardon, mit der Zange die Gurken- und Lachs-Sandwiches auf unseren Tellern ablegen.
Verwunschene Oase mitten im Grünen
Wir verspeisen elegant und manierlich ebenfalls die Cheddar- und Roastbeef-Klapptoaststreifen, bevor wir zur nächsthöheren Ebene voranschreiten. Ein Gläschen Konfitüre, ein weiteres mit Clotted Cream und Scones mit Rosinen erwarten uns dort. „Die Scones sind richtig gut", sagt die weitgereiste Freundin, die schon so manche Tea Time in so manchem Grand Hotel absolvierte. „Du weißt, wie wählerisch ich da bin." Glück gehabt, liebes „Teehaus" – Berlin hält dem kritischen Geschmack der internationalen Food-Journalistin stand!
Die Betreiber wissen schon länger, was sie in diesem verborgenen Winkel des Tiergartens hinter Schloss Bellevue und Bundespräsidialamt im Namen der Britishness tun. 2011 erweckten sie das Gebäude, das das Kulturamt des Bezirks vormals für Veranstaltungen genutzt hatte, zu neuem Leben – als Restaurant, Ort für Feiern und mit sommerlichen „Umsonst und Draußen"-Konzerten von Pop bis Weltmusik. Die fallen in diesem Jahr coronabedingt aus – und damit die entsprechenden Umsätze ins Wasser.
Normalerweise wäre jetzt auch Hochsaison für Hochzeiten und andere Familienfeiern, die mit Blumengarten und vor Bäumen sowie abseits genug von der Wohnbebauung eine ideale Kulisse finden. Selbst wenn Feste im kleineren Rahmen wieder erlaubt sind: „Wenn 20 Personen feiern wollen, bräuchten wir mit den Abstandsregeln die ganze Terrasse", sagt Schönemann. Die ist groß und weitläufig, doch die „normalen" Gäste wollen ebenfalls „ihr" Restaurant oder den kleinen Biergarten besuchen.
Reduzierte Karte zum Corona-Restart
Das „Teehaus" ist eine verwunschene Oase mitten im Grünen, die dennoch über den nahen S-Bahnhof Bellevue gut erreichbar ist. An sommerlichen Wochenendnachmittagen lehnen etliche Fahrräder an der Steinmauer zur Terrasse. Selbst an einem ganz normalen Nachmittag unter der Woche ist das „Teehaus" gut besucht. Restaurantleiter Robert Berthold kennt häufig die Wünsche seiner Gäste auswendig. Viele kommen regelmäßig – ein Wein und Wiener Schnitzel oder ein Stück Torte und Kaffee gehen immer. Das Hansaviertel mit seinen hohen Häusern aus den 1960er-Jahren ist zwar durch die Bäume nicht sichtbar, aber ziemlich nah. Ein kleiner Spaziergang durch den Tiergarten, schon sind die nicht immer ganz so jungen Bewohner des Viertels im „Teehaus". Sie wissen das gastronomische Niveau und das Ambiente zu schätzen. „Bevor wir es übernommen haben, war das ‚Teehaus‘ ein ziemlicher ‚Lost Place‘", sagt Münster. „Es gab auch keine großartige Bewirtung. Nur ein kleines Café, so mit Filterkaffee und Kuchen."
Seine Frau und er gewannen mit einer Mischung aus Gastronomie und Kultur-Events die Ausschreibung. Sie pachteten das Haus vom Bezirk, renovierten und investierten, um das Gebäude im April 2011 aus seinem Dornröschenschlaf wiederzuerwecken. „Wir führen zum ersten Mal eine Gastronomie und haben im Laufe der Jahre immer mehr dazugelernt", sagt Bianca Schönemann. Die beiden kommen aus der Werbe- und Eventbranche und betreiben in Köln eine eigene kleine Agentur. Inzwischen leben sie an beiden Orten und schauen gerade jetzt häufig nach dem „Teehaus", um es weiterhin geordnet durch die
Krise zu bringen.
Während unseres Gesprächs ist der Mann der Freundin spontan hinzugekommen, und wir vernaschen die noch ausstehenden Petit Fours vom süßen Dach der Etagere einfach gemeinsam. Der eine liebt die Schokolade, die andere die beerigen Würfelchen auf Mürbeteigboden. Ich erfreue mich an Macaron und Mini-Eclair. So passt das. Gegen 18 Uhr neigt sich unsere Tea Time standesgemäß dem Ende zu, unsere Plauderlust jedoch nicht. Wir beschließen, noch zu bleiben und später erneut einen Blick auf die auf papierene Tischsets gedruckte Karte zu werfen.
„Reduzierte Speisekarte zum Re-Start in der Corona-Krise" steht darauf, ohne dass allerdings das Gefühl entsteht, es würde auf Sparflamme gekocht. Küchenchef Andreas Lindner sorgt dafür, dass Klassiker zum Liebhaben aus aller Welt weiterhin die Gäste glücklich machen. Wir sehen den einen oder anderen Flammkuchen vorbeischweben – mal klassisch mit Zwiebeln, Speck und Frühlingszwiebeln, mal mit Ziegenkäse, getrockneten Tomaten und Spinat belegt. Kleine Gerichte wie Backkartoffel mit Räucherlachs, Saté-Spießchen mit Erdnussdip und Wildkräutersalat oder Quiches stehen auf der Karte. Aber auch Ausgewachseneres wie Pizza, Pasta, Fisch und Fleisch ist zu haben.
Mini-Urlaub mitten in der Stadt
Beim Fleisch ist das Angebot derzeit auf Wiener Schnitzel und Entrecôte im Pfeffermantel reduziert; die Fisch-Abteilung muss sich mit Doraden-Filet auf gelbem Linsenragout mit Curry und Grünspargel bescheiden. Saisonale Gerichte, über die Aufsteller auf den Tischen Auskunft geben, ergänzen das Angebot. Gerade noch war es Beelitzer Spargel, nun steht Sommerliches wie Gurkenkaltschale mit marinierten Flusskrebsschwänzen, Caesar Salad, Weißwein-Risotto mit Kräutern, Kirschtomaten und Parmesan oder Sorbet-Variationen mit frischen Früchten und Keks-Crumble darauf. Offene Weine sind auf die Karte gedruckt – die Freunde entscheiden sich für einen Chardonnay von Alois Lageder aus Südtirol. Die Bitte, sich zu den Flaschenweinen beraten oder die ausführliche Weinkarte reichen zu lassen, steht ebenfalls auf dem Papier – einen Vorteil muss die aus hygienischen Gründen gewählte Einweg-Version ja gegenüber den sonst üblichen Tischtüchern haben.
Wir bleiben alle drei ganz klassisch am Schnitzel hängen – das panierte Kalb kommt an einem der letzten Saison-Tage in kleiner Ausführung mit weißem Beelitzer Spargel und frischer Hollandaise für die Freunde auf die Teller. Ich entscheide mich fürs Wiener Schnitzel mit Bratkartoffeln und Gurkensalat. Das Zitronensäckchen sacht angepresst, die Preiselbeeren zum Schnitzel von der Größe eines mittleren Elefantenohrs gegabelt – köstlich!
Der begleitende Hund freut sich ebenfalls, dass ich die Größe des Schnitzels unterschätzt habe. Er darf einige Happen mitessen. Seinem beglückten Gesichtsausdruck nach würde er ebenfalls Wiener Schnitzel ordern. Die Bratkartoffeln werden von ordentlich geschmorten roten Zwiebelringen umspielt; der Gurkensalat ergänzt leicht und eigenständig den sehr solide dimensionierten Teller.
Wir sind uns alle einig: Wir haben Mini-Urlaub mitten in der Stadt gemacht. Der Englische Garten mit dem „Teehaus" ist ein kleiner, britischer „hidden place" – und doch ganz nah am Großen Stern. Mit einem Besuch dort lassen sich gewiss selbst viele Berliner mit „Hamwa allet schon jesehn"-Attitüde noch überraschen. Die britischen Alliierten und die Queen legten seinerzeit mit grünem Rahmen, Cottage und Staatsbesuch vor; Christian Münster und Bianca Schönemann haben mit ihrem Team in den vergangenen neun Jahren das Beste daraus gemacht. Aus dem einst „verlorenen" ist ein nur noch etwas „versteckter" Ort geworden, der Auge, Zunge und Gemüt gleichermaßen erfreut.