Für die Künstlerin Marie-Annick Le Blanc ist der Grubenbrand nicht nur eine Technik, sondern auch eine Lebensphilosophie. Ihr Wissen um diese uralte Methode gibt sie in Workshops weiter.
Der Reisig knistert, das Feuer züngelt und bäumt sich auf. Im südlichen Brandenburg im Landkreis Oder-Spree, wo sich Fuchs und Hase die Pfote reichen, brennt und lodert es in einer Grube. Nicht der Hase sitzt darin, sondern keramische Gefäße, die 48 Stunden Feuer und Rauch ausgesetzt werden. Den ziegelumsäumten Brennofen hat die Wahl-Brandenburgerin und Keramikerin Marie-Annick Le Blanc eigenhändig aufgeschichtet. Die Sägespäne hat sie vom Tischler aus dem Koloniedorf Groß Eichholz angekarrt und das Feuer mit zielgerichtetem Elan mit Holzscheiten, Papier, Reisig, Muscheln, Tannenzapfen und einem alten Holzmörser gefüttert. Mit einer rostigen Eisenplatte wird es abgedeckt und sich selbst überlassen. Auf jedem Gefäß wird man später ihr Emblem – ein viergeteiltes Quadrat – erkennen können: die vier Elemente Erde, Wasser, Luft und Feuer.
Zuvor hatte Marie-Annick Le Blanc ihre Artefakte mit dickem Krepppapier umwickelt. Die geheimnisvollen Pakete bettet sie behutsam auf eine Schicht Sägespäne im offenen Brennofen. Hohe und flache Schalen, Teetassen und imposante, edel geformte Vasen, sind darunter. Das Papier wurde angefeuchtet, mit Eisensulfiten- oder Kupfer bestreut und die keramischen Oberflächen vorsichtig darin gerollt. Auch organische Materialien wie Pflanzen, Blüten, Pferdehaare oder Gräser kommen zum Einsatz und machen jedes Stück zu einem Unikat. Bei 1.000 Grad und geringer Luftzufuhr hinterlassen die Schmauchspuren eine unvorhersehbare Topografie auf den beige-grauen Tonoberflächen. Kosmische Welten, Gischt oder einen Graupelschauer werden manche assoziieren, andere werden einfach nur die Farbnuancen bewundern. Erdtöne wie beige, braun, grau, changierendes, fast nur zu erahnendes metallisches Türkis mit einem Hauch von stumpfem Rost. Jeder Makel birgt Schönheit. Immerhin hat diese Grubenbrandtechnik 4.000 Jahre auf der Scherbe und gilt als älteste Tonbrandtechnik der Urvölker aus Südamerika, Indien, Afrika.
Um vor dem Brand die Feuchtigkeit aus dem Ton zu holen wurden die Gefäße zweimal vorgebrannt und sind innen mit einer Glasur überzogen. Dort entstehen durch starke Hitze und Abkühlung, die aus der japanischen Raku-Wabisabi-Ästhetik bekannten Craquelés (Krakelees) – feine Haarrisse. Raku-Objekte fertigt Le Blanc in einem speziellen Gasofen und bietet für beide Brandtechniken regelmäßige Workshops an. Obwohl die Keramikkünstlerin bereits einige Jahre diese Form der Niederbrandtechnik praktiziert, ist sie sichtlich aufgeregt ob des Ergebnisses. Auch wenn man die Technik in allen Schritten beherrscht, haben Wetter, Mond und Luftdruck ihren Einfluss auf Bruch, Risse und Farbgebung. Je dichter der Rauch, umso dunkler; je höher die Luftzirkulation umso heller das Farbspiel. Der scharmutierte, mit vorgebrannten Partikeln angereicherte Ton sorgt für Stabilität. Zerbrochene Nahtstellen werden mit Kintsugi – einer blattgoldbasierten Kittechnik zusammengefügt.
„Tiefe Gefühle und Selbstreflexion"
Eigentlich kommt die auf Mauritius geborene Französin mit italienischen Wurzeln aus dem Klassik-Musikmanagement – lebte lange in Wien und London. Nach 25 Jahren wollte Le Blanc neue Wege gehen. Seit über vier Jahren hat sie ihren Lebensschwerpunkt in den Naturpark „Dahme-Heideseen" bei Storkow verlagert. „Ich bin ein ziemlich perfektionistischer, kontrollierter, durch die vielen Lebensstationen aber auch recht entwurzelter Mensch. Mit dem Grubenbrand erfahre ich wunderbare Erdung. Als ich im Burgund in Frankreich meine zweijährige Ausbildung absolviert habe, war ich endgültig in meinem neuen Schaffensfeld angekommen." Und dann ist da noch Gina, die das Feuer und den Ablauf bewacht und wohlwollend beobachtet. Die kleine Havaneser-Hündin mit ihrem gescheckten Wuschelfell ist farblich kaum von den keramischen Objekten zu unterscheiden. „Sie kam über Bekannte zeitparallel zu mir, als ich die Initialschaltung in einem VHS-Raku-Meditationskurs hatte. Ich glaube an die Magie der Zufälle, habe gelernt loszulassen." Der meditativste Teil sei übrigens der, wenn die guten Stücke gewaschen, gewachst und stundenlang mit einem Edelstein oder Holz poliert und dadurch abgedichtet werden. Die matten „Brandfarben" bekommen dadurch Tiefe und Intensität. „Ich brauche die Langsamkeit, deswegen forme ich mit der Wursttechnik, bei der die Form über einen langen Zeitraum fragmentarisch zusammengesetzt wird." So habe der schichtweise Entstehungsprozess für Le Blanc durchaus auch etwas tiefgehend Heilsames. Mit dem Grubenbrand erfährt man Archaisches und eine Urform des Sinnlichen. Imposant und ein Ausdruck dafür sind Le Blancs frau-hohe Vasen. In die müsse sie beim Modellieren richtig hineinsteigen. „Ich liebe meine Nanas – vier starke Grazien, die die vier Jahreszeiten symbolisieren." An einer arbeite sie bis zu zwei Monaten. „Ich forme, streichle, kratze und höhle aus. Vergleichbar mit einer Gebärmutter, in der Leben entsteht. Da entstehen tiefe Gefühle und Selbstreflexionen. Es sind mehr als Gebrauchsgefäße", so sei diese haptisch erfahrbare Form des Ur-Weiblichen für sie als Kinderlose ein tiefgehendes Thema und wichtiger Teil ihrer künstlerischen Entwicklung. Diese Sinnlichkeit stecke für Le Blanc in jeder Teeschale. Achtsam geformt in der Krümmung ihrer Hand, erfahre durch sie einen teeseligen Moment, wenn man später achtsam aus ihr trinken wird. Da die Glasur beim Raku nicht vollkommen geschlossen sei, setzen sich feine Tee-Partikel in den Poren der Glasur ab. Nach einer gewissen Zeit bildet sich dann ein feiner Schimmer auf der Oberfläche. Das habe etwas wunderbar Organisches, mache sie zu einem täglichen Begleiter, den man sanft mit den Händen umschließt, der wärmt und zu gemeinsamen Ritualen mit den Liebsten einlädt.
Ihr Wissen, das neben dem Technischen auch viel Lebensphilosophisches birgt, vermittelt die Keramikkünstlerin in Workshops, die sie in Kooperation mit Ryoko anbietet. Die aparte Japanerin führt einen „Shiatsu Senses"-Salon mit allerlei Räucherwerk und duftenden Essenzen nebst Keramik-Verkauf in Neukölln. Das ästhetische Universum ist prädestiniert für die Keramikschätze von Marie-Annick Le Blanc. Hier sind ihre Enfumage- und Raku-Werke zu beschnuppern: Sie duften sogar noch ein bisschen nach Feuer.