Geschlossene Grenzen, alle Veranstaltungen abgesagt: Nicht nur Unternehmen hatten es in Zeiten der verschärften Pandemie-Maßnahmen in Europa schwer. Wirtschaftsvereine leben vom Netzwerken auch über Landesgrenzen hinweg. Doch dies scheint bis auf Weiteres auf Eis gelegt.
Veranstaltungen: Fehlanzeige. Betriebsbesichtigungen: ausgesetzt. Fahrten: unmöglich. Treffen: nur virtuell. Grenzüberschreitend tätige Wirtschaftsverbände oder Vereine haben es in Corona-Zeiten besonders schwer. Abgeriegelte Grenzen sowie unterschiedliche Lockerungsmaßnahmen des Shutdowns in Frankreich, Deutschland, Luxemburg und Belgien haben das Vereinsleben massiv erschwert. Gerade das so wichtige persönliche Netzwerken bleibt auf der Strecke. „Wir können zwar virtuelle Stammtische selbst bei einem Glas Wein organisieren, aber das ersetzt nicht den persönlichen Kontakt", sagt Fabienne Pierrard. Sie ist Präsidentin des Clubs des Affaires Saar-Lorraine mit rund 150 Mitgliedern, der seit über 30 Jahren Wirtschaftstreibende aus dem Saarland und Lothringen vor allem aus dem Klein- und Mittelstand zusammenbringt, um sich auszutauschen, Kontakte zu knüpfen und für ein besseres Verständnis untereinander zu sorgen. In Deutschland und Frankreich gibt es in einem Netzwerk gleich mehrere Clubs des Affaires in den jeweiligen Regionen. Vor allem zum Verein in Straßburg unterhält man gute Kontakte und beteiligt sich an gemeinsamen Veranstaltungen. Unter Normalbedingungen. Doch das sei in diesem Jahr erst einmal auf Eis gelegt.
Gleiches gilt für den Arbeitskreis Wirtschaft (AKW), der die Interessen von weit über 420 kleinen und mittleren Unternehmen sowie Selbstständigen im Saarland vertritt, gute grenzüberschreitende Kontakte nach Lothringen, zum Beispiel zur Wirtschaftsvereinigung Entreprendre en Lorraine-Nord, unterhält, eine Arbeitsgemeinschaft Frankreich ins Leben gerufen hat sowie mit dem Cercle Economique Luxembourg, kurz AKW Luxemburg genannt, über einen Partnerverein im Großherzogtum verfügt. „Trotz Krise wollen wir für unsere Mitglieder sichtbar sein und Services wie Beratung liefern", erklärt der Vorsitzende Dr. Harald Bellmann. Das funktioniere derzeit aber nur mit Online-Veranstaltungen.
„Französische Seele" verletzt
Besonders die einseitig verhängten Grenzschließungen haben die „französische Seele" verletzt. Weniger, dass man es getan habe, als wie man es getan habe, zeuge von Misstrauen, bringt die Vorsitzende des Clubs des Affaires den Unmut vieler Grenzgänger auf den Punkt. „Die Regierungen in Berlin und Paris scheinen das gelebte Europa im Alltag in den Grenzregionen nicht zu verstehen. Unter Freunden hätte man über die Schließung besser informieren müssen." Wieso habe Deutschland die Grenzen zu den Niederlanden und Belgien offen gelassen und zu anderen Ländern geschlossen, obwohl die Pandemie längst in allen Ländern Europas angekommen sei? Das verstehen viele Franzosen nicht, zumal sie es in einem zentralistisch organisierten Staat gewohnt seien, dass Bestimmungen seitens der nationalen Regierung in Paris für ganz Frankreich gelten. „Das Virus kennt keine Grenzen!", sagt Pierrard, gibt aber zu bedenken, dass Grenzbetrachtungen leider immer wieder durch die nationale Brille erfolgen würden. 1986, als die radioaktive Wolke aus dem havarierten Unglücksreaktor bei Tschernobyl vorüberzog, war der Eindruck erweckt worden, die Wolke würde an der französischen Grenze Halt machen. In Deutschland löste sie derweil eine Welle der Angst aus. Oder als in Frankreich nach dem Anschlag auf die Satirezeitschrift „Charlie Hebdo" im Januar 2015 die Grenzen streng überwacht wurden, im Rahmen von „Vigipirate" als Sicherheitsmaßnahme zum Schutz gegen Terrorismus. Der Ausnahmezustand wurde immer wieder verlängert und das Schengen-Abkommen außer Kraft gesetzt, so wie es Deutschland jetzt in der Corona-Krise getan hat. Doch das scheint längst vergessen. Nationale Interessen scheinen trotz eines zusammenwachsenden Europas in Krisenzeiten Vorrang zu haben. Hier gilt es, einiges aufzuarbeiten. Und da bieten grenzüberschreitende Vereine eine gute Basis.
Doch wie geht es weiter in der Nach-Corona-Zeit? Und was kann vor allem ein Verein wie ein Club des Affaires für seine Mitglieder tun? „Wir stehen auch in Krisenzeiten weiterhin hinter der deutsch-französischen Idee, auch wenn die Freundschaft derzeit eine schwierige Situation durchläuft." Der Verein sieht sich als eine Art „Service-Club" für die Mitglieder, obwohl viele Services derzeit nur eingeschränkt möglich sind. Ein Mitgliederschwund oder gar eine Austrittswelle sieht die Präsidentin derzeit aber nicht. Die Beiträge werden jeweils Anfang des Jahres erhoben und sind für 2020 gezahlt. Die nächste Mitgliederversammlung soll zum spätestmöglichen Zeitpunkt in diesem Jahr, also voraussichtlich Ende November, stattfinden. Ob virtuell oder mit persönlicher Anwesenheit könne momentan noch nicht beantwortet werden.
Sorge um Mitgliederzahlen
Beim Arbeitskreis Wirtschaft auf deutscher Seite der Grenze laufen dagegen die Planungen für die turnusgemäße ordentliche Mitgliederversammlung. Da Großveranstaltungen bis in den Herbst dieses Jahres nicht stattfinden dürfen, soll die Versammlung virtuell ablaufen. Allerdings müssen noch die Voraussetzungen, zum Beispiel der Umgang mit Stimmrechten, sowie die technischen Rahmenbedingungen geklärt werden. Dazu sei man im Gespräch mit dem Vereinsregister des Saarlandes, erklärt Harald Bellmann. Sorge bereite ihm allerdings die Mitgliederentwicklung. Eine jährliche Fluktuation von rund fünf Prozent sei normal, aber niemand könne heute genau voraussagen, wie sich die wirtschaftliche Situation bei jedem Einzelnen oder bei jeder Firma bis Ende des Jahres auswirken werde, und das könne gegebenenfalls Auswirkungen auch auf Mitgliedschaften haben. Dadurch, dass große Veranstaltungen in den nächsten Monaten nicht durchgeführt werden dürfen, besteht zumindest die Möglichkeit, ein gewisses finanzielles Polster für eventuell schlechtere Zeiten zu schaffen.
Trotzdem geht Bellmann davon aus, dass gewisse Formate wie das beliebte Ministerfrühstück oder Beratungsworkshops online stattfinden. „Daran arbeiten wir. Es gibt jede Menge interessante Themen und Gesprächspartner." Außerdem sollen die Arbeitsgruppen mit den verschiedenen Themenschwerpunkten wie Frankreich, Innovationen oder Gesundheit ihre Tätigkeit wieder aufnehmen, virtuell oder in Kleinstgruppen. Damit haben das Coronavirus und die getroffenen Maßnahmen die ordentliche Vereinsarbeit, die Veranstaltungskultur und die grenzüberschreitenden Kontakte zu Partnervereinen auf jeden Fall gehörig durcheinandergebracht – und nachhaltig erschwert.