Christian Angern, Julian Angern und Benedikt Reinke, Gründer des Hamburger Start-up-Unternehmens Sympatient, haben die App Invirto entwickelt, um Patienten mit Panikstörungen zu helfen.
ine Fahrt in der S-Bahn, der Besuch eines Supermarktes oder das Flanieren auf einem öffentlichen Platz – für rund fünf Millionen Menschen in Deutschland werden solche Alltagssituationen zu einer Zerreißprobe. Denn sie leiden an einer Angststörung wie der Agoraphobie, Panikstörung oder sozialen Phobie. Die Erkrankungen äußern sich zum Beispiel durch wiederkehrende Panikattacken, die soweit führen können, dass Patienten Angst haben, plötzlich zu sterben.
Für viele Patienten mit Ängsten ist der Weg in die Therapie aber mühsam und schwer. „Was in der Standardtherapie passiert, ist, dass die Patienten selbstständig nach Therapeuten suchen, um passende zu finden", sagt Christian Angern, einer der Geschäftsführer des Start-ups Sympatient. „Bis diese Patienten eine Therapie starten können, dauert es mehrere Monate." Viele fänden gar keine passenden Therapeuten.
Um dem entgegenzuwirken, hat Sympatient die App Invirto entwickelt. „Invirto ist eine Kurzzeittherapie und baut auf der kognitiven Verhaltenstherapie auf", erklärt Angern. Unter einer eigens eingerichteten Terminkoordination melden sich die Patienten bei einer Beratungsstelle an. Statt der durchschnittlichen fünf Monate Wartezeit stellen die Entwickler schon nach wenigen Wochen einen ersten Termin in Aussicht. Zur Diagnostik ist es nicht nötig, selbst zu einem Therapeuten zu gehen. Eine Psychotherapeutin könnte etwa auch einfach per Videochat die Diagnose stellen. „Wir arbeiten dazu mit approbierten Psychotherapeuten zusammen", sagt Angern. Eine dieser Therapeutinnen ist Julia Korn vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein. Sie behandelt seit mehr als zehn Jahren Patienten mit Angststörungen und therapiert bereits mit Invirto. Julia Korn bewertet die ersten Erfahrungen mit der Therapie vor allem für die Patienten positiv: „Ein häufiger Grund für die Teilnahme an Invirto liegt in der guten Verfügbarkeit", sagt sie. „Selbst wenn Patienten einen Termin bei einem Therapeuten für eine klassische Psychotherapie bekommen würden, wäre der Anreiseweg zu weit und der Aufwand für sie zu groß, um in die Therapie zu starten. Außerdem sind es ja gerade Situationen wie das Autofahren oder der öffentliche Nahverkehr, bei denen Panik aufkommt." Für die Angst- und Panikpatienten sei es besonders wichtig, nicht das Haus verlassen zu müssen. Andere freuten sich, ohne Wartezeit beginnen zu können und nicht an Termine gebunden zu sein. „Sie können die Therapie ja machen, wann sie wollen und Zeit haben", sagt Korn.
Patienten können ohne Wartezeit starten
Ist die Diagnostik erst einmal getätigt, geht es an die klassische Therapie der Patienten – ohne weitere Wartezeiten. „Die Patienten erhalten dann alles, was sie brauchen, von uns zugeschickt. Am wichtigsten ist die VR-Brille, die die Krankenkasse übernimmt", sagt Christian Angern. Mithilfe der App lernen die Patienten verhaltenstherapeutische Techniken zur Angstbewältigung und mithilfe von Virtual-Reality-Expositionsübungen ihre Ängste besser zu verstehen. Dabei geht es nicht darum, etwa eine Spinne virtuell in den Raum zu bringen. „Es geht uns nicht um spezifische Phobien wie Angst vor Spinnen oder Flugangst, sondern um Angst- und Panikstörungen, die dafür sorgen, dass Menschen nicht mehr zur Arbeit können, weil sie etwa Angst vor offenen Plätzen haben. Sie können dann nicht mehr das Haus verlassen und haben Angst, dass Panikattacken immer wieder kommen", sagt Angern. „Körperlich kann das sehr belastend sein."
Eigene Erfahrungen hatten die Erfinder der App mit Angststörungen nicht. Christian Angerns Bruder und Mitgründer Julian hatte zum Einsatz von VR-Technologie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein geforscht. Dort stieß er auf viele Probleme in der Versorgung. Die Wartezeiten auf einen Therapieplatz sind sehr lang, und es gab keine richtige App-basierte Therapie für Patienten. So war die Idee für Invirto geboren, die den Patienten helfen soll, ihre Störungsbilder wie Herzklopfen, Schwitzen und Atemnot in den Griff zu bekommen. In der App gibt es diverse Szenarien. „Wir haben darin virtuelle Situationen wie Bahnfahren, in den Supermarkt gehen, öffentliches Reden. Da gibt es eine ganze Reihe von Expositionsübungen, die wir bereitstellen für das jeweilige Störungsbild der Patienten", erklärt Christian Angern. Therapeuten des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein sind während der Übungen per Videochat mit den Patienten verbunden, damit sie stets unter professioneller Aufsicht stehen. „Das Ziel ist, die Erfahrung zu machen, dass man in der Situation ist, aber dennoch damit umgehen kann", sagt Angern.
Neben der VR-Anwendung, die die Patienten per Smartphone und Brille steuern, bekommen sie Zugang zu psychotherapeutischen Videos, die ihnen helfen sollen, Angststörungen besser zu verstehen. Zudem gibt es darin Informationen über Techniken zur Bewältigung der Ängste. Statistiken zu den Erfahrungswerten der ersten Patienten gibt es derzeit nicht. „Invirto wurde im Januar dieses Jahres gemeinsam mit der Techniker Krankenkasse gelauncht. Mittlerweile erstatten auch viele weitere Krankenkassen wie die AOK Nordwest oder die BKK Mobil Oil die Therapie", sagt Christian Angern, der aber hofft, dass in Zukunft weitere Krankenkassen hinzukommen. Denn in der Theorie funktioniert die Behandlung für Patienten überall. „Wir erhalten sehr positive Rückmeldungen von unseren Patienten. Wir ermöglichen ihnen einen einfachen Therapieeinstieg, ohne dabei auf die medizinischen Qualitätskriterien zu verzichten."
Erste sehr positive Rückmeldungen
Nun also stehen die Gründer der App als unter den Top 10 des Gründerpreises ausgezeichnete Jungunternehmer im besten Fall am Beginn einer kleinen Revolution der Angsttherapie. Gab es nie negative Stimmen oder Befürchtungen? „Als Invirto noch eine Idee war, gab es einige kritische Rückfragen, klar", sagt Christian Angern. „Eine häufige Frage war, wie wir eine individuelle Betreuung und Reaktion auf Krisen bei Patienten gewährleisten können. Und diese Anregung hat auch dazu beigetragen, dass wir mit Invirto eine Begleitung durch approbierte Psychotherapeuten gewährleisten – von Krankenkassen erstattet."
Nun gilt es für die Unternehmer, die ersten positiven Rückmeldungen zu nutzen und die App einem breiteren Markt zugänglich zu machen – damit Angstpatienten vielleicht irgendwann in ganz Deutschland davon profitieren.