Hollywoodstar Russell Crowe ist froh, dass nach dem langen Lockdown die Kinos wieder öffnen. Für sein ganz persönliches Kino-Comeback hat sich der Oscarpreisträger den Action-Thriller „Unhinged – Außer Kontrolle" ausgesucht, der gerade angelaufen ist.
Mr. Crowe, stimmt es, dass Sie Angst vor dieser Rolle hatten?
Oh ja, diesen mordlüsternen Wahnsinnigen wollte ich ursprünglich auf keinen Fall spielen. Das Drehbuch hat mir echt Angst gemacht. Also habe ich erst einmal abgelehnt. Aber die Rolle ließ mich einfach nicht mehr los. Da wurde mir bewusst, dass es ja genau diese Herausforderungen sind, auf die ich mich früher immer regelrecht gestürzt habe. Nämlich Rollen anzunehmen, von denen ich denke, dass ich sie eigentlich gar nicht meistern kann. Da wurde mir klar, dass es höchste Zeit war, mich wieder einigen meiner Ängste zu stellen.
Der Autofahrer, den Sie in „Unhinged – Außer Kontrolle" spielen, rastet wegen einer Bagatelle im Straßenverkehr total aus und läuft in seiner Wut ungebremst Amok. Ging Ihnen das vielleicht deshalb so nahe, weil Sie in der Vergangenheit auch selbst ein paar Wutausbrüche in der Öffentlichkeit hatten? Und einmal sogar in Handschellen abgeführt wurden … ?
Das ist doch schon eine halbe Ewigkeit her. Und das gehört sicher nicht zu den Dingen in meinem Leben, auf die ich stolz bin. Ganz im Gegenteil. Das war ein Crashkurs in Demut. Aber meine damaligen Entgleisungen kann man nun wirklich nicht mit den brutalen Attacken vergleichen, die im Laufe des Films passieren. Der Mann, den ich in „Unhinged – Außer Kontrolle" spiele, geht buchstäblich über Leichen und setzt sein Auto als Waffe ein.
Diese Art brutaler Aggressivität hat in der letzten Zeit weltweit erschreckend zugenommen.
Was ich sehr besorgniserregend finde. Das passiert mittlerweile tatsächlich fast überall: in Schulen, Krankenhäusern, in Kirchen oder Moscheen, Clubs oder Kneipen. Da gehen diese Irren hin und eröffnen einfach das Feuer. Das sind Leute, die in einem Supermarkt wegen einer Rolle Toilettenpapier komplett ausrasten und total die Kontrolle über sich verlieren. Warum verhalten sich Menschen gegenüber Menschen so? Warum ist es so weit gekommen? Ein weiterer Grund, warum ich den Film dann schließlich doch machen wollte, war, dass er sich mit diesem Gewaltphänomen auseinandersetzt und – im Rahmen des Thriller-Genres – zeigt, wie zerstörerisch und selbstzerstörerisch diese Art von Aggression ist.
Hollywood hat panische Angst davor, dass der typische Kinogänger durch den Pandemie-Lockdown seine Sehgewohnheiten verändert haben könnte. Mit anderen Worten: Warum ins Kino gehen, wenn man hochkarätige Filme und Serien doch via Netflix, Amazon und Co bequem – und vor allem ohne gesundheitliche Risiken – ins Wohnzimmer gestreamt bekommt?
Wir haben doch in der letzten Zeit alle eine Reihe von sehr ernsten Ereignissen durchstehen müssen. Und natürlich ist die Hoffnung nun groß, dass sich die Dinge nach dem Ende des Lockdowns wieder normalisieren. Obwohl keiner so genau weiß, wie „normal" das alles weitergehen wird … Aber all die Menschen, die sich danach gesehnt haben, endlich wieder Filme im Kino sehen zu können, die werden auch sicher wieder ins Kino gehen. Das Tolle am Kino ist ja, dass dort all die verrückten Dinge auf der Leinwand passieren – und nicht im wirklichen Leben. Da sitzt man gemütlich mit anderen in einem dunklen Raum und kann sich zwei Stunden lang wunderbar vom Alltag ablenken lassen. Ich glaube auch, dass das Kino eine wichtige soziale Funktion erfüllt. Es verleiht uns Zuschauern wieder die Zuversicht, unsere Entscheidungen endlich frei treffen zu können und unser Leben in den Griff zu bekommen.
Apropos „in den Griff bekommen": Die Dreharbeiten zu „Unhinged" waren, wie man hörte, nicht ganz einfach.
Das kann ich bestätigen. Wir haben im Sommer in New Orleans gedreht. Da gab es zwar viel Sonnenschein, aber eines Tages fegte auch ein Hurrikan über uns hinweg. Dann kam das Hochwasser und verwandelte das Set in einen See. Wir mussten tatsächlich eine ganze Woche mit den Dreharbeiten pausieren, bis alle Schäden behoben waren. Das war vor allem für unseren Regisseur Derrick Borte eine große logistische Herausforderung. Aber er hat einen Superjob gemacht. Wie überhaupt die gesamte Crew. Und die Stuntmen erst! Die waren einfach fantastisch. Wann immer es in den letzten 30 Jahren in einem Kinofilm Autorennen oder Verkehrsunfälle gab – einer unserer Stuntmen war daran beteiligt. Also schwatzt man beim Lunch schon mal darüber, wie das Auto in der nächsten Szene am wirkungsvollsten in den Zementlaster gecrasht wird.
Klingt dann doch nach einem sehr entspannten Dreh. Zumindest für Sie.
Die Erfahrungen, die man als Schauspieler während des Drehs macht, unterscheiden sich ja sehr von dem, was der Zuschauer dann auf der Leinwand sieht. Im Film passiert alles sehr schnell, ist haarsträubend spannend, gewaltig und bedrohlich. Tatsächlich werden diese Szenen aber sehr sorgfältig geplant, und dann Stück für Stück abgedreht. Und zwischen den Takes gibt es oft lange Pausen. Die Dreharbeiten zu diesem Film waren, alles in allem, sehr entspannt. Natürlich ist das nicht immer so. Kurz zuvor hatte ich die Mini-Serie „The Loudest Voice" abgedreht, in der ich Roger Ailes, den Gründer des Fernsehsenders Fox News, spiele. Das war eine ganz andere Baustelle! Das war knochenharte Arbeit – sechs Wochen lang, sieben Stunden täglich. Manchmal war ich schon sechs Stunden lang im Make-up-Trailer im Einsatz, bevor auch nur eine Minute gedreht wurde. Das fühlte sich an, als hätte ich den Mount Everest bestiegen. Und das gleich siebenmal hintereinander.
Da war es sicher leichter, diesen amoklaufenden Autofahrer zu spielen. Er ist ja eine ziemlich eindimensionale Figur.
Da täuschen Sie sich aber gewaltig. Das war ja gerade die Schwierigkeit! Diesen von Wut zerfressenen Typen in seinem außer Kontrolle geratenen, singulären Zorn überzeugend darzustellen, hat mir alles abverlangt.
Wie denn das?
Normalerweise komme ich als Schauspieler ans Set mit all meinen Erfahrungen, meinem Können, meiner ganz persönlichen Ausdruckspalette. Damit versuche ich, so gut ich, kann diese meist sehr komplizierten Charaktere vor der Kamera zum Leben zu erwecken. Wie zum Beispiel den genialen Mathematiker John Nash in dem Film „A Beautiful Mind – Genie und Wahnsinn". Aber hier bei diesem Film konnte ich meinen Charakter nur mit einer Farbe malen: schwarz! Ich konnte nichts von seiner menschlichen Seite zeigen. Im ganzen Film gibt es keinen einzigen Moment, der den Zuschauer vom Haken lässt. Der Mann ist Aggression pur. Immer am maximalen Anschlag. Es gibt keine Erklärungsversuche, warum der Typ so handelt oder warum er sich in dieser hoffnungslos-fatalen Lage befindet. Diese Informationen hätten die Wucht des Films unterminiert.
Waren Sie schon selbst mal Opfer von Gewalt im Straßenverkehr?
(lacht) Ich glaube, es gibt auf der ganzen Welt keinen Erwachsenen mit Führerschein, der nicht auf die ein oder andere Weise solche Erfahrungen gemacht hat. Der Zeuge eines solch aggressiven Verhaltens war, oder es sogar am eigenen Leib erfahren hat. Ich erinnere mich noch gut daran, was mir vor einigen Jahren mal in Sydney passiert ist. Es war in der Vorweihnachtszeit, und auf den Straßen war die Hölle los. Autos drängelten hektisch Stoßstange an Stoßstange durch die City. Auch ich war unterwegs und musste auf einer großen Straße gleich vier Spuren wechseln. Ich blinkte wie wild, aber niemand ließ mich in die nächste Spur einfädeln. Hinter mir ein Taxifahrer. Es war mir schon klar, dass auch er großen Stress hatte, um im Weihnachtsgeschäft so viele Fahrten wie möglich zu machen. Er war also hinter mir und hupte ohne Unterlass. Bang! Bang! Bang! Zuerst dachte ich mir: „Was soll’s?!" Aber er hörte nicht auf. Immer wieder Bang! Bang! Bang! Das hat mich den letzten Nerv gekostet. Als dann auch noch der Verkehr komplett zum Stillstand kam, habe ich mein Auto parkfertig abgestellt und bin ausgestiegen. Langsam ging ich auf seinen Wagen zu. (lacht) Da sah ich, wie sich der Gesichtsausdruck des Taxifahrers veränderte: Von blankem Zorn zu „oh shit, ich bin da wohl ein bisschen zu weit gegangen" zu „mein Gott, ist das nicht Russell Crowe?" Ich ging ans Seitenfenster und sagte nur: „Merry Christmas, mate." Ich weiß nicht genau, ob ich damit seine Wut-Blase zum Platzen brachte. Aber ich war mir sicher, dass ich ihm gerade eine verrückte Story gegeben hatte, die er seinen Freunden am Abend erzählen konnte.
Haben Sie zum Schluss noch einen Wunsch?
Ich würde mir wünschen, dass wir es in Zukunft hinkriegen, uns mit Menschen unterschiedlicher Meinung auf höfliche Art und Weise zu unterhalten. Damit wäre schon viel gewonnen.