Die Band Kansas wird dieses Jahr 50 und gehört zu den Pionieren einer Musikrichtung, die alte Konzepte und Stile neu definieren will. Vor kurzem erschien das Studioalbum „The Absence of Presence“, mit dem das Septett mit dem opernähnlichen Sound 2021 durch Deutschland touren will. Schlagzeuger Phil Ehart im Interview.
Mr. Ehart, Sie, Zak Rizvi und Rich Williams haben das neue Kansas-Album produziert. Welche Vision hatten Sie im Kopf?
Unsere Vision war, wir selbst zu sein: die Band Kansas. Unser Gitarrist Zak Rizvi hat einen tollen Job gemacht, indem er den größten Teil des Materials geschrieben hat. Auch unser Keyboarder Tom Brislin hat ein paar Songs beigesteuert. Wir sind an diese Platte herangegangen wie an jede andere Kansas-Scheibe: Wir wollten unser Bestes geben und ein tolles Paket schnüren. Manchmal schaffen wir das, manchmal nicht. Wir sind jedenfalls sehr glücklich mit diesem Album.
Wollten Sie ein klassisches Kansas-Album machen?
Wissen Sie, wir hatten zu keiner Zeit in unserer Karriere vor, ein klassisches Kansas-Album zu machen. Das ist uns einfach immer passiert. Wir sind aber der Meinung, dass die neue Platte für uns sehr typisch klingt.
In der Band agieren sieben Individualisten. Ist Kansas ein komplexes Gebilde?
Diese Band ist so bunt wie die Bevölkerung einer Kleinstadt. Bei uns trifft man auf die unterschiedlichsten Meinungen zu Politik, Religion oder Gesellschaft. Wir leben zum Teil in verschiedenen Zeitzonen und liegen altersmäßig weit auseinander. Und das ist großartig, denn wir sind alle Jungs mit einem ausgeprägten Sinn für Humor. Wir können es kaum erwarten, die neuen Songs live zu spielen.
Verschmelzen alle sieben Bandmitglieder zu einer Person, wenn Sie an einem neuen Kansas-Album arbeiten?
Ja, das muss man. Heutzutage kann jedes Bandmitglied seinen Part zu Hause aufnehmen. Wir haben aber das „Reel 2 Reel“-Studio hier in Georgia, in dem wir gemeinsam neue Musik aufnehmen. Tom hat zudem ein eigenes Studio, in dem er viele Keyboard-Parts eingespielt hat. Auch unser Bassist Billy arbeitet gern von zuhause aus. Die moderne Technologie spielt uns Musikern sehr in die Hände.
Unter welchen Bedingungen haben Sie 1974 Ihr Debütalbum aufgenommen?
1974 waren wir arm wie Kirchenmäuse und lebten in einer Band-WG in Topeka im Bundesstaat Kansas, was eine sehr kleine Stadt ist. Jeder Cent, den wir verdienten, investierten wir in Kansas und in Zigaretten. Auf einmal mussten wir nach New York City gehen, um dort für CBS unser erstes Album aufzunehmen. Wir hatten damals weder eine eigene Crew noch einen Roadmanager. Wir Musiker sind lediglich mit einem Koffer voller Klamotten angereist, die Instrumente und alles andere mussten wir uns in New York leihen. Man steckte uns in ein merkwürdiges Hotel und schon am nächsten Tag standen wir in einem Studiokomplex. Wir hatten lediglich zwei Wochen Zeit, um das Album vollständig einzuspielen. Ein riesiger Druck. Zum Glück hatten wir die Songs bereits jahrelang live gespielt, sodass wir nicht in Zeitnot kamen. Unser Debüt klingt deshalb fast wie ein Live-Album.
Wie erinnern Sie sich an den Aufnahmeprozess in den berühmten Record Plant Studios A und C, wo Jimi Hendrix 1968 sein Meisterwerk „Electric Ladyland“ eingespielt hat?
Aerosmith haben dort zur selben Zeit aufgenommen wie wir. Auch John Lennon war da. Und dazwischen wir, junge Typen aus einer Kleinstadt. Wir wussten eigentlich überhaupt nicht, was wir da taten. Wally Gold, der uns als Produzent vor die Nase gesetzt wurde, hatten wir bis dahin noch nie getroffen. Es war eine sehr spezielle Situation für uns.
Haben Sie John Lennon auf die Finger schauen dürfen?
Oh nein. Er war unten im großen Studio, wir oben im kleinen. Wir haben ihn leider nicht zu Gesicht bekommen. Der Talentscout Don Kirshner hat öfter mal vorbeigeschaut, weil er derjenige war, der uns unter Vertrag genommen hat. Aber wir haben Johnny Winter bei der Arbeit zuschauen dürfen.
Sie alle haben britischen Progressive Rock sehr intensiv studiert. An welchem Schlagzeuger haben Sie sich anfangs orientiert?
Als ich auf der High School war, habe ich mir pausenlos Sachen von Deep-Purple-Drummer Ian Paice angehört. Sein Stil passte unheimlich gut zu mir und zu Kansas.
Spiegelt das neue Album den gegenwärtigen Zeitgeist wider?
Ja, auch wenn das manchmal gar nicht unsere Absicht war. Auf den Albumtitel „The Absence of Presence“ (Die Abwesenheit von Anwesenheit) bin ich bereits vor zwei Jahren gekommen. Aber ich habe damals nicht kommen sehen, dass die Welt im Jahr 2020 von einer Pandemie erfasst wird und alle Musiker zu Hause bleiben müssen. Zu dem Zeitpunkt, an dem diese Platte erscheint, wird es keine Auftritte von uns geben. Manchmal schreibt man rein zufällig prophetische Texte.
„Throwing Mountains“ ist ein für Ihre Verhältnisse ungemein harter Song. Wie kam es dazu?
Auch „Carry on Wayward Son“ ist sehr heavy, aber „Throwing Mountains“ ist vielleicht der härteste Song, den wir jemals gemacht haben. Kansas hat eben auch diese Seite. Das Album enthält sogar Balladen und akustische Anteile. Bei Kansas weiß man nie, was man kriegt, wenn wir eine neue Platte machen. Für uns wäre es sonst langweilig.
„The Absence of Presence“ ist das zweite Album mit Ronnie Platt als Sänger. Wie fühlt es sich an, mit ihm zu arbeiten?
Ronnie hat einen großen Einfluss auf die Band, weil er so ein guter Sänger ist. Mit seiner Stimme erreicht er die selben Stratosphären wie seine Vorgänger. Egal mit was für verrückten Songideen wir an ihn herantreten – er kann alles singen. Dadurch fühlen sich die Songschreiber in der Band natürlich herausgefordert.
Vor Kansas war Ronnie Platt ein ziemlich unbeschriebenes Blatt. Warum wollten Sie ausgerechnet ihn in der Band haben?
Weil wir ihn erlebt haben, wie er unsere alten Songs gesungen hat: „Dust in the Wind“, „The Wall“, „Carry on Wayward Son“. Wundervoll! In dem Moment wussten wir: Ronnie ist unser Mann. Schon beim ersten Treffen spürte man, dass wir uns auch auf der persönlichen Ebene verstehen würden. Ronnie ist jetzt das sechste Jahr bei uns. Er ist ein Sänger, der auch live überzeugen kann. Wir sind froh, ihn gefunden zu haben.
Wie würden Sie die Chemie in der Band beschreiben?
Der wichtigste Aspekt bei Kansas ist das musikalische Können. Insofern ähnelt die heutige Besetzung allen anderen Line-ups. Die Gruppe muss imstande sein, all unsere Songs zu spielen. Aber du brauchst nicht nur großartige Instrumentalisten, wer will schon mit totalen Deppen zusammenspielen. Das würde ja bedeuten, dass eine Band keine Zukunft hat. Zum Glück hatten wir es bislang nur selten mit Idioten zu tun. Sich zu einer Band zusammenzuschließen, ist wie eine Ehe. Manchmal trifft man jemand, von dem man denkt: Das ist die Frau oder der Mann meines Lebens! Aber nach einer Weile stellt man ernüchternd fest: Diese Person ist nichts für mich!
Die verbliebenen Gründungsmitglieder sind mittlerweile um die 70. Wie fühlt es sich an, mit jüngeren Leuten wie Ronnie Platt und Keyboarder Tom Brislin Musik zu machen?
Es tut jedenfalls nicht weh. Das musikalische Können steht bei uns an erster Stelle, und wenn einer jünger ist als die anderen, ist das völlig in Ordnung. Das Alter spielt bei uns keine besondere Rolle. Kansas gibt es jetzt seit 50 Jahren und wir haben sogar noch zwei Originalmitglieder. Zwischen dem jüngsten und dem ältesten Bandmitglied liegen 20 Jahre. Das ist eine ganz schöne Spanne, aber es ist für uns kein Problem. Wir haben alle Spaß, wenn wir zusammen spielen.
Was wollen Sie mit dem Song „Throwing Mountains“ eigentlich sagen?
Der Titel stammt von mir. Für mich ist das eine interessante Kombination von Wörtern. Natürlich fragt man sich als Außenstehender, was das bedeuten soll. Ich habe den Titel dann an unseren Keyboarder Tom weitergegeben und er hat die Klippen mit einem wundervollen Text umschifft. Und unser Gitarrist Zak hat dazu ganz coole Musik geschrieben. Diesen Song werden wir definitiv bei unseren Konzerten präsentieren. Wir vermissen das Live-Spielen und den Kontakt mit unseren Fans sehr.
„The Absence of Presence“ ist Ihr zweites Studioalbum nach einer 16-jährigen Pause. Wie wurde die kreative Flamme von Kansas wieder entfacht?
Die 1990er- und frühen Nullerjahre waren eine harte Zeit für Classic-Rock-Bands, weil Grunge und neuartige Musik wie Rap die Charts dominierte. Aber jetzt erlebt unser Sound eine Renaissance. Schön, dass ich das noch miterleben darf. Inside Out ist eine fantastische Plattenfirma, die uns sehr unterstützt. Aber nach „The Prelude Implicit“ mussten wir wieder auf Tour gehen und spielen und spielen. Die Fans sollten sehen, dass wir es noch drauf haben. Wir sind seitdem über 80-mal mit dem „Leftoverture“-Album aufgetreten, welches 2016 40 Jahre alt wurde. Ein Jahr später waren es über 100 Shows mit „Point Of Know Return“. Das Touren hat uns lange davon abgehalten, neue Songs zu schreiben. Das haben wir jetzt nachgeholt und eigentlich sollten wir jetzt schon auf „The Absence of Presence“-Tour sein. Aber der Shutdown hat sämtliche Pläne zunichtegemacht.
Bei Ihrer Tour in 2021 wollen Sie das neue Album sowie den Klassiker „Point of Know Return“ in voller Länge spielen. Markierte diese Platte aus dem Jahr 1977 einen Wendepunkt?
Sie gehört zu unseren erfolgreichsten Platten. Bei „Point of Know Return“ hatte unser damaliger Manager Bud Carr bei der Plattenfirma erstmals durchgesetzt, dass wir ein eigenes Label-Design bekamen. So was hatten sonst nur Superstars wie Barbra Streisand und Pink Floyd. Wenn man die LP aus der Hülle zog, sah man auf dem Label in der Mitte der Vinylscheibe dasselbe Design wie auf dem Cover. Unser Manager hatte auch die Idee, das Album „Point of ‚Know‘ Return“ anstelle von „No“ zu nennen.
Wird „The Absence of Presence“ womöglich Ihr letztes Studioalbum sein?
Ich hoffe nicht. Wir haben vor, noch ein bisschen weiterzumachen. Uns geht es gesundheitlich gut und wir glauben, dass wir noch etwas zu sagen haben. Es gibt für uns eigentlich keinen Grund, in absehbarer Zeit aufzuhören. Unser Job ist, Platten aufzunehmen und Konzerte zu spielen.
Sie spielen mittlerweile seit 50 Jahren bei Kansas. Wirklich keinerlei Ermüdungserscheinungen?
Ich bin Schlagzeuger. Wäre ich nicht in einer Band, würde ich nicht die Felle bearbeiten. Aber was sollte ich dann tun? Ich habe keine Ahnung. Zum Glück darf ich in einer wirklich guten Band spielen, die auf eine lange Karriere zurückblickt. Wir haben ein paar ganz gute Scheiben gemacht. Und vor vier Jahren sind wir auf wundersame Weise wiederauferstanden. Ich bin vom Glück geküsst.
Sie leiten seit 32 Jahren auch als Manager die Geschicke der Band. Wie kommen Sie mit dieser Doppelfunktion klar?
Ich tue dies alles, weil es mir Spaß bereitet. Für diese Band zu arbeiten ist eine große Herausforderung. Mir macht das Geschäftliche genauso viel Freude wie das Künstlerische. Würde ich die Business-Seite hassen, hätten wir uns sicher einen anderen Manager gesucht. Die anderen Jungs vertrauen mir aber. Natürlich musste ich mich erst beweisen, aber es ist mir wohl gelungen. Zum Beispiel spielte unser Song „Carry on Wayward Son“ in den 15 Staffeln der erfolgreichen Mystery-Serie „Supernatural“ eine sehr wichtige Rolle und wurde als inoffizielle Hymne betrachtet. Das hat uns weltweit viele junge neue Fans eingebracht.