Nur wenn ein Goldschatz oder eine Mumiengrabkammer entdeckt wird, nehmen die Massenmedien Kenntnis von der Altertumswissenschaft. Dabei gibt es viele vermeintlich weniger spektakulärer Funde, die für unser Wissen über die Menschheitsgeschichte aber wichtiger sind.
Die glorreichen Zeiten der Altertumswissenschaft, unter der man heute gemeinhin die Historie des Alten Orients und des frühen Europas von der Ur- und Frühgeschichte bis zum Ende der Antike versteht, scheinen auf den ersten Blick der Vergangenheit anzugehören. Denn schon lange gab es keine solch spektakulären Funde mehr wie die Grabkammer des Tutanchamun, die Büste der Nofretete oder Heinrich Schliemanns Goldmaske des Agamemnon aus dem griechischen Mykene. Doch auch in den jüngsten Dekaden sind immer wieder sensationelle Einzelstücke aufgetaucht, man denke nur an die 1999 von Raubgräbern ausgebuddelte Himmelsscheibe von Nebra.
Auch in den vergangenen zweieinhalb Jahren haben Archäologen in Ägypten und Griechenland so wertvolle Entdeckungen gemacht, dass selbst die Massenmedien davon Notiz genommen haben. Bei Ausgrabungen im südlich von Kairo gelegenen Sakkara konnten Wissenschaftler der Universität Tübingen im Sommer 2018 eine vergoldete Silber-Mumienmaske aus saitisch-persischer Zeit bergen. Der Fund wurde auf die Jahre zwischen 664 und 404 v. Chr. taxiert, kurz bevor am Nil Perserfürsten in Nachfolge der Pharaonen die Herrschaft übernommen hatten. Vermutlich zeigt die Maske das Gesicht eines ägyptischen Hohepriesters der Göttin Niutschies, wobei es sich um einen geheimnisvollen Schlangenkult gehandelt haben soll.
Geheimnisvoller Schlangenkult in Ägypten
Im Winter 2019 konnten amerikanische Archäologen die intakten, etwa 3.500 Jahre alten Gräber zweier Bronzezeit-Prinzen mitsamt ihren kostbaren Schmuckstücken aus Gold, Bronze, Amethysten, Achat und Bernstein in Pylos freilegen, das heute im äußersten Südwesten der griechischen Peleponnes-Halbinsel gelegen ist und einst eines der Zentren der mykenischen Hochkultur gewesen war. Laut Homer hatte in seinem Palast König Nestor residiert. Obwohl die Kuppelgräber eingestürzt waren, lassen erhaltene Spuren die Schlussfolgerung zu, dass die Kammern komplett mit Gold ausgekleidet gewesen sein müssen. Ein 16-zackiger Stern, der in ein Artefakt aus Bronze und Gold eingraviert worden war und der zusätzlich auch noch auf einem Achat-Siegel zu finden ist, gibt den Forschern bislang große Rätsel auf.
Natürlich ist das Aufspüren solcher Schätze der Traum eines jeden Altertumswissenschaftlers. Allerdings kann es auch schnell ein falsches Licht auf deren Arbeit werfen, weil diese eben nicht in erster Linie eine Jagd auf wertvolle Geschmeide à la Indiana Jones ist. Diese spektakulären Einzelfunde sorgen natürlich für große öffentliche Aufmerksamkeit und können daher die persönliche Eitelkeit einiger Forscher jenseits des berühmten Elfenbeinturms befriedigen. Ihr wissenschaftlicher Erkenntnisgewinn steht dazu aber meist in keinem vernünftigen Verhältnis. Diesbezüglich können beispielsweise scheinbar unspektakuläre Knochenfunde oder Höhlenmalereien wesentlich wichtigere Einblicke in die Menschheitsgeschichte erlauben. Dank der enormen Fortschritte in den Naturwissenschaften, vor allem in Sachen Genanalyse oder Datierungstechnik, konnten in den letzten Jahren zudem ältere Funde einer Neubewertung unterzogen werden und dadurch unser Wissen um die historische Vergangenheit erheblich erweitert werden. Das mag die folgende Auswahl an Entdeckungen der Altertumswissenschaft der letzten zweieinhalb Jahre verdeutlichen, wobei wir zusätzlich auch einige Funde aus dem Mittelalter mit berücksichtigen möchten.
Steinzeit
Wissenschaftler der Universität Kopenhagen hatten 2018 im Nordosten Jordaniens in Feuerstellen verkohlte, 14.400 Jahre alte Brotreste gefunden, die darauf hindeuten, dass brotartige Lebensmittel offenbar schon vor der Etablierung des Ackerbaus verzehrt wurden, was erst 4.000 Jahre später geschehen war. Das frühe Brot bestand aus wilden Kornarten, die zu flachen, ungesäuerten Fladen verarbeitet worden waren. Als ältestes Graffiti der Welt wurde 2018 ein Fund in der Blombos-Höhle östlich von Kap Agulhas in Südafrika gedeutet. Es wurde vor 73.000 Jahren von frühen Vertretern des Homo sapiens mit ockerfarbenen Linien auf einem Silicrete-Stein gemalt und erinnert optisch an das Hashtag-Symbol. Auf die älteste Felsenmalerei der Welt, das erste Beispiel einer menschlichen Höhlenkunst, waren Forscher 2018 im indonesischen Borneo gestoßen. Das Alter des Fundes wurde auf rund 44.000 Jahre taxiert, womit er deutlich vor den europäischen Höhlenmalereien wie denen von Lascaux entstanden sein muss und auch älter ist als die aus Mammutelfenbein geschnitzten Tierfiguren, die auf der Schwäbischen Alb entdeckt worden waren und die bislang als älteste bildende Kunst der Welt angesehen wurden. Die Motive zeigen Wildrinder, Handumrisse sowie Darstellungen von Menschen, die auch halb Tier sein könnten. Bis zu den Funden in der spanischen La-Pasiega-Höhle galt es in der Forschung als ausgemacht, dass nur der Homo sapiens zu kunstsinnigen Leistungen fähig war. Doch ein leiterartiges Gemälde aus waagrechten und senkrechten Linien, dessen Alter auf 64.000 Jahre geschätzt wurde und das eindeutig dem Neandertaler als Schöpfer zugeschrieben werden konnte, bewies 2018 das Gegenteil.
Apropos Neandertaler: Forscher fanden 2018 ein Knochenfragment eines Mädchens. Anhand dieses konnten sie erstmals nachweisen, dass Neandertaler und Denisova-Mensch sich vor 50.000 Jahren gepaart hatten. An der Normandie-Küste bei Le Rozel konnte anhand von 260 Fußabdrücken 2019 rekonstruiert werden, dass es bei den Neandertalern so etwas wie eine Frühform einer Kita gegeben haben könnte. Dass die Urmenschen generell und der Homo heidelbergensis im Besonderen gar nicht so einfältig gewesen sein können, wie lange angenommen wurde, konnte 2020 abermals durch Grabungen im niedersächsischen Braunkohletagebau Schöningen bestätigt werden. Forscher konnten Wurfstöcke sichern, die vor 300.000 Jahren als effektives Jagdinstrument benutzt worden waren. Zum Schmunzeln anregend ist die Entdeckung von 2019 aus dem chinesischen Pamirgebirge, wonach Menschen offenbar schon vor 2.500 Jahren gekifft hatten, denn es konnten Gefäße mit Resten von verbranntem Cannabis gesichert werden. Eine Aufsehen erregende Entdeckung konnte 2019 in einer Tongrube im Allgäu gemacht werden. Dort fand man Knochen einer bislang unbekannten Primatenart und taufte sie auf den Namen Danuvius guggenmosi. Der Menschenaffe lebte vor 11,6 Millionen Jahren und könnte der erste bekannte Affe gewesen sein, der auf zwei Beinen lief. Im äthiopischen Fincha Habera konnte 2019 die älteste Hochgebirgssiedlung der Menschheit ausfindig gemacht werden. Auf 3.500 Meter Höhe lebten hier schon vor 47.000 Jahren Jäger und Sammler. Rätselhaft bleibt, warum die Menschen damals die fruchtbaren Tallagen rund um das Bale-Gebirge verlassen hatten.
Bronzezeit
Das Ringheiligtum von Pömmelte in Sachsen-Anhalt aus der Frühbronzezeit gilt als das deutsche Mini-Stonehenge und ist eine wahre Fundgrube für Archäologen, die längst kreisrunde Erdwälle sowie Palisaden aus mehr als 1.200 Baumstämmen freigelegen konnten. 2018 fanden Forscher zudem eine ganze Reihe von Skeletten, die auf heftige Verletzungen oder Verstümmelungen von Betroffenen aus dem 3. Jahrtausend v. Chr. schließen lassen. Vermutlich wurden sie im Rahmen eines Kultes geopfert. Dass zum Füttern von Babys schon vor 3.000 Jahren spezielle Schnabel-Trinkfläschchen aus Ton hergestellt worden waren, konnten Funde aus dem bayerischen Altmühltal 2019 belegen, obwohl solche Saugflaschen auch schon aus dem alten Ägypten und aus der griechisch-römischen Antike bekannt waren. Im malerischen Tollensetal in Mecklenburg-Vorpommern hatte es vor rund 3.300 Jahren eine große Schlacht gegeben, bei der offenbar Krieger aus dem südlichen Mitteleuropa auf Einheimische getroffen waren. Die ferne Herkunft eines der beiden Gegner konnte 2019 durch einen im Fluss Tollense aufgebrachten kleinen Bronzeschatz bewiesen werden.
Antikes Ägypten
Einen imposanten Sarkophag aus ungewöhnlichem schwarzem Gestein, der auf die Zeit des Ptolemäerreichs taxiert wurde, fanden Wissenschaftler 2018 in Alexandria. Vorschnelle Vermutungen, dass darin der vor mehr als 2.200 Jahren verstorbene Alexander der Große bestattet worden sein könnte, sollten sich jedoch als falsch erweisen. Im Jahr 2019 waren Wissenschaftler in Sakkara auf die Grabkammer eines hochrangingen Würdenträgers mit bunten Reliefs und Inschriften aus der Zeit zwischen 2.500 und 2.300 v. Chr. gestoßen.
Griechisch-römische Antike
Der Untergang der Römerstadt Pompeji infolge eines Ausbruchs des Vesuvs muss nach einem Fund aus dem Jahr 2018 neu datiert werden. Bislang war man vom 24. August des Jahres 79 n. Chr. ausgegangen, doch eine danach noch vor Ort gefertigt Inschrift führte zu einer Verlegung des Katastrophentermins auf den 17. Oktober des Jahres 79. Israelische Wissenschaftler hatten 2018 eine der beiden letzten ungelesenen Schriftrollen aus den Qumran-Höhlen am Toten Meer zusammensetzen und entziffern können. Ihre Kollegen hatten 2019 die Überreste einer frühen Moschee aus dem 7. oder 8. Jahrhundert in der Negev-Wüste entdeckt. Eine Schweizer Forscherin hatte 2019 den bisher ältesten bekannten, in Ägypten verfassten christlichen Brief aus der Zeit um 230 n. Chr. aufgespürt. Auf Papyrus enthält er Schilderungen von Alltagsereignissen und Familienangelegenheiten, wobei auch Kulinarisches wie die beste Fischsauce zur Sprache gekommen war. In den Trümmern, die die Terrormiliz IS in Mossul hinterlassen hatte, sind deutsche Archäologen Anfang 2020 auf die Spuren eines Palastes von Asarhaddon gestoßen, der zwischen 680 und 669 als Großkönig das Neuassyrische Reich angeführt hatte.
Mittelalter
Mithilfe eines Metalldetektors hatten im Frühjahr 2018 ein Schüler und ein Dachdecker, die als ehrenamtliche Helfer des archäologischen Landesamtes tätig waren, auf Rügen einen riesigen Silber-Münzenschatz entdeckt, zu dem auch noch Schmuckstücke wie Halsreifen oder Perlen gehörten. Das Gesamtgewicht des Fundes betrug immerhin 1,5 Kilogramm und konnte auf die Zeit des sagenumwobenen Dänenkönigs Harald Blauzahn (919-987) datiert werden. Die Wikinger pflegten, wichtige Persönlichkeiten in Booten zu bestatten. 2019 machten norwegische Forscher allerdings bei Ausgrabungen in Vinjeora die ungewöhnliche Entdeckung, dass ein Boot mit einer verstorbenen Frau aus dem 9. Jahrhundert in ein Boot eines verblichenen Mannes aus dem 8. Jahrhundert hineingesetzt worden war. Was sich bislang niemand erklären kann.
Neues aus dem Maya-Reich
Statt bislang von drei Maya-Codices, die aus der Zeit vor der spanischen Konquista Zeugnis von der alten indigenen Kultur ablegen konnten, muss künftig von vier Codices gesprochen werden, weil 2018 der sogenannte Codex Grolier als Original deklariert worden war. Dabei handelt es sich um eine Bilderhandschrift voller Hieroglyphen und Götterdarstellungen. Einen entscheidenden Anteil am Untergang des Maya-Reiches schrieben Forscher 2018 übrigens dem gravierenden Abholzen des Regenwaldes zu. Im Norden Perus machten Wissenschaftler 2018 die grausame Entdeckung eines Massengrabs aus der Zeit zwischen 1200 und 1470 von mehr als 140 Kindern, die wahrscheinlich in einem kultischen Ritual der Chimú-Kultur geopfert worden waren. Ebenfalls in Peru wurden 2020 Gänge mit Menschengräbern aus der Chavin-Periode freigelegt, die rund 2.000 Jahre vor der Inka-Hochkultur angelegt worden sein müssen. Dass ein zeitgenössischer Bericht aus der Konquista-Epoche über Türme aus Totenköpfen in der aztekischen Hauptstadt Tenochitlan, die nach neuesten Erkenntnissen sogar über ein riesiges Dampfbad verfügt hatte, keineswegs eine Legende war, konnte 2019 durch Ausgrabungen belegt werden. Forscher konnten im Herzen von Mexiko-Stadt einen mit Mörtel befestigten Schädelturm freilegen. 2020 konnten Wissenschaftler zudem erstmals in Mexikos Hauptstadt exakt den Kern der einstigen Azteken-Zentrale lokalisieren. Andere Wissenschaftler konnten 2020 ein bislang unbekanntes Königreich der Maya namens Sak Tzi im Süden von Mexiko ausfindig machen. Der Mythos, dass die Maya eigentlich ein friedliebendes Volk waren, wurde 2020 endgültig durch die Auswertung von früheren Ausgrabungen im mexikanischen Uxul mit Relikten von Menschenopferungen widerlegt. Hochinteressant auch die aus Erbgutfragmenten 2018 gewonnene wissenschaftliche Erkenntnis, dass wohl sämtliche indigenen Völker Amerikas von einer einzigen Gruppe Menschen abstammen, die vor rund 30.000 Jahren über die Beringstraße aus Asien nach Alaska eingewandert war.