Urlaub auf dem Bauernhof? Kennt man. Doch nicht alle können der konventionellen Tierhaltung etwas abgewinnen. Die Alternative: Gnadenhöfe – wie der von Hans-Peter Zeh in Bayern.
eica will nicht. Obwohl die Sonne scheint, die Vögel zwitschern und der Geruch von frischem Gras in der Luft liegt, macht die Kuh keine Anstalten, auf die Wiese zu trotten. „Die hat sich eine Bänderzerrung zugezogen", sagt Hans-Peter Zeh, während er Heu in Leicas Stall schaufelt. „Außerdem ist sie sowieso ein Einzelgänger."
Was er über die Kuh sagt, trifft in gewissem Maße auch auf den Landwirt selbst zu. Der 51-Jährige sticht nicht nur durch seinen langen Zottelbart hervor, sondern auch durch eine konsequente Lebensweise: Auf seinem Gnadenhof im Allgäu können ehemalige Nutztiere ungestört das Landleben genießen. „Die müssen gar nichts mehr machen", sagt Zeh. Keine Milch geben, kein Fleisch liefern, keinen Nachwuchs gebären. Er weiß, dass ihn viele seiner Nachbarn deswegen für verrückt halten. „Aber das ist mir egal", sagt er entschieden. „Ich mache nie mehr etwas anderes."
Das war nicht immer so. Als Zeh das elf Hektar große Gelände 1995 von seinem Vater übernahm, führte er den Hof zunächst als Milchviehbetrieb weiter. Er kannte es nicht anders. „Am Anfang war ich wirklich motiviert", sagt der Landwirt. „Aber nach und nach wurde es immer schlimmer. Irgendwann habe ich es nicht mehr ausgehalten, wenn die Tiertransporte kamen." 2013 machte er Schluss. Hatte er zuvor vom Verkauf der Milch und der Rinder gelebt, musste er nun eine neue Lebensgrundlage finden – und gleichzeitig für die verbliebenen Tiere aufkommen. „Eine Kuh kostet circa 100 Euro im Monat", sagt Zeh. „Da kommt ganz schön was zusammen."
Die Lösung besteht aus Menschen wie Jochen Zierhut. Der 51-jährige Münchner verbringt mit seiner Frau und seinem Sohn eine Woche auf dem Gnadenhof. Am Vorabend ist die Familie angereist, nun ist Zeit für einen Plausch mit dem Vermieter. „Die Ferienwohnung ist super", sagt Zierhut, „aber die Heizung wird nicht richtig warm. Wenn das Wetter umschlägt, haben wir ein Problem." Zeh, der noch immer in Leicas Stall zugange ist, greift zum Handy. „Ich lasse jemanden kommen", verspricht er, was den Gast beruhigt. Prompt fragt er, wie man es schaffe, so einen langen Bart zu bekommen. „Einfach wachsen lassen", rät Zeh. „Da hat sogar schon ein Ochse reingebissen. Tat gar nicht weh."
„Mache nie mehr etwas anderes"
Ferien auf dem Bauernhof: Das gibt’s schon lange. Doch zu Corona-Zeiten, in denen Fernreisen fast tabu sind, erlebt diese Art des Urlaubs eine Renaissance. Viele Städter mögen es, für einen begrenzten Zeitraum Stallluft zu schnuppern und Landwirten bei der Arbeit zuzusehen. Allein für Bayern listet das Portal „Bauernhof und Landurlaub" über 5.000 aktive Ferienwohnungen auf. Aber Urlaub auf dem Gnadenhof? Das ist neu. Zumal es sich streng genommen gar nicht mehr um einen aktiven landwirtschaftlichen Betrieb handelt. Frühmorgens aufstehen, beim Melken helfen und danach ein Glas frische Milch trinken? Bei Hans-Peter Zeh wäre das nicht möglich.
Urlauber Jochen Zierhut findet das Konzept gerade deshalb gut. „Wir müssen alle umdenken", sagt der Familienvater. „Die konventionellen Großbetriebe sind nicht die Zukunft. Hier sieht unser Sohn, wie die Viecher eigentlich leben. Er hat ihnen sogar schon Namen gegeben." Die vier Ferienwohnungen, in denen Gäste übernachten können, sind in einem Nebengebäude untergebracht. „Die gab’s schon, als mein Vater den Betrieb noch geleitet hat", sagt Zeh. Damals seien nur vereinzelt Gäste gekommen. Im Laufe der Jahre habe man die Unterkünfte renoviert und dadurch neue Urlauber gewonnen. „Heute läuft es richtig gut", freut sich der Bauer. „Wir könnten zehn Wohnungen vermieten, wenn wir sie hätten."
23 Rinder gibt es auf dem Gnadenhof – außerdem sieben Ziegen, zehn Katzen, acht Hühner, zwei Gockel und fünf Enten. Wer möchte, kann beim Stall ausmisten helfen, Futter ausgeben oder die Tiere auf die Weide begleiten. „Manche Kinder wollen gerne auf dem Traktor mitfahren", erzählt Zeh, der seit sieben Jahren vegetarisch lebt und nur noch Hafermilch trinkt. Seit er mit der Nutztierhaltung aufgehört hat, hätten sich seine Kühe verändert. „Die sind ganz anders als früher", sagt Zeh. „Sie wirken zufrieden und gelassen. Eigentlich will eine Kuh nur ihre Ruhe."
Zum Überleben sind auch Spenden notwendig
Doch die Idylle muss auch bezahlt werden; von Urlaubern allein kann der Gnadenhof nicht leben. Hans-Peter Zeh ist deshalb auf Spenden angewiesen. Tierschützer, die mit seiner Philosophie sympathisieren, haben ihm Möbel für die Ferienwohnungen vorbeigebracht. Vegane Gruppen teilen seine selbst gedrehten Videos, um ihn bekannter zu machen. Andere geben Geld, damit er Futter zukaufen kann – das eigene Gras reicht nicht, um alle Rinder zu versorgen. Trotzdem dachte er schon mehrfach ans Aufgeben. Im Mai 2019 veröffentlichte er einen emotionalen Facebook-Post („Ich kann nicht mehr!"), in dem er eine neue Heimat für einen Großteil seiner Kühe suchte.
Der Appell zeigte Wirkung. Nicht nur die Medien wurden auf den Gnadenhof aufmerksam. Auch meldeten sich zahlreiche Helferinnen und Helfer, um im Stall mit anzupacken. Die Ferienwohnungen sind seither ausgebucht. „Ich war total überfordert, wer alles helfen wollte", sagt Zeh. Bis spät in die Nacht habe er am Computer gesessen und Anfragen beantwortet.
Er hatte Glück. Bei anderen Gnadenhöfen, die sich ebenfalls an Urlauber richten, geht das Konzept nicht immer auf. So hat das in Norddeutschland gelegene „Kuh-Altersheim" Hof Butenland seine Ferienwohnungen wieder geschlossen, nachdem deren Bewirtschaftung zu aufwendig geworden war. „Ärgerlicherweise haben manche Gäste die Wohnungen in so einem Zustand hinterlassen, dass wir diesbezüglich richtig viel Zeit und Arbeitskraft investieren mussten", schreibt die Tierschutz-Stiftung auf ihrer Website.
Ein neuer Freilauf-Stall für die Kühe
Solche Probleme gab es im Allgäu bislang nicht. Gerade stapft eine junge Familie über die Kuhwiese. Zehs Freundin Alexandra Petereit erklärt ihnen die wichtigsten Regeln: keine Angst haben. Nicht zu nah rangehen. Immer auf die Hörner achten. „Das sind sehr liebe Tiere", sagt die 51-Jährige. „Aber sie schlagen manchmal um sich, um Fliegen zu vertreiben." Die zwölfjährige Clara lässt sich davon nicht entmutigen. Sie geht auf Kuh Liane zu und streicht ihr übers Fell. „Kämpfen die auch mal untereinander?", will sie wissen. „Nur ein paar Kabbeleien", antwortet Petereit. „So wie bei dir und deinem Bruder." Unterdessen nimmt Landwirt Zeh das nächste Projekt in Angriff. Im Winter sind seine älteren Kühe derzeit in einem „Anbinde-Stall" untergebracht: Der Platz ist beengt, weshalb die Tiere angebunden werden müssen. „Die wollen es aber bequem haben", sagt Zeh, weshalb er langfristig einen Freilauf-Stall für die Tiere bauen möchte. Die Kosten dafür? „Bestimmt mindestens 80.000 Euro", schätzt der Landwirt und lehnt sich an den Traktor. Bis diese Summe erreicht ist, müssen noch viele Spenden bei ihm eingehen – und Feriengäste übernachten.