Mit seiner Sprachenstrategie hatte das Saarland für internationale Aufmerksamkeit gesorgt. Den Schlagzeilen ist die Mühsal der Umsetzung gefolgt. Eine Bilanz nach sieben Jahren.
Das Saarland soll französischer werden. Das war das Ziel, als die damals amtierende Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) und ihr Kabinett 2014 die Frankreichstrategie vorstellten, und das ist es auch heute noch, wenn ihr Nachfolger Tobias Hans (CDU) deren dritte Auflage vorstellt. Innerhalb einer Generation – bis zum Jahr 2043 – soll Französisch zur zweiten Verkehrssprache im Saarland werden. Damit legte Kramp-Karrenbauer den Grundstein für etwa 30 Jahre Arbeit.
Der Grundstein der Mehrsprachigkeit soll nicht erst in den Schulen, sondern bereits in den Kitas gelegt werden. Das Saarland liegt in puncto bilinguale Kindertagesstätten an der Bundesspitze: 68 Kindertageseinrichtungen sind als sogenannte Elysée-Kitas ausgezeichnet worden. In ganz Deutschland gibt es davon 158 Einrichtungen. Dennoch ist der Personalmangel in Kitas auch in Sachen Zweisprachigkeit ein großes Problem, das nicht nur die Quantität des Angebots, sondern insbesondere auch die Qualität beeinflusst. Personalmangel ist auch in den Grundschulen ein großes Problem. Erst ab Klassenstufe 3 ist der Französischunterricht an den saarländischen Grundschulen verpflichtend. Nur in 44 der 161 saarländischen Grundschulen wird der Unterricht bereits ab Klassenstufe 1 angeboten – zu wenige, wenn man auf die Meinung von Experten vertraut. Denn schaut man sich die Zahlen aus dem Jahr 2014 an, hat sich die Zahl gerade einmal um sechs Grundschulen gesteigert. Aber nicht nur der Mangel an mehrsprachigem Personal verursacht hier erhebliche Probleme. Immer mehr Schüler sprechen kein Deutsch als Muttersprache, zudem ist der Finanzrahmen eng, die Ausbildungskapazitäten für französische Lehrkräfte begrenzt und eine gemeinsame binationale Lehrerausbildung mit Frankreich werde zwar angestrebt, bisher aber nicht etabliert.
Aber nicht nur in der Bildung, auch für Wirtschaft und Wissenschaft spielt die Mehrsprachigkeit im Grenzraum eine große Rolle. Seit 2017 ist Frankreich der wichtigste Export-Partner Deutschlands. Großes Ziel ist ein länderübergreifender Technologiepark für Künstliche Intelligenz und Cybersicherheit – gemeinsam mit den Partnern in der Region Grand Est. Besonders zukunftsträchtige Branchen sollen über die Grenze hinweg weiterentwickelt werden. Dazu gehören auch beispielsweise die E-Health- oder die Luft- und Raumfahrt-Industrie. Gerade Starts-ups sollen besser gefördert werden.
Auch das Angebot der grenzüberschreitenden Ausbildungen – beispielsweise im Handwerk oder im Einzelhandel – soll weiter ausgebaut werden. Besonders französische Jugendliche interessieren sich für eine Ausbildung in einem deutschen Betrieb in Verbindung mit dem Besuch einer französischen Berufsschule. Seit 2014 gibt es ein Abkommen zwischen dem Saarland und Lothringen, das diese Möglichkeit bietet. Rund 70 Jugendliche hätten diese bislang genutzt.
Rund 18.000 Menschen pendeln täglich beruflich über die deutsch-französische Grenze. Wichtig für diese Pendler ist aber auch ein funktionsfähiger grenzüberschreitender öffentlicher Personennahverkehr. Aufgrund unterschiedlicher technischer Systeme gibt es noch immer nur wenige umsteigefreie Verbindungen im Schienenverkehr. Das Angebot muss ausgeweitet werden. Dafür finanzieren Deutschland und Frankreich die Entwicklung eines gemeinsamen Schienenverkehrs. Das saarländische Verkehrsministerium hatte dazu gemeinsam mit den französischen Partnern zu Beginn des Jahres ein Konzept vorgestellt.
Nicht nur für die Wirtschaft kann die Grenznähe richtig genutzt viel bringen, auch im Gesundheitssektor kann sie eine entscheidende Rolle spielen. Im Sommer 2019 wurde die Kooperationsvereinbarung Mosar unterzeichnet, die es deutschen und französischen Patienten erleichtern soll, ein Krankenhaus jenseits der Grenze aufzusuchen. Weitere Kooperationsmöglichkeiten seinen von saarländischer Seite aus angedacht. Gerade zu Hochzeiten der Corona-Pandemie hatten viele französische Erkrankte medizinische Hilfe in saarländischen Krankenhäusern gefunden. Was für ein Fortschritt das ist, zeigt ein Sprung in die Vergangenheit: Bis zum Jahr 2005 war es Rettungsdiensten aus Frankreich nicht gestattet, auf deutscher Seite beziehungsweise deutschen Rettungsdiensten nicht erlaubt, auf französischer Seite tätig zu sein.
Auch Justiz und Polizei profitieren von Kooperationen mit dem Nachbarn. Selbsterklärend ist aber auch hier, dass ein sicherer Umgang mit beiden Sprachen existenziell ist und bereits ab Berufseinstieg immer wichtiger wird.
Französisch bis zum Jahr 2043 im Saarland als Handelssprache etablieren
Aber nicht nur in den Bereichen sollen das Saarland und der französische Nachbar voneinander profitieren: Auch eine gemeinsame Kulturpolitik ist angestrebt. Mit vielen gemeinsamen Angeboten, wie beispielsweise dem Festival Perspectives, soll der Bilingualität im wahrsten Sinne des Wortes eine Bühne gegeben werden. Aber auch Erinnerungskultur und die Aufarbeitung der gemeinsamen Geschichte spielen hier eine große Rolle.
In einer immer globaler werdenden Welt sind viele Probleme nur gemeinsam lösbar. Seit der „feuille de route 2", dem Etappenplan von 2016 bis 2019, ist daher auch Umweltschutz und Energiepolitik ein Bereich der Frankreichstrategie. Konkrete gemeinsame Maßnahmen sind bislang nicht formuliert, aktuell setzt man auf den Austausch untereinander sowie die Information der Bürger um die Transparenz – insbesondere betreffend des umstrittenen Atomkraftwerks Cattenom und der Chemieplattform Carling – zu wahren.
Kommunikation ist nicht nur hier wichtig, sondern existenziell um viele weitere Ziele zu erreichen. Dazu zählt nicht nur die Kommunikation mit Paris und Brüssel oder der Region Grand Est, sondern auch die Kommunikation mit dem Bürger. Auf deutscher, besonders aber auch auf französischer Seite soll die Öffentlichkeitsarbeit daher verstärkt werden. Das soll in einer Tour der Landesregierung durch Frankreich vonstattengehen. Ziel, so steht es in der dritten Auflage der Frankreichstrategie, sei es vor dem Ziel der Zweisprachigkeit auch, Beobachterstatus bei der „Organisation internationale de la francophonie" (OIF) zu erlangen. Die OIF repräsentiert Länder und Regionen, die Französisch als Amts- oder Handelssprache nutzen. Das sind aktuell etwa 300 Millionen Menschen in 88 Ländern.
Bis 2043 ist es noch eine lange Zeit – so viel ist sicher. Ob die kommenden 23 Jahre ausreichen, eine echte Zweisprachigkeit im Saarland zu erreichen, kann heute noch niemand mit Sicherheit sagen. Sicher ist allerdings, dass es dafür mehr Geld und Ressourcen benötigt. In den letzten Jahren schien die Frankreichstrategie etwas stiefmütterlich behandelt worden zu sein. Andere Themen schienen immer Vorrang zu haben. Ob und wie die Ziele der Frankreichstrategie sich nun mit diesen anderen, wichtigen Zukunftsfeldern verknüpfen lassen, wird die Zukunft zeigen. Der aktuelle Etappenplan, die „feuille de route 3", soll bis 2022 umgesetzt werden. Dafür müssen aber teilweise noch Altlasten aus dem vorangegangenen Plan abgearbeitet werden. Viel Neues hat der dritte Etappenplan aber auch nicht zu bieten. Man wolle die bestehenden Maßnahmen zwar weiter ausbauen, neue Ideen sind aber kaum zu finden. Auch der Kostenpunkt –
damit verbunden auch die Frage, ob dieser für das Land finanzierbar ist – ist bisher noch nicht geklärt. Der Vorsitz der Europaministerkonferenz, den das Saarland noch bis Juli 2021 innehat, kann für die Frankreichstrategie jedenfalls nicht schädlich sein.