Österreichische Wissenschaftler scheinen den Nachweis erbracht zu haben, dass das Geheimnis eines schlanken Körpers doch mit unseren Genen zu tun hat. Sie sind einem im Hypothalamus aktiven Gen namens ALK auf die Spur gekommen.
Rund um den Planeten werden die Menschen immer dicker und fülliger. Es gibt aber auch einige wenige glückliche Menschen, die Lebensmittel gewissermaßen in sich hineinschaufeln können, ohne dabei an Körperfülle zuzulegen. Was gemeinhin ihrem überdurchschnittlich gut funktionierten Stoffwechsel zugeschrieben und in dem resignierten Ausspruch „Das muss wohl an den Genen liegen" zusammengefasst wird. Ob die Gene tatsächlich eine ganz zentrale Rolle bei der Ausbildung von Adipositas spielen, haben Wissenschaftler nun schon seit vielen Jahren zu überprüfen versucht. Der Forschungsansatz war dabei eigentlich immer der gleiche: Es wurde im menschlichen Erbgut einzig und allein nach Genen oder deren Mutationen gesucht, die für Übergewicht oder Adipositas verantwortlich gemacht werden konnten. Dabei konnten bislang immerhin mehr als 700 Mutationen identifiziert werden. Doch selbst alle diese Genvarianten zusammengenommen konnten nur unwesentliche Auswirkungen von geschätzten zwei bis drei Prozent auf das menschliche Körpergewicht erklären.
Ein Team vom in Wien ansässigen Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften rund um Dr. Josef Penninger sowie seinem Wiener Kollegen Michael Orthofer hatte einen gänzlich anderen Forschungsansatz verfolgt und sich in den letzten acht Jahren nicht auf Dickmacher-, sondern auf Schlankmacher-Genjagd begeben. Zunächst hatten sie die Genomdaten aus der Biodatenbank in Estland (Europas größtes Institut dieser Art) mit gut 47.000 überdurchschnittlich schlanken und normalgewichtigen Menschen im Alter zwischen 20 und 44 Jahren untersucht. Dabei waren sie bei den sehr dünnen Menschen, deren BMI langfristig unter dem schon für Untergewicht stehenden Wert 18 lag, auf zwei Varianten des vermeintlich mit Schlankheit assoziierten Gens ALK gestoßen, das zur Familie der Insulinrezeptoren gezählt wird, mit Alkohol nichts zu tun hat, sondern so genannt wird, weil es das in Zellen als Andockstelle dienende Protein Anaplastic Lymphoma Kinase kodiert. ALK ist aus der Krebsmedizin schon länger bekannt, es spielt bei der Entstehung von Lungenkrebs eine wichtige Rolle, weil es im Falle einer Mutation eine Überproduktion von ALK-Proteinen auslösen kann. Auch an der Entstehung von Neuroblastomen (Tumore im Kinder- und Jugendalter) wird es als mit-ursächlich angesehen. Über eine mögliche Funktion des ALK-Gens im Stoffwechsel, das bei schlanken Menschen der Datenbank wegen einer Mutation blockiert oder eingeschränkt war, war vor der jüngsten Publikation der IMBA-Studie im renommierten Fachmagazin „Cell" nichts bekannt. „Übergewicht und dessen Genetik erforschen viele", so Senior-Autor Dr. Penninger, „deshalb wollten wir das Umgekehrte tun und stattdessen Schlankheit untersuchen."
Bekannt aus anderen Bereichen
Den potenziellen Einfluss von ALK auf Stoffwechsel, Fettverbrennung und Körpergewicht hatten die österreichischen Forscher danach zunächst bei Fruchtfliegen untersucht. Dabei konnten sie nachweisen, dass eine Hemmung des Gens durch Ausschalten des entsprechenden Genabschnitts selbst bei zuckerreicher Kost keine wesentliche Fettpolsterzunahme zur Folge hatte und dass auch die Werte der zu den Nahrungsfetten zählenden Triglyceriden, die im menschlichen Körper als Energiereserve dienen und bis zu ihrem Gebrauch im Fettgewebe gespeichert werden, im Blut der Fruchtfliegen niedrig geblieben waren. Nach den Fruchtfliegen kamen Mäuse zu wissenschaftlichen Versuchszwecken an die Reihe. Wurde ALK im ganzen Körper deaktiviert, zeigten diese Tiere ein deutlich niedrigeres Gewicht als eine unbehandelte Vergleichsgruppe. Der Gewichtsunterschied war noch weit ausgeprägter, wenn allen Tieren eine besonders fettreiche Nahrung verabreicht wurde. Bei gleicher Kostmenge und identischen Bewegungsmöglichkeiten konnte schon nach wenigen Wochen ein großer Unterschied von 50 Prozent beim Körperfett zwischen den beiden Mäusegruppen konstatiert werden. Besonders auffällig war, dass Mäuse ohne ALK-Gen einen deutlich erhöhten Energieverbrauch gepaart mit einer verbesserten Glukosetoleranz hatten, letzteres bedeutete, dass Traubenzucker-Kohlehydrate optimal verarbeitet worden waren. Anschließend nahmen die Wissenschaftler die Fettverbrennung, auch Lipolyse genannt, bei der Triglyceride in freie Fettsäuren und Glycerin/Glycerol aufgespalten werden, genauer unter die Lupe. Bei Mäusen mit deaktiviertem ALK-Gen konnten im Blut weniger Triglyceride, dafür mehr freie Fettsäuren und Glycerol (ein Zuckeralkohol) nachgewiesen werden. Der Anstieg der freien Fettsäuren war ein klares Indiz für eine verstärkte Fettverbrennung. Das wurde durch einen erhöhten Spiegel eines weiteren Schlüsselenzyms der Fettverbrennung namens Lipase untermauert.
In einem weiteren Schritt überprüften die Forscher was geschah, wenn das ALK-Gen nur in bestimmten Körperregionen deaktiviert worden war. Dabei kamen sie zu der überraschenden Erkenntnis, dass eine Abschaltung im Fettgewebe, den Muskeln, der Leber oder im Immunsystem keinerlei positiven Effekte auf die Körperfülle hatte, sprich die Tiere in diesem Fall keinen Vorteil gegenüber unbehandelten Mäusen hatten. Gänzlich anders sah das allerdings aus, wenn ALK in der Gehirnregion des Hypothalamus ausgeschaltet war. Laut Orthofer konnten die Forscher bei dieser Versuchsanordnung „dieselbe Gewichtsreduktion wie in Tieren beobachten, bei denen ALK im gesamten Körper ausgeschaltet wurde. Das ist insofern interessant, weil der Hypothalamus eine zentrale Koordinationsstelle für den Stoffwechsel ist und via Noradrenalinspiegel die Fettverbrennung reguliert. In der Folge konnten wir dann zeigen, dass Mäuse mit einem inaktiven ALK-Gen einen höheren Noradrenalinspiegel im Fettgewebe aufweisen. Eine Blockierung des ALK-Gens in den Nerven, die aus dem Hypothalamus hervorgehen, heizt daher die Fettverbrennung an. Deswegen bleiben die Tiere dünner, selbst bei fettreicher Ernährung." Laut Dr. Penninger kann diese Entdeckung nicht hoch genug eingeschätzt werden. „Es gibt offenbar nicht nur einen Gehirn-Kreislauf, der unseren Appetit steuert und uns zunehmen lässt, sondern auch einen Kreislauf, der unser Fett verbrennen lässt", so Dr. Penninger gegenüber der österreichischen Nachrichten-Plattform kurier.at. Damit nicht genug: „Wir wissen jetzt: Im gesunden Körper wirkt ALK im Gehirn und kontrolliert das Körpergewicht." Und Dr. Penninger weiter: „Mit unserer Arbeit konnten wir nachweisen, dass ALK eine vollkommen neue und wesentliche Schnittstelle im Gehirn ist, die Nahrungsverwertung und Energiekreislauf steuert. Ein nächster wichtiger Schritt wäre es jetzt zu erforschen, wie die Neuronen im Hypothalamus, in denen ALK aktiv ist, diese Stoffwechselfunktion beeinflussen. Eine Hemmung des Gens ALK könnte womöglich eine neue Therapiemöglichkeit sein, um Übergewicht vorzubeugen."
Die Funktion des Gens reduzieren
Allerdings ist dabei noch Vorsicht geboten. „Bevor die Hemmung von ALK für die Behandlung von Adipositas beim Menschen in Erwägung gezogen werden kann, sind noch umfangreiche Untersuchungen zu möglichen Nebenwirkungen nötig", so Dr. Susanne Klaus vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung in einem Kommentar zur IMBA-Studie. Auch wenn es in der Krebstherapie bereits entsprechende Medikamente, die das ALK-Gen hemmen, gibt. Dr. Penninger ist optimistisch: „Es ist durchaus realistisch, dass wir auch beim Menschen ALK blockieren oder seine Funktion reduzieren, um zu sehen, ob wir dann schlank bleiben." Unterstützung erhielt Dr. Penninger von seinem nicht an der Studie beteiligten österreichischen Kollegen Prof. Bernhard Paulweber, dem Leiter der Abteilung Stoffwechselerkrankungen und medizinische Molekularbiologie an der Uniklinik Salzburg: „Diese Beobachtungen sind aus meiner Sicht bereits klinisch höchst relevant und könnten die Basis für die Entwicklung neuer Strategien zur Gewichtsreduktion legen." Allerdings sollten sich Faulenzer und Sportmuffel nicht vorschnell freuen, weil das ALK wahrscheinlich nur aufwendig und wohl nicht ohne Risiko im Gehirn blockiert werden kann. Was fraglos nur im Rahmen einer dringend notwendigen Therapie in Angriff genommen werden dürfte. Dr. Penninger machte gegenüber „kurier.at" allerdings schon Hoffnungen auf ein künftiges Medikament: „Nicht eine Pille zum Abnehmen, sondern eine Pille, um nicht zuzunehmen."