Die neu eingerichtete Dauerausstellung zu Mia Münster im gleichnamigen Museum in St. Wendel zeichnet das Leben und Arbeiten der Künstlerin nach. Eine spannende Zeitreise von den 20er-Jahren bis in die Nachkriegszeit.
Das Wort „It-Girl" kam nicht erst im Jahr 2005 auf, als Paris Hilton mit eben diesem „Titel" ausgezeichnet wurde – wie man vielleicht meinen könnte. Es geht zurück auf den amerikanischen Stummfilm „It" (dt. Das gewisse Etwas) mit der amerikanischen Schauspielerin Clara Gordon Bow in der Hauptrolle. In den USA kam der Film 1928 in die Kinos, in Deutschland ein Jahr später. Wenn man eine Passfoto-Serie von Mia Münster aus dem Jahr 1928 betrachtet, dann scheint man genau das vor sich zu sehen: das It-Girl der Goldenen Zwanziger. Der Mode der Zeit entsprechend trägt sie eine Kurzhaarfrisur und macht damit auch durch das äußere Erscheinungsbild ihren Anspruch auf ein selbstbestimmtes und unabhängiges Leben als Frau und Künstlerin deutlich.
Die jetzt im St. Wendeler Museum neu arrangierte Dauerausstellung zu Mia Münster vermag mit Gebrauchsgrafik-Entwürfen, Aquarellen, Gemälden und zahlreichen persönlichen Fotos einen spannenden Einblick in das Leben und Werk der 1894 in St. Wendel geborenen Künstlerin zu vermitteln. Zusätzlich hat die Museumsleiterin Cornelieke Lagerwaard einen Bereich zur Geschichte St. Wendels – insbesondere mit Blick auf die jüdische Vergangenheit der Stadt – mit Fotos und Postkarten zusammengestellt.
Als Letztes von vier Kindern des Gaswerkdirektors Karl Münster verbrachte Mia ihre Kindheit und Jugend in der Geborgenheit eines wohlhabenden Elternhauses. Nach dem Besuch des Lyzeums in Saarbrücken durfte sie 1912 – sie war gerade 18 Jahre alt geworden – sogar nach Düsseldorf ziehen, um sich in privaten Atelierstunden auf ihren späteren Berufswunsch, nämlich Zeichenlehrerin zu werden, vorzubereiten. Wohl war die neu gewonnene und von ihr geschätzte Freiheit, als sie „zum ersten Mal und zwar allein in die Welt hinaustreten durfte" schon nach drei Monaten wieder vorbei, denn finanzielle Engpässe der Familie zwangen sie zur Rückkehr. Aber dieser „Ausflug" hatte wohl wie eine Initialzündung gewirkt. Aus ihren Tagebuchaufzeichnungen aus der Düsseldorfer Zeit weiß man, dass sie bereits dort den Entschluss fasste, unverheiratet zu bleiben, da sie die Sorge hatte, dass ein Ehemann ihr die Ausübung der Malerei verbieten würde.
Kein Ehemann, der ihr die Malerei verbieten konnte
Zunächst musste sie im Anschluss in Neunkirchen die Handelsschule besuchen und sollte als Mädchen nun doch noch etwas Vernünftiges lernen. Sie brach die Ausbildung unter einem Vorwand ab. Den Ersten Weltkrieg erlebte Mia Münster in St. Wendel, wo sie mehrere Jahre im Bürgermeisteramt und im städtischen Bauamt arbeitete. Nach dem Krieg studierte sie ab 1919 zuerst ein Jahr an der Leipziger Akademie für graphische Künste und Buchgewerbe – immer noch mit dem Ziel, die Zeichenlehrerinnenprüfung abzulegen. Nach ihrem Umzug nach München finanzierte sie ihr dortiges Studium an der Staatlichen Kunstgewerbeschule in den Jahren 1921 bis 1923 mit der Anfertigung von Gebrauchsgrafik. Beim Münchner Moewe-Filmverlag war sie zeitweilig als Trickfilmzeichnerin beschäftigt. Auch davon zeugen in der Ausstellung einige Fotos, sowohl von ihrem Arbeitsplatz als auch von Faschingsfesten mit ihren Arbeitskollegen. Was bislang fehlt, sind die nach Münsters Zeichnungen umgesetzten Zeichentrickfilme für Erwachsene. Cornelieke Lagerwaard ist ihnen seit Längerem auf der Spur und hofft, diese dereinst in die Dauerausstellung integrieren zu können. Eine „Filmkoje" ist bereits dafür installiert.
Die zu dieser Zeit unstete Mia Münster kehrte wieder nach St. Wendel zurück und arbeitete ab 1924 an der Kunstgewerbeschule in Saarbrücken. Doch ein Jahr später kündigte sie diesen Lehrauftrag wieder. Möglicherweise war sie unzufrieden damit, dass sie „Fachunterricht für Frauenhandarbeit" zu erteilen hatte, und nicht etwa Zeichnen unterrichten durfte. Sie zog nach Berlin und nahm erneut ein Studium auf, diesmal besuchte sie die private Reimann-Schule für Gebrauchsgrafik und Dekoration. Hier studierte sie zwei Jahre, kam wiederum nach St. Wendel zurück – und ging 1928 erneut nach Berlin. In dieser Zeit Ende der 20er-Jahre entstanden die wunderbaren Aquarelle, die sie als „Gebrauchsgrafik" für die satirische Zeitschrift „Ulk", für den „Simplicissimus" oder für die Zeitschrift „Fürs Haus" entwarf.
Die Künstlerin illustrierte Reiseberichte
Zwei originale Zeitschriften mit Titelblättern von Mia Münster sind in der Präsentation zu sehen, darunter eine Ausgabe der „Ulk" mit einem geradezu neusachlich wirkenden Titelblatt mit einer weiblichen Figur und Kakteen. Die Aquarelle und Modezeichnungen dieser Zeit – dazu zählt auch das bezaubernde Blatt „Im Theater" – stehen den Werken von Künstlerinnen wie Jeanne Mammen oder Dörte Clara Wolff, genannt Dodo, in nichts nach. Dodo und Mia studierten beide Mitte der 20er-Jahre an der Reimann-Schule, ob sie sich kannten, ist bislang nicht mit schriftlichen Aufzeichnungen oder Fotos zu belegen.
Wohl sind die grafischen Blätter der Berliner Jahre als „Gebrauchsgrafik" entstanden, sie sind jedoch mit solch meisterlicher Delikatesse gezeichnet und aquarelliert, dass sie ohne jeden Zweifel auch als autonome Studien gelten dürfen. In der aktuellen Präsentation markieren sie den strahlenden Auftakt einer Künstlerpersönlichkeit, die dann vom Berliner It-Girl zur Heimatmalerin avancierte.
1932 kehrte Mia Münster nach St. Wendel zurück. Hier lebte sie – unterbrochen von einigen Reisen – bis zu ihrem Tod 1970. Um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, illustrierte sie Reiseberichte für die „Saarbrücker Zeitung". Im dörflichen Umfeld entstanden nun auch erste Ölgemälde, vor allem aber grafische Blätter und Gouachen mit Ansichten von St. Wendel, die sich auch gut verkaufen ließen.
Mit dem endgültigen Umzug nach St. Wendel Anfang der 30er-Jahre scheint Mias Talent auf ländlichen Pfaden stecken geblieben zu sein. Den Zeichen der Zeit entsprechend war sie 1935 Mitglied der Reichskulturkammer geworden, die ihr 1940 den Auftrag erteilte, mit anderen Künstlern des Saargebietes, darunter Otto Dill, Richard Becker und Fritz Zolnhofer, die Auswirkungen des Krieges in der sogenannten Roten Zone (ein Gebiet zwischen Westwall und Maginot-Linie) im Bild festzuhalten. Dieses Gebiet war menschenleer, die Bewohner waren 1939 evakuiert worden. Hier lebte sie in einer Künstlergemeinschaft mit den anderen männlichen Kollegen und dokumentierte die Kriegsschäden. Heute sind diese Bilder als ihre „Lothringer Bilder" bekannt und markieren eine eigene Abteilung in der Dauerausstellung. Die Landschaften und Ansichten aus Lothringen zeigen letztmals ihr großes Können, agieren wie ein letztes Aufbäumen.
Verschiedene Schaffensphasen
Nach dem Zweiten Weltkrieg ist Mia Münster bereits über 50. Nach 1945 ist gegenständliche Kunst nicht mehr gefragt, die Abstraktion ist jetzt das Gebot der Stunde. Münster gehört damit zur sogenannten verschollenen Generation, also diejenigen Künstlerinnen und Künstler, die um 1900 geboren sind und deren Karriere vor dem Krieg gerade erst Fahrt aufgenommen hatte. Nach dem Krieg will die Kunstszene von diesen Künstlern nichts mehr wissen. „Mia Münster war out", wie Museumsleiterin Lagerwaard es auf den Punkt bringt. Münsters Versuche im Bereich der Abstraktion blieben in den Anfängen stecken. Ihren Lebensunterhalt in den 50er- und 60er-Jahren bestritt Münster vornehmlich mit der Anfertigung von Wandbildern und Wandgestaltungen an und in Schulen rund um St. Wendel. Auch davon gibt es Zeugnisse in der Ausstellung, und das nicht nur auf Fotografien. Lagerwaard hat mehrere Wandplatten aus der früher in St. Wendel ansässigen Wingertschule (die 2017 nach Neunkirchen gezogen ist) „gerettet", die in der Sektion „Kunst im öffentlichen Raum" untergebracht sind.
Im Jahr 1964, mit mittlerweile 70 Jahren, erhielt Mia Münster eine „Ehrenrente". Sie starb mit 76 Jahren an Herzversagen.
In der neuen Dauerausstellung hat Cornelieke Lagerwaard nicht nur Werke verschiedener Schaffensphasen von Mia Münster zusammengestellt, sie ordnet die Künstlerin der verschollenen Generation auch an ihrem rechtmäßigen Platz in der Kunstgeschichte ein. •