Mit Wasserstoff im Regelbetrieb hat die saarländische Stahlproduktion einen Fuß in der Tür zum „grünen Stahl". Die Hürden auf dem Weg zur Realisierung dieser Vision sind beträchtlich – technisch, finanziell und politisch.
Die Idee klingt genial überzeugend, die Umsetzung ist ein Kraftakt sondergleichen. Grüner Stahl, hergestellt mit grünem Wasserstoff. Dillingen hat den Fuß in der Tür zu einem langen Weg mit vielen Unklarheiten.
Ein wenig mussten die Absperrgitter vor dem Hochofen noch zurechtgerückt werden. Schließlich wollten die Fotografen den passenden Blick auf ein Ereignis, das eine neue Ära einläuten soll. „Die Stahlindustrie hat sich entschieden, den Weg in eine klimaneutrale Stahlproduktion zu gehen", sagt Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier, um gleich die unterstützende Begleitung der Bundespolitik in Aussicht zu stellen.
Wasserstoffeinsatz bei der Stahlproduktion wird auch andernorts erprobt. Bei Dillinger ist nach Unternehmensangaben der Einsatz mithilfe von Koksgas erstmalig im produktionstechnischen Regelbetrieb, also nicht nur im Probebetrieb, und das „in erheblichen Mengen". Trotzdem ist es erst mal ein bescheidener Anfang bis zu einem wirklich „grünen Stahl", wie alleine schon die Zahlendimensionen zeigen. Die Investition von Dillinger lag bei 14 Millionen Euro (insgesamt investiert Dillinger Saarstahl trotz Corona-Krise rund 70 Millionen in Maßnahmen zum Umwelt- und Klimaschutz). „Ein kleiner Schritt, aber ein substanzieller Schritt" in den Augen des Bundeswirtschaftsministers.
Soll die gesamte deutsche Stahlproduktion umgestellt werden, wird der Investitionsbedarf auf etwa 30 Milliarden beziffert. Die Bundesregierung hat nach intensivem Dialog mit den deutschen Stahlherstellern ein „Handlungskonzept Stahl" vorgelegt. Peter Altmaier beteuert, dass diese Investitionen vom Bund unterstützt werden, mehr noch: Er will sich dafür einsetzen, dass dies „zeitnah und zielscharf für die einzelnen Standorte" entschieden wird, jedenfalls noch vor der nächsten Bundestagswahl. Er will Sicherheit für die Investitionen schaffen, und das so, dass auch eine spätere Bundesregierung, wie auch immer die nach der Wahl im Herbst nächsten Jahres aussehen mag, daran gebunden ist.
„Kleiner Schritt, aber substanziell"
„Wir schreiben ein Stück Geschichte, aber wir wissen nicht, wie die Geschichte ausgeht", räumt Altmaier ein. Eher selten, dass bei derart feierlichen Inbetriebnahmen solche Relativsätze vorkommen. Überhaupt erinnerte das Aufeinandertreffen von politischer Spitze (Bundesminister, Ministerpräsident, Wirtschaftsministerin) und Wirtschaft in Gestalt von Dillinger- und Saarstahl-Vorstandschef Tim Hartmann zeitweise eher an Verhandlungen denn an Festakt. Zumindest beim Part von Tim Hartmann. Das Handlungskonzept Stahl sei zwar eine gute Grundlage, „aber wir brauchen die Umsetzung des Konzepts".
Die Branche steht unter Druck. Politisch sind Maßnahmen gegen unfaire Preise und Dumping schon länger gefordert. Wirtschaftlich zu betreiben ist die Produktion von grünem Stahl – und das auch noch mit „grünem Wasserstoff" –derzeit nicht. Die Einhaltung der Pariser Klimaziele – zu denen sich auch Tim Hartmann bekennt – und gleichzeitig der Erhalt deutscher und europäischer Stahlproduktion, hat ihren Preis.
„Fakt ist, dass die Unternehmenskassen coronageschwächt sind, Fakt ist, dass in diesem Jahr noch mehr billiger Importstahl in die EU gedrückt wird", sagt Hartmann. Entscheidungen müssen jetzt fallen, auch aus technologischen Gründen: „Eine Neuzustellung eines Hochofens ist in wenigen Monaten realisierbar, eine Umstellung der Technologie dauert Jahre." In Dillingen gibt es einen mehrstufigen Plan, der bis 2050 reicht und an dessen Ende die derzeitigen Hochöfen ihren Dienst getan hätten.
Bereits im Februar hatte Hartmann in einer Diskussion mit Altmaier darauf hingewiesen, dass das Saarland der erste Standort wäre, in dem eine Hochofenzustellung anstünde, insofern der Entscheidungsdruck größer sei als andernorts. „2020 muss das Jahr der Entscheidung sein." Eine Entscheidung über die Verteilung der Unterstützung des Bundes „noch vor der Bundestagswahl", also wohl erst nächstes Jahr, wäre dann für den Saar-Standort reichlich spät. Aus damaliger Sicht von Hartmann wäre der besondere zeitliche Druck im Saarland auch eine besondere Chance: „Hier entscheidet sich der Green Deal", und damit die Frage, ob das Saarland als Modellregion dastehe – oder als Klimaversager. Das mag drastisch formuliert sein, trifft aber den Kern.
30 Milliarden für grünen Stahl
Auch wenn sich die verbliebenen deutschen Stahlproduzenten mit der Politik auf das Stahlkonzept verständigt haben, und die Politik zu milliardenschwerer Unterstützung bereit ist, wird der Verteilungskampf untereinander offenbar mit harten Bandagen ausgefochten. Von den insgesamt 30 Milliarden Euro, die im Raum stehen, müssten etwa drei Milliarden an die Saar fließen.
Was den Unternehmen zusätzlich Sorge bereitet, ist die Ebene der EU. Ist das 40-Prozent-Ziel (40 Prozent weniger CO2-Emissionen) schon ehrgeizig, wird derzeit über eine Erhöhung des Ziels auf 55 Prozent diskutiert. Dahinter steht auch die Frage des Strompreises, aus Sicht der Wirtschaft ein Wettbewerbsnachteil am Standort Deutschland.
Bis zu einem wirklichen grünen Stahl mit grünem Wasserstoff sind noch erhebliche Probleme zu bewältigen. Für grünen Wasserstoff sind erhebliche Strommengen erforderlich, die aus regenerativen Energien kommen müssten, die wiederum mit den klassischen Methoden nicht darstellbar sind. Die Wasserstoffstrategie der Bundesregierung setzt deshalb auf eine Zusammenarbeit mit Afrika (Nutzung der Sonnenenergie).
Für einen ökologischen Umbau der Industrie ist Stahl unverzichtbar, betont Hartmann unermüdlich. Von Windkraftanlagen über Elektroautos (oder Wasserstoffautos) bis zum Bau von Zügen und Gleisen (Verkehrswende), für alles werde Stahl gebraucht. „Wir treten dafür an, dass dieser Stahl grün ist, dass er aus Deutschland kommt, und dass er hier von der Saar kommt. Unsere Vision ist, dass die modernste Stahlindustrie genau hier an der Saar stehen soll", bekräftigt Hartmann.