Vor dem Start der Bundesliga am Samstag um 15.30 Uhr bei Werder Bremen sucht Herthas Trainer nach seiner ersten Elf – die angesichts der besonderen Umstände noch nicht die Stammformation sein kann.
Vierzehn Tage vor dem Start der Fußball-Bundesliga 2020/21 hatten die meisten Bundesligisten sich bereits bezüglich ihrer Kapitäne festgelegt – eine der Ausnahmen: Hertha BSC. Trainer Bruno Labbadia, so berichtete das Fachmagazin „Kicker", wolle den Mannschaftsrat erst kurz vor oder sogar erst nach Saisonstart wählen lassen. Durch die Verabschiedung von Vedad Ibisevic, der zuletzt Herthas Team auf das Spielfeld führte, war das Amt im Sommer frei geworden – in der Vorbereitung trug nun vor allem sein bisheriger Stellvertreter Niklas Stark die Binde. Der hat allerdings keinen sicheren Stammplatz in der „ersten Elf" der Blau-Weißen – womit die offene Frage um das Kapitänsamt auch Ausdruck der Personalsituation beim Berliner Bundesligisten ist. Denn vor dem Start 2020/21 dürfen sich die wenigsten Profis im Kader eines Platzes in der Startelf gewiss sein. Zu den wenigen „Auserwählten" zählt Matheus Cunha: Der Brasilianer ist nicht nur torgefährlich, er verfügt auch über die Qualität, kreative Momente ins Spiel der Blau-Weißen zu bringen. Dazu ist der 21-Jährige vielseitig einsetzbar: unmittelbar in der Spitze, über die Außenbahn oder – und hier bislang am wirkungsvollsten – als hängende Spitze hinter dem Mittelstürmer. Der zweite Spieler mit „Startelfgarantie" ist Lucas Tousart – und das nicht nur, weil der Franzose mit 25 Millionen Euro Herthas Rekordeinkauf ist. Tousart wurde zwar bereits vor Bruno Labbadias Amtsantritt verpflichtet und hatte durch den Abbruch der Ligue 1 mit am wenigsten Spielpraxis im Kader. Trotz dieser Mankos bewies der Mittelfeldspieler in der Vorbereitung jedoch, dass man auf ihn bauen kann. In der Abwehr ist dazu Dedryck Boyata gesetzt – wenn er denn von hartnäckigeren Verletzungen verschont bleibt. Der Belgier erwarb sich schließlich im ersten Jahr den Status des sichersten Innenverteidigers bei der „Alten Dame", der obendrein sogar noch vier Tore erzielte.
Ansonsten wird Bruno Labbadia auf sämtlichen Positionen die viel zitierte „Qual der Wahl" haben. Auf der Torwartposition muss er die Entscheidung dabei tunlichst nur einmal treffen: Entweder der sehr erfahrene Platzhirsch Rune Jarstein wird die Nummer eins bleiben – oder Neuzugang Alexander Schwolow läuft ihm den Rang ab. An Jarstein ist die turbulente Saison 2019/20 dabei nicht spurlos vorbei gegangen, gegen Ende häuften sich ungewohnte Fehler. Auch in der aktuellen Vorbereitung agierte der Norweger nicht immer sicher, sodass Schwolow wohl seine Chance bekommen wird. Für den 28-Jährigen spricht darüber hinaus auch sein größeres Bestreben, als Torwart mitzuspielen und die Mannschaft von hinten verbal anzuleiten. In der Innenverteidigung hat Jordan Torunarigha die besten Karten, seinen Platz an der Seite von Boyata zu behalten. Schon unter Labbadia-Vorgänger Alexander Nouri hatte sich das Duo in der Abwehrzentrale festgespielt, nach dem Re-Start präsentierte sich der 23-Jährige auf fast konstant hohem Niveau. Sehr zum Leidwesen von Karim Rekik, der dadurch seinen Platz in der Startelf einbüßte, weil der Niederländer nicht wie Kollege Stark zumindest noch im defensiven Mittelfeld einsetzbar ist. Um die Position des Rechtsverteidigers geht es zwischen Peter Pekarik und Deyovaisio Zeefuik in der Konstellation „Stammkraft gegen Neuzugang" zur Sache. Der Slowake ist so etwas wie der Musterschüler Labbadias, beeindruckt durch seine Zuverlässigkeit – während der 22-jährige Zeefuik in Dynamik und Zweikampfführung Vorteile besitzt. Möglich, dass der Hertha-Coach erst einmal auf die bewährte Kraft Pekarik setzt, um den jungen Niederländer dahinter auf- und später einzubauen. Auf der linken Abwehrseite duellieren sich mit Maximilian Mittelstädt und Marvin Plattenhardt hingegen weiterhin zwei langjährige Herthaner – während der erste seine Schnelligkeit und Flankenläufe ins Spiel bringen kann, besticht Plattenhardt vor allem mit seiner Standardstärke. Von beiden wird allerdings ein Leistungssprung erwartet, sonst könnte auch noch ein Neuzugang lachender Dritter auf der Position werden.
Torflaute in den Testspielen
Sollte Labbadia dazu mit einer „Doppel-6" agieren, hat Stark gute Karten, neben Tousart im defensiven Mittelfeld aufzulaufen. Die kreativere Variante dort wäre allerdings die zusammen mit Vladimir Darida, der obendrein mit seinem unglaublichen Laufpensum kaum verzichtbar erscheint. Hertha-Talent Arne Maier und der erneut verletzte Santiago Ascacíbar dürfen sich in diesem Mannschaftsteil dagegen nicht viele Einsatzzeiten ausrechnen. Eng wird es im offensiven Mittelfeld auch für Rückkehrer Ondrej Duda, sollte Cunha die „10" besetzen. Auf den Außenbahnen ist der Slowake keine Alternative, weil dort Javairo Dilrosun, Dodi Lukebakio oder Daishawn Redan in puncto Dynamik die Nase vorn haben. Der 22-jährige Lukebakio – wohl der arrivierteste der drei Youngster – hat den Trainer vergangene Saison allerdings mit seinen schwankenden Leistungen zeitweise geradezu verärgert, sodass Dilrosun (22) und Redan (19) einen Vertrauensvorsprung bei Labbadia genießen könnten. In der Sturmzentrale wiederum steht auch Krzysztof Piatek auf dem Prüfstand. Der polnische Nationalspieler gehört zu den Winterzugängen, die noch auf Wunsch von Jürgen Klinsmann verpflichtet wurden. Bei Bruno Labbadia musste sich der 24-Jährige zunächst hinter Ibisevic einordnen, lief Herthas Kapitän zu Saisonende 2019/20 dann aber den Rang ab. Die Torflaute in den Testspielen war aber wieder auch Piatek anzukreiden, dazu musste der 24-Millionen-Mann – ebenso wie Darida – wegen einer fünftägigen Quarantäne in der heißen Phase der Vorbereitung aussetzen. So könnte Labbadia angesichts des Überangebots an offensiven Spielern stattdessen eben Cunha oder auch die flexibleren Lukebakio oder Redan in vorderster Position aufstellen.
Verbrieft ist allerdings auch, dass Hertha BSC bis zum Ende des Transferfensters im Oktober noch einen Mittelstürmer dazu holen will – für das Mittelfeld und die offensive Außenbahn wird ebenfalls eine Verstärkung gesucht. Damit würde die Konkurrenz weiter angeheizt und Labbadias „Spieler-Lotto" noch komplexer – möglich, dass sich Herthas wirkliche Stammelf unter diesen besonderen Umständen erst im Dezember herauskristallisieren wird.