Erotisch und emanzipiert: Den modernen Frauentyp verkörpert in Hollywood wohl kaum jemand so elegant wie die Oscarpreisträgerin Susan Sarandon. Auch jenseits der 70 ist ihre Lebenslust nach wie vor ungebrochen. Ihr neuer Film „Blackbird – Eine Familiengeschichte" läuft ab sofort im Kino.
Ms. Sarandon, Sie sagten einmal: „Da ich eigentlich ziemlich faul bin, suche ich immer nach Rollen, die mir Angst machen." Wie sehr haben Sie sich denn vor dieser neuen Rolle der Lily gefürchtet?
Ich hatte schreckliche Angst. Aber dann habe ich doch schnell zugesagt Lily zu spielen, weil eine andere Schauspielerin kurzfristig abgesprungen war. Ich war mir anfangs überhaupt nicht im Klaren darüber, ob ich so eine schwierige Rolle würde bewältigen können. Wie stellt man eine Frau dar, die sterbenskrank ist und sich deshalb entschließt, im Kreis ihrer Familie ihrem Leben selbst ein Ende zu setzen? Und wie spielt man das, ohne in Klischees abzudriften, ohne sie dafür moralisch zu verurteilen? Das war alles andere als einfach. Während der Dreharbeiten bekam ich fürchterliche Albträume. Das Thema Sterbehilfe hat mich wirklich schwer belastet und seelisch sehr mitgenommen.
Hat es Ihnen geholfen, dass Sie bei „Blackbird – Eine Familiengeschichte" von einem wunderbaren Schauspieler-Ensemble begleitet wurden?
Oh ja, das hat mir sehr geholfen. Ohne meine sehr einfühlsamen Mitstreiter hätte ich es wohl nicht gepackt. Wir wurden im Laufe der Zeit tatsächlich so etwas wie eine Familie. Wir drehten ja in Eng-land, also gingen wir nach den Dreharbeiten oft gemeinsam ins Pub. (lacht) Durch das exzessive Pub-Leben habe ich ganze fünf Kilo zugenommen.
Konnten Sie Lily nach dem Ende der Dreharbeiten leicht gehen lassen?
Es war schwer, denn da wir chronologisch drehten, endet der Film mit ihrem Tod. Nach dem Abschluss der Dreharbeiten habe ich meine „Familie" in mein Apartment eingeladen, und wir haben uns alle ein Tattoo stechen lassen: eine kleine Amsel (Blackbird) als Erinnerung an die wundervolle Zeit, die wir zusammen verbrachten.
Käme unter bestimmten Umständen eine Selbsttötung für Sie infrage? Und: Würden Sie jemandem in dieser letzten Stunde beistehen?
Während der Dreharbeiten habe ich ständig darüber nachgedacht. Was würde ich tun, wenn ich eine so grausame Krankheit hätte? Zur Vorbereitung auf den Film habe ich eine junge Frau getroffen, die an ALS erkrankt war. Ihr Schicksal hat mich tief berührt. Und ich habe mich damals natürlich auch mit dem Pathologen Dr. Kevorkian auseinandergesetzt, der bei uns in den USA aktiv Sterbehilfe praktizierte und dafür ins Gefängnis musste. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob ich für mich selbst oder andere die Sterbehilfe in Anspruch nehmen würde. Das Schlimmste wäre aller-dings, wenn ein geliebter Mensch ganz allein sterben würde – und ich ihm in der Todesstunde nicht beistehen könnte, sondern wir uns übers Telefon verabschieden müssten.
Ist mit dem Tod alles aus? Anders gefragt: Sie wurden streng katholisch erzogen – haben Sie im Laufe Ihres Lebens den Glauben verloren?
Meine Kinder erzählen mir immer, dass Energie nie zerstört werden kann und niemals verloren geht. Daran glaube auch ich. Natürlich wäre es schön, wenn es einen Himmel gebe und wir nach dem Tod wieder mit unseren Liebsten vereint wären. Ich würde jemanden, der daran glaubt, niemals lächerlich machen. Aber mein Fokus liegt eher auf dem Diesseits. Ich will ganz im Hier und Jetzt sein. Mit viel Empathie und Liebe. Und ich will auch die volle Verantwortung für mein Leben übernehmen und sie nicht auf Gott abschieben. Schon als junges Mädchen habe ich im Religionsunterricht Fragen gestellt, zum Beispiel nach der Erbsünde – und wurde deswegen aus der Klasse hinausgeworfen. Dabei waren das nicht etwa blasphemische Fragen, sondern ganz ernsthaft gemeinte. Mit der Institution Kirche liege ich zwar nach wie vor über Kreuz, halte aber immer noch Kontakt zu der Nonne, die ich während der Dreharbeiten zu „Dead Man Walking – Sein letzter Gang" kennengelernt habe. Wie sie ihren Glauben lebt und anderen Menschen damit hilft, das imponiert mir sehr. Ich bin ein sehr spiritueller Mensch.
Was haben Sie für ein Bild von sich selbst? Lassen Sie dieses gelegentlich von Ihren Kindern oder Freunden checken?
Solche Reality-Checks sind ab und zu sehr sinnvoll und führen zu überraschenden Ergebnissen. Eine der größten Überraschungen bei einem solchen Check-up war, als mir klar wurde, wie wenig ich meine Kinder eigentlich kenne – und wie wenig sie mich.
Da wurde das gegenseitige Neu-Entdecken wirklich spannend. Und als ich wegen des Covid-19-Lockdowns mit meinen erwachsenen Söhnen – meine Tochter lebt bei ihrer Familie – ein paar Monate in Quarantäne verbrachte, habe ich zu meiner großen Freude bemerkt, wie nahe wir uns sind. (lacht) Allerdings habe ich auch erkannt, wie viel wir uns auch gegenseitig vergeben müssen. Familie ist eine vertrackte Angelegenheit. Vor einiger Zeit starb meine Mutter. Da habe ich mich nach der Beerdigung mit all meinen Geschwistern getroffen. Ich bin die älteste von neun. Und die Erinnerungen, die meine Geschwister an unser damaliges Familienleben haben, unterscheiden sich ganz wesentlich von meinen. Das hat mich ziemlich überrascht. Aber so ist das eben.
Sie sind eine der wenigen Powerfrauen in Hollywood. Woher haben Sie die Kraft genommen, sich nicht unterkriegen zu lassen?
Anpassungssucht und Speichellecken sind in meinem genetischen Code anscheinend nicht vorprogrammiert. (lacht) Als Frau musst du immer und überall kämpfen, nicht nur in Hollywood. Frau-en werden von der männerdominierten Gesellschaft überall auf der Welt unterdrückt und kleingehalten. Zumindest wird es versucht. Dagegen wehren wir Frauen uns immer öfter –
und zwar mit Erfolg!
Sie gelten als sinnlich und intelligent – ein Kunststück, das in Hollywood nicht viele hingekriegt haben.
(lacht) Darauf bin ich auch ein bisschen stolz, denn das war ein harter und langer Kampf. In Hollywood teilt man Frauen meist immer noch nur in „Busen" oder „Köpfchen" ein. Ich habe – wie man sehen kann – beides. Aber ich will gerne zugeben, dass meine Brüste etwas überbewertet wurden …
„Der Unterschied zwischen Theater und Film ist etwa wie der zwischen Liebe machen und masturbieren." Diese Einschätzung hat mich dann doch überrascht: Immerhin haben Sie als Schauspielerin über 100 Filme gedreht …
… und kaum Theater gespielt. (lacht) Was ich damit meine, ist, dass man beim Theaterspielen eine direkte Beziehung zum Publikum hat. Man fühlt sehr genau, wie das Publikum reagiert. Und man kommuniziert zeitgleich miteinander – wie eben beim Liebemachen. Beim Filmemachen hat man gerade mal eine Minute, in der man sich ganz öffnen kann und auf dem Punkt sein muss. Das wiederholt sich dann immer und immer wieder. Natürlich würde ich mir da auch eine intime Beziehung zum Publikum wünschen, aber die hat man de facto nicht. Bestenfalls interagiert man mit den anderen Schauspielern. Dann wird das, was man gedreht hat, noch im Schneideraum bearbeitet, und man ist wieder nicht mit dabei. Vor der Kamera ist man doch fast immer alleine. Das hat schon etwas mit Selbstbefriedigung zu tun.
War es sehr schwer, im Laufe Ihrer Karriere die Balance zwischen Kunst und Kommerz zu halten?
Manchmal bin ich da wohl auch ziemlich aus der Balance gekippt. Natürlich würde ich viel lieber immer künstlerisch bedeutende Film machen. Andererseits muss ich aber danach schauen, dass ich von der Schauspielerei leben kann. Ich persönlich komme zwar mit ziemlich wenig Geld aus, aber ich musste viele Jahre auch für meine Kinder sorgen. Da macht man schon manchmal den ein oder anderen Film, nur um im Spiel zu bleiben. Allerdings bin ich jemand, der sehr gerne Geschichten erzählt. Das ist mein Job. Und den mache ich auch nach 50 Jahren noch sehr gerne.
Was sagen Sie zu der anhaltenden Diskussion, dass Frauen in Hollywood für die gleiche Arbeit weniger Gage bekommen als ihre männlichen Kollegen?
Natürlich bin auch ich für faire Bezahlung. Aber was mich betrifft – ebenso wie viele andere hoch bezahlte Schauspielerinnen – sind das doch Luxus-Probleme. Ich kann sehr gut davon leben. Man sollte den Fokus lieber auf die Nebendarsteller, Extras und andere Geringverdiener im Showbusiness richten, die von den paar Dollars sich oder ihre Familien meist gar nicht ernähren können. Das ist der eigentliche Skandal.
Ihnen steht im November eine sehr bedeutungsschwere Wahl ins Haus. Wie fühlen Sie sich diesbezüglich?
Ich habe mich gefragt, wann Sie endlich diese Frage stellen. Sie sind sicher vertraut mit dem Begriff Faschismus. Wir in Amerika befinden uns zurzeit in einem Zustand, der dem Faschismus sehr nahe kommt. Dank Trump und Konsorten. Ich bin sicher kein Fan von Biden, aber ich werde ihn natürlich wählen, weil Trump unbedingt weg muss! Wenn die Demokraten das hoffentlich geschafft haben, beginnt allerdings erst die eigentliche Arbeit.
Allem voran, dass es endlich eine Gesundheitsversorgung für alle Amerikaner gibt. Als Grundrecht – nicht als Privileg! Und dass endlich jedem klar wird: „Black Lives Matter"!
Glauben Sie, dass die Wende gelingen wird?
Wir befinden uns gerade in einem sehr, sehr ernsten Zustand. Es gibt eine existenzielle Bedrohung gegen unsere Werte, unser Leben, unsere Verfassung, unsere Demokratie. Das ist fürchterlich. Wie Sie wissen, habe ich immer Bernie Sanders unterstützt. Ich halte ihn nach wie vor für den besseren Präsidentschaftskandidaten. Als ich mit ihm bei Wahlveranstaltungen unterwegs war, habe ich das Potenzial gesehen, das in unserem Land steckt. Da sind mir viele aufgeklärte Menschen begegnet, die sich für ein demokratisches Amerika einsetzen. Und die kamen aus allen Altersgruppen, mit allen sexuellen Orientierungen, waren Schwarze, Weiße, Menschen mit hispanischen Wurzeln … Sie alle kämpfen Seite an Seite für ein freies Amerika. Das gibt mir Hoffnung. Alles andere wäre eine Katastrophe.
Wenn Ihr Leben ein Film wäre – was wäre der Titel?
Das ist eine sehr interessante Frage. Als ich in den 80er-Jahren nach Nicaragua ging, um den Zivilisten zu helfen, als die USA dort den Guerillakrieg gegen die Contra-Rebellen unterstützten, hatte ich oft große Angst, dass ich nicht mehr lebend herauskommen würde. Da habe ich mir gewünscht, dass ich in einem Film über mein Leben von Meryl Streep gespielt werden würde. Und dass sie dafür einen Oscar bekommt. Beantwortet das Ihre Frage? Nein? Wie wäre es dann mit dem Titel „I Tried – Ich habe es versucht"?