Im August interviewte FORUM-Autor Rasso Knoller zusammen mit Kollegen von ARD, ZDF und „Focus" den finnischen Staatspräsidenten Sauli Niinistö in dessen Sommerresidenz in Naantali. Nach Ausbruch der Corona-Pandemie waren sie die bisher einzigen ausländischen Journalisten, denen er ein persönliches Gespräch gewährte.
Herr Präsident, vielen Dank für die Einladung. Wir sitzen hier in einem Teil des Parks, der den Namen „Paradies" trägt. Dieses Idyll lenkt ein wenig davon ab, dass wir uns gerade inmitten einer Pandemie befinden. Wie hat Finnland bisher die Corona-Krise bewältigt?
Finnland hat es in der Tat sehr gut hinbekommen. Viele kleine Staaten haben es ziemlich gut gelöst – die baltischen Staaten, Slowenien, auch Ungarn, die nordischen Länder mit Ausnahme von Schweden. In Finnland hatten wir gar nicht so weitreichende Beschränkungen. Alle Betriebe waren weiterhin offen, sogar die Restaurants waren relativ lange geöffnet. Irgendwann wurden sie zwar geschlossen, aber die Menschen konnten sich frei bewegen, ganz anders als in Frankreich, wo man nicht auf die Straße gehen durfte. Ich denke, der Hauptgrund, warum wir es bisher so gut geschafft haben, ist, dass die Finnen ihrer Regierung glauben, wenn sie ihnen sagt: „Bitte seid vorsichtig." Vielleicht wissen sie ja, wir haben ohnehin den Ruf, einander nicht zu nahezukommen (lacht). Aber was die Zukunft bringt, weiß natürlich keiner.
In der Corona-Frage haben die meisten europäischen Länder ihre eigene Politik betrieben. Hätte es da nicht mehr Zusammenarbeit geben müssen?
Selbstverständlich. Aber im Nachhinein ist man immer klüger. Die Epidemie ist ja sehr plötzlich und gleichzeitig umfangreich ausgebrochen. Es gab einfach nicht genügend Zeit für die jeweiligen Regierungen, groß darüber nachzudenken wie man mit den Nachbarn zusammenarbeiten kann. Man musste einfach eine schnelle Antwort darauf finden, wie man sich selbst schützen kann.
Wie beurteilen sie die Corona-Hilfen innerhalb Europas?
Zunächst klingt das sehr gut, man bekommt sofort Geld. Auch Finnland bekommt Geld, aber wir müssen doppelt so viel zurückzahlen. Die Rückzahlungen beginnen aber erst 2028 und laufen dann über 30 Jahre. Die Hilfszahlungen bekommen wir dagegen schon jetzt. Doch was bedeutet das, wenn wir auf unsere jungen Leute schauen? Wir bekommen das Geld, und sie zahlen es zurück. Deswegen ist es ausgesprochen wichtig, dass man das Geld in die Zukunft investiert und nicht nur die aktuellen Probleme löst. Ich befürchte, dass der Jugend ohnehin schon sehr viel Verantwortung aufgebürdet wird, wenn man der Logik folgt: Das Gute jetzt, das Schlechte – das Zurückzahlen – kommt dann später. Wir müssen wirklich extrem darauf achten, das Geld so einzusetzen, dass es denen hilft, die es eines Tages auch zurückzahlen müssen. Das ist eine Frage der Generationengerechtigkeit.
Wie beurteilen Sie generell die Situation Europas in einer sich immer schneller verändernden Welt?
Europa hat enorm viel Potenzial. Wenn wir zusammenstehen, sind wir wirtschaftlich stark. Sogar was die Verteidigung angeht sind wir stark – wir haben ja 27 Armeen. Aber sind wir in der Lage das Potenzial zu nutzen?
Wie würden Sie die deutsch-finnischen Beziehungen beschreiben?
Ich sehe da überhaupt keine Probleme. Einige Leute sagen sogar, dass Deutschland für uns wie ein großer Bruder ist, dem wir politisch folgen. Auch die deutsche Wirtschaft ist ein Vorbild. Aber es gibt natürlich auch Dinge, bei denen es kleine Länder wie Finnland leichter haben voranzugehen. Finnland ist immer noch ein sehr homogenes Land, da ist es leichter eine gemeinsame politische Linie zu finden. Sie wissen sicher, dass wir eine sehr lange Tradition mit blockübergreifenden Koalitionsregierungen haben. Ob Rechts oder Links ist da nicht entscheidend. In jeder Koalition sind beide Seiten vertreten. Uns hat die Geschichte schmerzhaft gelehrt, dass wir in wichtigen Punkten zusammenhalten müssen.
Wie wird sich Deutschland beziehungsweise wie wird sich Europa verändern, wenn die Ära Merkel zu Ende geht?
Sie fragen, wie die Zeit nach ihr sein wird. Noch ist es ja noch nicht so weit. Ich hoffe, dass die Zeit der großen Europäer nicht vorbei sein wird, wenn sie abtritt.
Ich erzähle ihnen einmal von meinem ersten Treffen mit ihr. Das war 2000 oder 1999, da bin ich nicht ganz sicher. Ich fragte sie damals, wie es sein kann, dass ein Kanzler der SPD (gemeint ist Gerhard Schröder, Anm. d. Red.) in einem Maßanzug und eine Cohiba rauchend zu unseren Treffen kommt. In Finnland würde das allenfalls ein Politiker der Rechten machen und genau betrachtet, machen die das auch nicht. Sie hat es mir erklärt und später habe ich mich dann nicht mehr gewundert, dass sie die Macht übernommen hat. Was sie mir genau gesagt hat, kann ich Ihnen natürlich nicht verraten. (lacht) Aber sie war in der Folge das perfekte Beispiel einer außergewöhnlichen politischen Persönlichkeit.
Wird sich die finnische Position zu Russland nach dem dortigen Putin-Referendum verändern?
Nun, wir haben ja bisher noch keine Auswirkungen gesehen. Ich weiß nicht, ob Putin weiter im Amt bleiben wird und auch nicht wie lange. Das weiß keiner. Was wir jetzt sehen, ist, dass Russland einige sehr große Probleme hat. Die Wirtschaft leidet unter dem sinkenden Ölpreis. Dann sehen wir, wie sich das Duell zwischen den USA und China immer mehr zuspitzt. Die Russen müssen da sehr genau überlegen wie sie in dieser Konstellation ein wichtiger Faktor auf der politischen Weltkarte bleiben können. Ich würde mir sehr wünschen, dass die Europäische Union und Russland über gemeinsame Ziele sprechen – in Bereichen wo es für beide zum Vorteil ist. Leider ist das aber wegen der Situation in der Ukraine nicht möglich.
Finnland ist zum dritten Mal hintereinander zum glücklichsten Land der Welt gekürt worden. Was ist Ihre Erklärung dafür?
Wundert Sie das? (lacht) Manchmal ist es für uns selbst schwer zu erklären, wie ein solches Ergebnis zustande kommt. Wenn ich es richtig verstehe, werden solche Studien dadurch erstellt, indem man Menschen fragt, wie sie ihre Lebenssituation einschätzen. Ich interpretiere das so, dass wir nicht so sehr die glücklichsten, sondern die optimistischsten Menschen sind. Die Leute schauen hier eher auf das Gute und nicht so sehr auf das Schlechte. Vielleicht sind wir auch ausgeglichener – man springt nicht gleich jubelnd hoch, man ist aber auch nicht so schnell verzweifelt. Man hält einfach den Kurs bei. So gesehen ist es vermutlich mehr eine Frage der Einstellung als des Glücks.
Würden sie sich selbst als glücklich bezeichnen?
Warum denn nicht?
Was ist das größte Problem, das Finnland in den nächsten zehn bis 15 Jahren bewältigen muss?
Das ist zweifelsohne die demografische Entwicklung. Wir werden immer älter. Im vergangenen Jahr war die Geburtenrate so niedrig wie seit vielen Jahrzehnten nicht mehr. Das stellt eine riesige Herausforderung für die öffentlichen Finanzen dar.
Welche Lösungen sehen Sie?
Der Finanzminister hat ein Konzept vorgelegt, das die Menschen dazu animiert, später aus dem Arbeitsleben auszuscheiden. Dann gibt es Vorschläge, die Arbeitslosenunterstützung so anzupassen, dass die Menschen schneller auf den Arbeitsmarkt zurückkehren. Aber reicht das, und werden die Vorschläge von der Bevölkerung akzeptiert? Ich weiß es nicht. Sicher ist, wir brauchen mehr Finnen – mehr junge Finnen (lacht)… glückliche junge Finnen.