Am Beginn der Pandemie waren die meisten Virologen der Meinung, die Alltagsmaske bringe wenig im Kampf gegen das Coronavirus. Abstandhalten sei das A und O. Sechs Monate später ist die Maske für viele ein Hoffnungsträger und vor allem eines: ein politisches Statement.
Die Polizisten stehen in ihrer kompletten Schutzausrüstung am Brandenburger Tor, ihre schweren Helme hängen am Gürtel, sie beobachten das Demo-Treiben auf der Westseite des Tores. Keiner der Beamten hat einen Mund-Nasen-Schutz auf, sie stammen aus Nordrhein-Westfalen und leisten hier in Berlin Amtshilfe. Plötzlich taucht der Berliner Einsatzleiter für diesen Bereich auf und staucht den Gruppenführer zusammen. Hier herrscht Mundschutzpflicht, auch für die Beamten. Der Gruppenführer lächelt freundlich, und im breitesten Ruhrpott-Slang klärt er den Einsatzleiter auf, dass dies ja für die Berliner Beamten gelten mag, nicht aber für seine Kräfte aus NRW. Unverrichteter Dinge zieht dieser wieder ab.
Es gibt nicht nur unterschiedliche Masken, sondern auch von Bundesland zu Bundesland unterschiedliche Maskenanweisungen. Vielleicht 50 Meter entfernt, auf der Demonstration, diskutiert Joana mit Gegendemonstranten, auf der anderen Seite des Polizeigitters. Diese beschimpfen die 18-Jährige als Corona-Leugnerin und Nazibraut, weil sie keinen Mundschutz trägt. Beinahe mit Tränen in den Augen weist sie darauf hin, dass sie im zweiten Lehrjahr zur chemisch-biologisch-technischen Assistentin und auch keine Nazibraut ist. „Das Corona-Virus gibt es, darum geht es doch gar nicht, es geht um die Sinnlosigkeit der verwendeten Masken", argumentiert die junge Frau vom Demokratischen Forum. „Das Corona-Virus hat 70 Nanometer, die Masken aus der Apotheke haben eine Durchlässigkeit von 700 Nanometer. Das heißt, schon diese Masken sind völlig sinnlos, ganz abgesehen von den selbstgenähten Stoffmasken, die sind völliger Blödsinn, da sie innerhalb von zehn Minuten durchfeuchtet sind", meint sie. Doch die angehende Laborantin wird weiter angefeindet. Es gibt zwei klare politische Lager hier am Brandenburger Tor: die mit und die ohne Maske.
Während im Berliner Regierungsviertel über das Für und Wider der Maske gestritten wird, geht man in Potsdam keine Diskussionen ein. Anlässlich der Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit bestand auf dem gesamten Festgelände, auch unter freiem Himmel, Maskenpflicht. Das galt nicht nur für die Gäste der „Einheits-Expo", sondern für alle Passanten im Potsdamer Stadtgebiet: Sie hatten Mund und Nase zu bedecken. Das bedeutete Großkampftag für die Mitarbeiter des Ordnungsamtes, da wurden auch Jogger „oben ohne" angehalten oder Sportler von ihren Rennrädern geholt. Entweder musste die Maske auf, oder es sei eine andere Route zu wählen.
An der Maske sollt ihr sie erkennen
Eine Maskenpflicht in diesem Rahmen könne auch durchaus sinnvoll sein, so der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) gegenüber FORUM. Gastgeber der Einheitsfeier und brandenburgischer Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) ist damit nicht ganz so glücklich, ähnlich denkt sein saarländischer Amtskollege Tobias Hans (CDU): „Das kann in einer großen Stadt, in der man sehr dicht gedrängt unterwegs ist, Sinn machen. Aber es macht im ländlichen Raum, wo man sich gar nicht so nah kommt, relativ wenig Sinn", so der CDU-Mann. Er und die übrigen Landeschefs sind sich allerdings einig, dass die bestehenden Masken-Regelungen im ÖPNV, Geschäften und Arztpraxen weiter aufrechterhalten werden müssen. Steigen die Infektionszahlen, müsse man auch „noch einmal darüber nachdenken, ob es an anderen Stellen Nachbesserungen geben muss", so Hans. Länderchefs und Kanzlerin sind sich einig: Es darf auf keinen Fall einen zweiten Lockdown geben. Die Menschen müssen zur Arbeit und zum Einkaufen, die Kinder müssen zur Schule gehen können. „Ich bin davon überzeugt, dass die Mehrheit der Menschen kein Verständnis hat, wenn wir das leichtfertig aufs Spiel setzen, doch die Maßnahmen müssen sich immer an der Verhältnismäßigkeit orientieren", sagt Saar- Landeschef Tobias Hans.
Doch darüber sind die demonstrierenden Massen draußen in der Republik schon hinweg. Die Maske ist längst zu einem politischen Symbol geworden, wie die Proteste weit im Süden, im badischen Konstanz, gezeigt haben.
Dort hatten am Wochenende „Querdenker" zu einer Menschenkette um den Bodensee aufgerufen. Dafür kamen dann doch nicht genug, aber für die etwa ein Dutzend organisierten Gegendemonstrationen waren es immer noch zu viele. Da ging es hauptsächlich um zwei Themen: Masken und Nazis. Die Sprechchöre gingen so: „Wer mit Nazis mitmarschiert, der hat wirklich nichts kapiert!" „Mit Masken und Abstand – gegen den Faschismus!" oder auch schlichter „Nazis raus!" Von Wissenschaftlern der Uni Konstanz, verdi über die Grüne Jugend, den Jusos bis hin zu Antifa-Gruppen. Die Slogans ähnelten sich. Den Faschismus wittert man hinter der nächsten Straßenecke.
Verdutzte und verärgerte Teilnehmer der Kundgebung reagierten spöttisch und riefen in die marschierende Menge hinein: „Nazis raus!" Zeitweise brüllten sich zwei Gruppen mit dem gleichen Slogan an, der an diesem Ort vollkommen skurril wirkte: Unter den Teilnehmern war kein einziger Nazi ersichtlich.
So verteidigen die Gegendemonstranten einschließlich der traditionell aus anderen Gründen maskierten Antifa-Gruppen die Maske, quasi als neues Symbol des Antifaschismus. Sie unterstellen, die Gegner der Corona-Maßnahmen würden sich mit Neo-Nazis „gemein machen".
Dabei haben auch die Teilnehmer der Querdenker-Kundgebung Ängste vor einem Abdriften des Landes in eine Diktatur. An vielen Stellen diskutieren Menschen miteinander, ernsthaft, engagiert. Die einen mit Maske, die anderen ohne. Der Sinn der Maske wird angezweifelt, auf Ärzte wird verwiesen, die vor psychischen und möglichen Gesundheitsschäden bei Kindern warnen. Eine Ärztin spricht auf dem Podium und warnt vor den Spätfolgen von zu wenig Sauerstoff.
Manches ist wirklich zweifelhaft
„Wie weit soll das noch gehen? Welche Einschränkungen kommen noch?", fragt eine junge Frau. Ein Lehrer erzählt, seine Schule in Bayern verkündete einen Tag Maskenpflicht, weil ein Kind mit Husten kam, aber ein Testergebnis (das später negativ war) nicht vorlag. „Soll das jetzt den Winter über immer so weiter gehen: Täglich neue Ansagen, je nachdem ob ein Kind mal gehustet hat?" Der Zweifel an der Nachhaltigkeit solcher Maßnahmen scheint nachvollziehbar.
Immer wieder hört man von Teilnehmern einen großen Zweifel, wohin das Land geht. Viele sehen es auf Abwegen. „Ich bin zum ersten Mal im Leben auf einer Demonstration", sagt ein Weißhaariger mit zerfurchtem Gesicht. Er arbeitet mit Behinderten, da trage er natürlich auch Maske, sagt er. „ Aber was da jetzt in diesem Land passiert, das verstehe ich nicht mehr. Da komme ich nicht mehr mit. Ich kann nicht anders als glauben, dass da irgendetwas anderes dahintersteckt." Den Nachrichten im Fernsehen habe er immer vertraut, aber seit Corona könne er das nicht mehr. „Das ist alles so einseitig geworden, es gibt keine andere Meinung mehr." Dabei habe doch jeder Zweifel, der selbst mal nachdenkt. „Aber wenn ein Bürger eine andere Meinung als die offizielle äußert, dann gilt er als böse. Das kann doch nicht sein. Das hat doch nichts mehr mit Meinungsfreiheit zu tun."
„Konstanz ist bunt", war von den Gegnern der Veranstaltung überall auf den Asphalt gesprayt. „Konstanz ist eine bunte, weltoffene Stadt. Hier ist kein Platz für rechtes Gedankengut", ließ sich der Oberbürgermeister am nächsten Tag in der Lokalzeitung zitieren. Tatsächlich: Von gealterten Blumenkindern bis hin zu sportlichen Typen in Allwetterjacken und stylischen Turnschuhen war ein breites Spektrum vertreten. An Buntheit wahrlich kein Mangel. Nazis allerdings wurden hier keine gesichtet.