Die Zahl der Corona-Erkrankungen steigt wieder, in Städten wie Berlin besonders. Auf dem Messegelände steht seit Mai eine Corona-Notklinik – ungenutzt. Das Geld dafür bräuchten jetzt die bestehenden Krankenhäuser.
Der Anstieg der Corona-Infektionszahlen scheint dramatisch: In Berlin sind es nun mehrere Hundert Neuinfektionen pro Tag. Vor allem in Neukölln klappt die Nachverfolgung durch das Gesundheitsamt kaum noch. Jetzt gibt es Sperrstunden, schärfere Kontrollen und neue Einschränkungen. Allerdings: Wie viele Menschen werden wirklich krank und müssen ins Krankenhaus? Reichen die Kapazitäten aus? Das ist die entscheidende Frage. In Berlin hat der Senat in den Schock-Tagen des März den Bau eines eigenen Notkrankenhauses für Covid-19 beschlossen. Es schien zwischenzeitlich im Sommer überflüssig geworden zu sein. Könnte es nun doch wieder gebraucht werden?
Das Notkrankenhaus mit Namen „Corona-Behandlungszentrum Jafféstraße" befindet sich auf dem Messegelände im Westen der Stadt. Es war dazu gedacht, die leichteren Krankheitsfälle aufzunehmen. Bislang sind dort 488 Betten aufgestellt, weitere 300 könnten in einer weiteren Halle folgen. Allerdings ist bislang kein einziger Patient untergebracht worden, die Plätze in den bestehenden Berliner Klinken reichten bislang völlig aus. Gekostet hat das Provisorium bisher 31 Millionen Euro an Baukosten, dazu kommen 25 Millionen Euro für medizinische Ausrüstungen. Pro Monat zahlt der Senat zudem an die Messe Berlin eine Million Euro Miete, hinzu kommen die Personalkosten. Allerdings ist das Personal genau das Problem.
Hauptproblem Personalmangel
Man bräuchte 350 Pflegekräfte, darunter mindestens 200 voll ausgebildete. Natürlich wollte man kein Personal aus den anderen Berliner Kliniken abwerben, die ohnehin schon unter einer angespannten Personalsituation leiden. Darum setzte man auf Freiwillige und Personal im Ruhestand. Derzeit gibt es nur einen Pool von 250 Unterstützerinnen, darunter rund die Hälfte Ärzte und technisches Personal. Sie können bei Bedarf gerufen werden.
„Im Frühjahr konnte man die Einrichtung der Notfallklinik noch nachvollziehen, da war die Unsicherheit groß. Aber heute wissen wir mehr", sagt Wolfgang Albers, Arzt und Sprecher für Gesundheit der Fraktion der Linken im Berliner Abgeordnetenhaus. „Die Notklinik ist eine kurzfristige Übergangslösung, in einem teuer gemieteten Gebäude. Sie ist keine langfristige Lösung, wie es eigentlich nötig wäre", so Albers. Es wäre viel wichtiger, die bestehenden Krankenhausstrukturen dauerhaft zu stärken und dort die Möglichkeit zu schaffen, bei Bedarf zusätzliche Infektionsstationen einzurichten. „Das Not-Krankenhaus in der Messe ist Aktionismus und Geldverschwendung, zumal für den Betrieb das Personal fehlt." Das gilt umso mehr, als im ehemaligen Krankenhaus Prenzlauer Berg vom landeseigenen Krankenhausunternehmen Vivantes bereits 200 Betten extra für eventuelle Covid-19-Patienten aufgestellt wurden, die bisher ebenfalls ungenutzt blieben.
Denn insgesamt sieht die Berliner Versorgung mit Krankenhausbetten aktuell gut aus, auch mit Betten auf Intensivstationen für die schlimmsten Fälle: Berlin hat 22.000 Krankenhausbetten. Von den 633 Intensivbetten waren in der Spitze im Frühjahr 165 mit Covid-19-Patienten belegt. Aktuell sind es 67, Tendenz steigend, aber wie schnell und wie hoch? Bislang kann das niemand sagen. Klar ist, dass trotz hoher Neuinfektionen die Zahl der Einlieferungen nur langsam steigt. Der Anteil von Corona-Fällen belegter Intensivbetten beträgt aktuell 5,3 Prozent, laut Berliner Corona-Ampel ist das noch im grünen Bereich: Ab 15 Prozent wäre die Ampel gelb und ab 25 Prozent rot. Dabei darf man nicht vergessen, dass rund zwei Drittel der Intensivbetten erfahrungsgemäß anderweitig belegt sind.
Allerdings lässt sich die Zahl der Intensivbetten im Notfall auch erweitern. Im Frühjahr wurde die Zahl kurzfristig von 1.000 auf 2.300 erweitert und danach wieder heruntergefahren.
Der Berliner Notfallplan für eine Verschärfung der Corona-Situation gilt als gut. Die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) nennt ihn „bundesweit vorbildlich". Im Zentrum steht die Charité, die sich auf die schwersten Fälle vorbereitet hat. Die Charité versucht inzwischen wieder, Intensivbetten freizubekommen. Dahinter kommen 16 weitere Berliner Krankenhäuser, die bereit sind, Corona-Patienten aufzunehmen. Erst wenn diese nicht mehr ausreichen, können weitere Kliniken aktiviert werden.
Allerdings fordern die Krankenhäuser wieder einen finanziellen Ausgleich dafür, dass sie Kapazitäten vorhalten. Die bisherige Pauschalen-Regelung über zunächst 560 Euro pro Bett und Tag, später etwas modifiziert, ist Ende September ausgelaufen. Viele Kliniken sind finanziell unter Druck geraten. „Jetzt ist eine Rückkehr in den Krisenmodus erforderlich, nicht nur für die Krankenhäuser, sondern auch für die Politik! Der Bundesgesundheitsminister muss sofort handeln, auch wenn noch nicht alle Bundesländer gleichermaßen stark betroffen sind. Abzuwarten, bis der Druck aus allen Ländern groß wird, nimmt in Kauf, dass die Berliner Krankenhäuser bis dahin im Regen stehen gelassen werden", so Marc Schreiner, Geschäftsführer der Berliner Krankenhausgesellschaft BKG.
Bau der Notklinik war ein „falscher Ansatz"
Wie schlimm wird es wirklich? „Um abzuschätzen, wie viele Infizierte tatsächlich ins Krankenhaus müssen, muss man sich immer die Infektionszahlen der jeweils vergangenen sieben Tage betrachten", sagt Albers. Daraus rekrutieren sich die potenziellen Patienten. Diese Zahl liegt aktuell in Berlin bei etwa 3.400. Laut Robert Koch-Institut müssen von den Infizierten statistisch zwölf Prozent zur Behandlung ins Krankenhaus. Andere Studien gehen nur von sechs Prozent aller Infizierten aus. Bei zwölf Prozent wären es gut 400, bei sechs Prozent 200 hospitalisierte Patienten. Die Aufenthaltsdauer liegt im Schnitt nur bei etwa sieben Tagen.
„Der Bau der Notklinik in den Messehallen ist ein grundsätzlich falscher Ansatz", so Albers. Klüger wäre es gewesen, die Gelder in die bestehenden Krankenhäuser zu stecken, um die klinischen Strukturen dort langfristig „pandemiefest" zu machen und vor allem die Gesundheitsämter personell zu verstärken.
Entscheidend sei jetzt, sich langfristig mit der Krankheit zu arrangieren und das Gesundheitssystem entsprechend auszurichten. „Wir haben keine Pandemie mehr, die gestoppt werden könnte. Der Erreger ist längst heimisch geworden, deshalb hilft es auch nicht, immer von der nächsten neuen ‚Welle‘ zu sprechen. Wir müssen dauerhaft mit Corona leben, in jedem Land, auf unbestimmte Zeit", so Albers.
Schnellschüsse wie die Notfallklinik helfen da nicht weiter. „In Deutschland haben wir über 30.000 Intensivbetten, aber nicht überall das notwendige Personal. Corona hat die Schwachstellen offengelegt, jetzt sollten wir nicht hektisch reagieren, sondern unsere Erfahrungen mit ähnlichen Erregern nutzen."
Auch die Messe Berlin wird mit der Klinik nicht glücklich werden. Früher oder später werden die Hallen wieder für Messen wie die Grüne Woche oder die Innotrans gebraucht. Wobei natürlich unklar ist, wann und ob diese wieder im gewohnten Umfang stattfinden können.