Wenn Traktionsbatterien den hohen Ansprüchen im Elektroauto nicht mehr genügen, eröffnen sich weitere Einsatzfelder, etwa als Heimspeicher oder in einer Speicherfarm. Doch was von Autoherstellern als nachhaltig vermarktet wird, wirft Fragen auf.
Mit dem heraufbeschworenen Boom der E-Autos stellt sich nicht nur die Frage nach der Massenproduktion von Antriebsakkus mit ihren wertvollen Metallen und Rohstoffen, sondern auch deren spätere Weiterverwendung. Ein Ansatz ist das sogenannte Second Life: Werden die Stromspeicher im E-Auto ausrangiert, erleben sie ihren zweiten Frühling. Statt sie zu zerlegen, werden sie dem Wertstoffkreislauf wieder zugeführt.
Der Batterie als Herzstück mit einem verlängerten Leben einen grüneren Anstrich zu verpassen, kommt vielen Autoherstellern gelegen. Denn ein Elektroauto herzustellen, ist energieintensiver als die Produktion eines Autos mit Verbrennungsmotor. „Lithium-Ionen-Batterien haben einen großen CO2-Fußabdruck, nicht zuletzt, weil die Kathodenproduktion sehr energieintensiv ist", sagt Hans Eric Melin, Geschäftsführer von Circular Energy Storage, einer in London ansässigen einschlägigen Beratungsfirma. Dass das zweite Leben möglich ist, liegt an der besonderen Beanspruchung der Batterie im Auto. Dort muss sie sehr hohe Leistungen abgeben können, die Energiedichte muss hoch sein, um die tonnenschweren Stromer zügig anfahren oder Steigungen spielend überwinden zu lassen. Auch eine hohe Entladetiefe ist notwendig, um als Mittel gegen die Reichweitenangst möglichst hohe Aktionsradien zu ermöglichen. Und die Zellen müssen große Temperaturschwankungen aushalten.
Erfüllt eine Batterie diese Anforderungen nicht mehr, taugt sie noch für andere Anwendungen unter weniger fordernden Umständen. „Bei 80 Prozent der anfänglichen Kapazität gilt sie im E-Auto als alt", sagt Prof. Martin Winter, wissenschaftlicher Leiter des Meet-Batterieforschungszentrums an der Universität Münster und Direktor des Helmholtz-Instituts Münster. Laut ADAC unterschreitet die Batterie nach im Durchschnitt 1.500 bis 2.500 Ladezyklen diese Schwelle. Das sind umgerechnet knapp acht bis zehn Jahre.
Für Besitzer mit Solaranlagen interessant
Das zweite Akku-Leben beginnt oft als stationärer Speicher, dann steht ihm ein stressfreieres Leben bevor. „Beschleunigungs- und Rekuperationsphasen wie beim E-Auto entfallen. Zum anderen ist der Betrieb deutlich gleichmäßiger und langsamer. Dadurch verliert der Akku weniger an Kapazität", schreibt Hyundai auf seiner Website.
So wird seit 2017 im BMW-Werk in Leipzig ein stationärer Speicher aus knapp 700 zusammengeschalteten alten, aber auch neuen Akkus betrieben, der Wind- und Solarstrom speichert und für die Produktion bereithält. Und VW hat Ladesäulen entwickelt, in denen künftig ältere Batterien der ID-Modelle zum Einsatz kommen sollen. In Salzgitter baut VW mit dem schwedischen Unternehmen Northvolt eine Batterie-Zellfertigung, in der in einer Pilotanlage auch Second-Life-Konzepte erprobt werden.
Längst sind auch schon Speicherfarmen und große stationäre Speicher am öffentlichen Stromnetz. Dort sollen sie Abweichungen zwischen Stromerzeugung und -verbrauch ausgleichen. Dieses Glätten von Lastspitzen, auch Peak Shaving genannt, sorgt für mehr Netzstabilität – und sinkende Kosten, denn diese bemessen sich bei gewerblichen Stromverbrauchern an der höchsten abgerufenen Leistung. In Hamburg etwa erleben zu diesem Zweck E-Auto-Akkus ihr Second Life als stationärer Stromspeicher am Fährterminal, auch der Speicher im Leipziger BMW-Werk hängt am Netz.
Einer der größten Speicher seiner Art mit einer Gesamtkapazität von 13 MWh steht im westfälischen Lünen am Standort des Recycling-Unternehmens Remondis. Zusammengeschaltet sind dort 1.000 ausgediente Batterien aus elektrischen Smart- und Mercedes-Modellen. „Durch die Weiterverwendung der Lithium-Ionen-Module lässt sich deren wirtschaftliche Nutzung quasi verdoppeln", heißt es bei Daimler.
Ein anderes zweites Leben erwartet Altakkus in den schicken Gehäusen von Powervault. Das britische Unternehmen baut Heimspeicher, die vor allem für Hausbesitzer mit Solaranlagen interessant sind, um Sonnenenergie oder günstigen Nachtstrom zu bunkern. Als Ausgangsmaterial der Batteriemodule dienten schon ausgediente Traktionsbatterien von Renault. Powervault spart mit den Rückläufern rund ein Drittel an Kosten gegenüber neuen Batterien.
Second Life: eine rundherum gut Sache also? Batterie-Experte Winter gehört zu den Zweiflern. „Auf den ersten Blick klingt Second Life charmant, aber es muss sich letztlich rechnen." Der Grund für seine Zurückhaltung sind die in der Batterie hochrein enthaltenen wertvollen Rohstoffe wie Lithium, Kobalt, Nickel oder Kupfer.
148 Batterien aus Nissans versorgen Johan-Cruyff-Arena
„Während die neuen Batteriechemien immer günstigere Materialien enthalten, weisen gerade die Batteriezellen, die bald zuerst zum Recycling anstehen, besonders große Anteile an wertvollen Materialien auf", sagt Prof. Winter. „Nimmt man diese aber aus dem Recyclingkreislauf heraus, müssen zusätzlich Rohstoffe gefördert werden. Wenn die Metalle aus Erzen gewonnen werden müssen, kann das sehr aufwendig werden." In einem Bericht im Auftrag des Umweltbundesamtes hieß es schon 2015 über Second Life: „Dabei ist auch zu beachten, dass die Weiterverwendung von Batterien auf echten Bedarf treffen muss und damit dann tatsächlich Primärmaterial ersetzt."
Unabsehbare Auswirkungen auf die Rohstoffpreise, teure Nebenkosten – Second Life könnte sich vor diesem Hintergrund als Milchmädchenrechnung erweisen, befürchtet Winter. Doch das Thema ist umstritten. Wolfram Axthelm, Geschäftsführer Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE), sagt: „Sobald eine relevante Zahl von E-Mobilitäts-Batterien für die Zweitnutzung bereitsteht, werden sich Second-Life-Batterien als ein wichtiger Pfeiler der Energiewende etablieren. Hier entsteht ein interessanter Markt." Für Hans Eric Melin von Circular Energy Storage hat es nichts mit Ressourcen sparen, eine noch funktionstüchtige Batterie zu recyceln. Der CO2-Fußabdruck je Kilowattstunde schrumpfe mit der Nutzungsdauer.
Noch fallen ausrangierte Akkus nur in homöopathischen Dosen an, viele der wenigen zugelassenen Stromer sind erst seit ein paar Jahren auf der Straße. Doch das könnte sich mit der wachsenden Popularität der E-Autos ändern. Eines der imposantesten Beispiele für das zweite Leben von Elektroauto-Batterien ist derweil seit Sommer 2018 schon am Netz: Fällt in der Johan-Cruyff-Arena in Amsterdam der Strom aus – kein Problem. 148 Batterien aus dem Nissan Leaf, die sich zu einem sonnenenergiegespeisten Speichersystem von drei Megawattstunden ergänzen, sorgen dafür, dass auch dann auf dem Spielfeld die Flutlichter nicht ausgehen.
Doch wie lange dauert ein solches Second Life? Der ADAC verweist auf Messreihen zu Alterungsprozessen. Demnach liegt die Nutzung im zweiten Leben bei weiteren zehn bis zwölf Jahren. Die durchschnittliche Gesamtnutzungsdauer eines Lithium-Ionen-Akkus könnte demnach bei mehr als 20 Jahren liegen. Danach stünde dann erst das Recycling an, das die EU-Batterierichtlinie regelt – deren Novellierung ist derzeit im Gange. Die alte Version stammt aus einer Zeit, als man die großen Lithium-Ionen-Akkus noch nicht im Fokus hatte.