Am 31. Oktober wird der Flughafen BER eröffnet. Es hätte ein großer Tag für Berlin werden können, in Corona-Zeiten fällt die Eröffnung allerdings wenig euphorisch aus. Vor allem bei den Anwohnern hält sich die Freude in Grenzen.
Die Entscheidung für den Flughafen BER in Schönefeld war bereits 1996 gefallen – vor fast einem Vierteljahrhundert. Neun Jahre lang wurde der Eröffnungstermin immer wieder verschoben, sodass manche glaubten, der „Pannenflughafen" würde gar nie an den Start gehen. Immer wieder hatte der TÜV Sicherheitsbedenken und verweigerte die Abnahme. Dass Berlin das mit dem Flughafen nicht hinbekommen würde, war seit vielen Jahren der Running Gag vieler Ansagen der Flugkapitäne beim Anflug auf Berlin.
Nun ist es doch so weit. Nach dem Start am 31. Oktober geht es erst einen Tag später mit 5.000 erwarteten Fluggästen richtig los. An Terminal 5, dem alten Flughafen Schönefeld, sind es noch mal 8.000 zusätzlich. Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup rechnet zum Start mit einer Auslastung von nur 20 Prozent. Wenn dann eine Woche später der Flughafen Tegel schließt, kommen noch mal 11.000 Passagiere dazu. Ob die geplante Kapazität von 27 Millionen Passagieren jährlich jemals erreicht wird, ist allerdings äußerst fraglich. Kein Mensch kann sagen, wie Corona und die Klimapolitik langfristig den Flugverkehr beeinflussen.
In den umliegenden Ortschaften brechen für viele Anwohner unruhige Zeiten an. Während die einen den Fluglärm fürchten, versuchen andere, sich mit der neuen Situation zu arrangieren und das Beste aus ihr zu machen.
Peter Jankowski (73), Rentner, Mahlow-Waldblick
Die Entscheidung für den BER an diesem Standort war falsch und nicht demokratisch. Auf Experten und Wissenschaftler wurde nicht gehört. Kein Land der Welt baut heute noch einen Flughafen direkt an eine Großstadt. Jetzt haben wir den Salat. Vielleicht wird der BER irgendwann für einen Euro verkauft?
Durch die Eröffnung des BER wird sich für mich wahrscheinlich nicht viel ändern. Als ich 2001 aus beruflichen Gründen in die Gegend zog, wusste ich schon, dass mein Haus nicht direkt überflogen werden würde. Dass man hier keinen Fluglärm hört, stimmt aber nicht. Der Flugverkehr ist ziemlich präsent, besonders, wenn auf der Nordbahn Maschinen starten. Landungen machen weniger Lärm. Lange bin ich davon ausgegangen, dass der Flughafen nicht fertig gebaut wird und habe gegen ihn demonstriert, auch um Solidarität mit den schwerer Betroffenen zu zeigen.
Nach Jahren des Widerstands müssen wir uns nun mit dem BER abfinden. Ich plädiere dafür, dass wir Anwohner jetzt unsere Kräfte bündeln und uns für das Nachtflugverbot einsetzen, statt auf eine Abknickung der Startbahn Richtung Norden zu klagen.
Ansonsten steht statt Vergangenheitsbewältigung Zukunftsorientierung an. Wir sollten die wirtschaftlichen Vorteile nutzen. Hier, nur 800 Meter vom Stadtrand von Berlin entfernt, werden wir mittelfristig mehr an die Hauptstadt angebunden werden. Das bedeutet mehr Gewerbe und mehr Steuergelder.
Damit das funktioniert, brauchen wir dringend Infrastruktur: mehr Einkaufsmöglichkeiten, Wohnraum, Kitas, und Schulen. Ich befürchte, wir haben zu viel Zeit verpennt. Wir müssen jetzt nach vorne schauen.
Alexander Korsch (56), Unternehmer, Mahlow-Waldblick
Wir sind 2007 ganz bewusst in die Nähe von Schönefeld gezogen. Aus beruflichen Gründen war uns eine Anbindung an den Flughafen sehr wichtig. Ich bin europaweit unterwegs und wollte an einem verkehrstechnisch strategisch günstigen Knotenpunkt wohnen – allerdings möglichst ohne Nachteile. Bevor wir uns für den Standort entschieden haben, waren wir deshalb beim Flughafen-Informationszentrum und erfuhren so, dass unser Haus nach der Fertigstellung der neuen Startbahn am BER nicht überflogen werden würde. Und tatsächlich. Die Flugzeuge der Südbahn hören wir glücklicherweise gar nicht.
An Fluglärm bin ich zwar aus Kindertagen gewöhnt. Mit extremem Fluglärm von startenden oder landenden Maschinen könnte ich allerdings nicht leben. Der beeinträchtigt langfristig die Gesundheit. Ich glaube, dass für den BER definitiv der falsche Standort gewählt wurde. Es hätte viele Alternativen gegeben.
Der BER ist nach dem, was ich heute weiß, ein defizitärer Betrieb und zwar von Anfang an. Ohne die Gesellschafterzuschüsse aus unseren Steuergeldern wäre der BER meines Erachtens sofort insolvent. Die Leute, die nun in der Einflugschneise des BER leben müssen, tun mir leid. Ich habe Verständnis für die Menschen, die auf die Barrikaden gehen. Doch die Sache ist gelaufen. Jetzt bleibt den Leuten nur noch, gemeinsam für ein Nachtflugverbot zu kämpfen. Damit wenigstens von 22 bis 6 Uhr Ruhe ist.
Pierre Leclaire (59), Ingenieur, Dahlewitz
Ich erinnere mich noch genau daran, wie ich 1996 im Auto von der Entscheidung hörte, den BER am jetzigen Standort zu errichten. Das war ein Schock für mich. Und ich wusste, dass ich mich hier irgendwann nicht mehr zu Hause fühlen würde. Einen Vorgeschmack davon, wie es sein wird, wenn die Flugzeuge im Tiefflug über unser Haus fliegen, haben wir bekommen, als die Nordbahn von Schönefeld saniert wurde. Da starteten zwei Monate lang die Flugzeuge von der Südbahn des BER. In der Zeit konnten wir auf der Terrasse unser eigenes Wort nicht mehr verstehen. Der Flugbetrieb geht jeden Morgen schon um 5 Uhr an den Start. Auch, wenn es nicht schön ist, so geweckt zu werden, komme ich damit einigermaßen klar, denn ich bin, anders als meine Frau, Frühaufsteher. Wir bauen gerade den Keller aus, damit sie hoffentlich in Ruhe schlafen kann.
Unsere einzige Rettung wäre der Ostwind. An solchen Tagen starten die Flugzeuge gegen den Wind und wir haben etwas mehr Ruhe. Mittelfristig werden wir wohl wegziehen müssen, wenn nicht ein Wunder passiert. Wenn ich ehrlich bin, warte ich noch ein bisschen darauf. Vielleicht gibt es bis zum 31. Oktober wieder neue Probleme am Flughafen, die seine Eröffnung verhindern …
Immerhin konnte auch niemand die Corona-Pandemie vorhersehen, durch die die Zahl der Flüge ja deutlich reduziert wurde. Im Grunde ist die Planung des BER schon wieder überholt. Nach neuestem Stand sollen nämlich die Inlandsflüge weitestgehend zurückgefahren werden. Das wären dann immerhin knapp 50 Millionen Passagiere weniger pro Jahr allein in Deutschland. Ich verstehe es – als Entwickler in der Bahnindustrie – nur schwer, dass die Regierung trotzdem immer noch den Stromverbrauch der Züge massiv besteuert, wohingegen das Kerosin kaum besteuert wird.
Eva Lynker (58), Rezeptionistin, Dahlewitz
Wenn Politiker sagen: Sollen die Leute doch wegziehen, wenn ihnen der Flughafen nicht passt, macht mich das wütend. Als wir 1994 hierherkamen, waren sechs oder sieben Standorte im Gespräch, wobei Schönefeld der schlechteste von allen war. Dass ausgerechnet dieser gewählt werden würde, darauf wäre ich damals im Traum nicht gekommen.
Ich kann einfach nicht verstehen, wie man einen neuen Flughafen so nah an einer Millionenmetropole auf Kosten von Zehntausenden Anwohnern bauen konnte. Wir als „Schwerstbetroffene" werden nicht nur mit massivem Lärm, sondern auch mit Feinstaub terrorisiert werden. Ab 5 Uhr früh werden die Flugzeuge voraussichtlich im Zwei- bis Dreiminuten-Takt mit bis zu 90 Dezibel über unser Haus und unseren idyllisch am Waldrand gelegenen Garten donnern.
Lärmschutz bringt wenig, da es im Grunde genommen bedeutet, sich sogar im Sommer am besten in seinem Haus aufzuhalten, wenn man dem Krach entrinnen will. Das ist für mich ein wenig so wie Käfighaltung. Unser schöner Garten wird total „lärmgeschreddert". Ich bin tief enttäuscht von der Entscheidung der Politik!
Kurioserweise hilft jetzt ein Virus uns Anwohnern, zunächst nicht die geballte Ladung des BER-Luftverkehrs sondern nur etwa ein Drittel aushalten zu müssen. Aber über kurz oder lang werden wir traurigerweise doch wegziehen müssen – wenn wir uns den Gesundheits- und Nervenstress nicht antun wollen.
Abgesehen von unserer persönlichen Betroffenheit frage ich mich, wo eigentlich das längst überfällige Umdenken in Bezug auf die Vielfliegerei bleibt. Ist es nicht höchste Zeit, endlich angemessenen Klimaschutz zu betreiben? Und überall fehlt es an Geld: im Gesundheitssektor und in der Bildung. In den BER wurden jedoch Milliarden gepumpt.