Der SPD-Bundestagsabgeordnete Stefan Zierke war selbst lange Jahre im Tourismus tätig. Im Interview erklärt er, warum die Branche so wichtig ist und warum sie hierzulande trotzdem nur eine kleine Lobby hat.
Herr Zierke, Sie sind gelernter Tourismusfachwirt. Wenn Sie jetzt erleben, vor welchen Herausforderungen der Tourismus angesichts von Corona steht: Sind Sie froh, dass Sie aktuell nicht mehr in der Branche tätig sind?
Ich begleite das Thema auch als Mitglied des Deutschen Bundestags weiter sehr intensiv. Das geht einem schon nahe und am liebsten würde man direkt helfen wollen. Schon zu der Zeit, als ich noch in der Uckermark tätig war, zunächst als Leiter eines Reisebüros und später als Geschäftsführer des Tourismusverbands, bin ich die Probleme angegangen und nicht davor weggelaufen.
Welche Rückmeldungen bekommen Sie, wie der Tourismus die Corona-Krise erlebt hat?
Wenn es um die Uckermark geht, bin ich natürlich in engem Kontakt mit den dortigen Touristikern, aber ich tausche mich auch regelmäßig mit den bundesweiten Branchenvertretern aus. Ich habe in den vergangenen Monaten viele Telefonate geführt, um zu erfahren, was die Branche bewegt. Eine der interessantesten Erkenntnisse war, dass manche Hoteliers nach der ersten Corona-Welle gar nicht sofort wieder aufmachen wollten, weil sie mit Kurzarbeitergeld und den Corona-Hilfen besser über die Runden kamen, als wenn sie das Hotel öffnen und aufgrund der Vorgaben nur 40 Prozent der Kapazitäten nutzen oder keine Gastronomie anbieten können. Denn das Geld verdient man größtenteils mit dem Essen.
Für die Lufthansa hat die Politik große Anstrengungen unternommen wie auch für einige andere Branchen außerhalb des Tourismus. Wenn man bedenkt, dass die Tourismusbranche dreimal so viele Beschäftigte stellt wie die Autoindustrie, wurde insgesamt jedoch eher wenig gemacht. Hat der Tourismus in Deutschland keine Lobby?
Der Lobbyismus im Tourismus ist schwierig, weil die Branche so vielfältig ist – vom Ferienwohnungsbesitzer über die Servicekraft bis hin zum Tui-Konzernchef. Diese Diversität macht den Tourismus schwer fassbar und macht es schwierig, die Interessen zu bündeln. Ich würde es begrüßen, wenn die Stärke des Tourismus auch im Wirtschaftsministerium klarer zu sehen wäre. Es gibt zwar eine Abteilung für Tourismus mit einem entsprechenden Stab, aber das könnte man sicher noch ausbauen. Es würde der Branche auch helfen, wenn das ganze Thema Infrastruktur und Marketing in einer Region nicht immer komplett bei den Touristikern hängen bleiben würde. Das ist immer auch Regionalentwicklung. Was gut für Touristen ist, ist auch für die Einheimischen gut.
Der Tourismus gilt als Querschnittsbranche, die zahlreiche Bereiche erfasst: Naturschutz, Mobilität, Infrastruktur, Soziales, um nur einige zu nennen. Warum wird er immer noch unterschätzt?
Die Bedeutung des Tourismus in Deutschland wird in den aktuellen Strukturen nicht abgebildet. Wer sorgt denn hierzulande dafür, dass die Arbeitnehmer regenerieren können, um danach mit neuer Kraft die Wirtschaft am Laufen zu halten? Das ist die Urlaubsbranche. Diesen Aspekt sehen viele gar nicht. Wenn es den Tourismus nicht gäbe, hätte unsere gesamte Volkswirtschaft ein Problem. Ich betrachte den Tourismus volkswirtschaftlich für ganz Deutschland.
Wäre ein Tourismusministerium auf Bundesebene die richtige Lösung?
Ein eigenes Ministerium wäre glaube ich zu viel verlangt. Aber warum nicht den Tourismus klarer hervorheben, indem man zum Beispiel ein Ministerium für Verkehr und Tourismus oder für Wirtschaft und Tourismus schafft? Wir müssen klare Strukturen aufbauen. Wenn wir in Brandenburg neue Radwege bauen, von denen Einheimische und Touristen gleichermaßen profitieren, ist es bislang so, dass diese zum Teil vom Landwirtschaftsministerium bezahlt werden, weil sie der Entwicklung des ländlichen Raums dienen, zum Teil vom Wirtschaftsministerium und zum Teil vom Verkehrsministerium. Man sollte die Aufgaben neu definieren und so für mehr Klarheit sorgen.
Wo hakt es noch im Tourismusgewerbe – an welchen Stellschrauben müsste gedreht werden?
Das Thema der Tarife ist ein ganz Wichtiges in der Branche. Niedriglöhne sind im Tourismus nach wie vor ein großes Problem. Aber nur wenn die Mitarbeiter gut bezahlt werden, sind sie auch bereit, mehr zu machen. Ich erlebe es immer wieder, dass man keine Antwort bekommt, wenn man in einem Restaurant eine Servicekraft nach einem Ausflugstipp in der Umgebung fragt. Wenn man dann nachhakt, bekommt man zu hören: Warum soll ich mich für 450 Euro auch noch um solche Dinge kümmern? Das ist doch ein zusätzlicher Service für den Gast, aber dieses Verständnis ist in der Branche leider noch nicht allzu verbreitet. Ich kann in diesem Zusammenhang auch den Dehoga, den Deutschen Hotel- und Gaststättenverband, nicht verstehen. Dessen Lobbyarbeit finde ich absolut daneben! Der Dehoga sollte sich überlegen, ob er künftig wirklich nur auf Kosten der Beschäftigten Lobbyismus betreiben will oder lieber einmal seine Hoteliers zur Seite nimmt und ihnen vermittelt, worauf es ankommt, um Mitarbeiter zu halten und so das handwerkliche Gewerbe der Reisebranche zu stärken.