Die Mode der Kriegs- und Nachkriegszeit spielte wegen ihrer auf Material-Rationierungen basierenden Schlichtheit als Fashion-Inspirationsquelle lange keine Rolle. Diesen Winter haben einige Designer aber die 1940er-Jahre wiederentdeckt.
Die 1940er-Jahre sind in der vergangenen Dekade immer knapp unterhalb des Mode-Radars mitgelaufen. Statt sich mit den schlicht gehaltenen Klamotten der Kriegs- und frühen Nachkriegsjahre zu beschäftigen, haben sich die meisten Designer lieber schrägen, schillernden oder revolutionären Fashion-Jahrzehnten der 60er- bis 90er-Jahre als Inspirationsquelle zugewandt. Schließlich konnte man typische Akzente der Damenmode aus den Vierzigern wie gepolstert breite Schultern, A-Linien-Kleider, Petticoats, Pillbox-Hüte oder den Bleistiftrock auch aus späteren Dekaden entlehnen und brauchte sich nicht weiter mit den originären Vorbildern aus den dunklen Jahren des 20. Jahrhunderts auseinanderzusetzen.
Da seit geraumer Zeit der Minimalismus in der Fashion-Welt das Zepter übernommen hat, ist es nicht weiter verwunderlich, dass plötzlich gerade die Schlichtheit der Klamotten aus den 40ern das Interesse einiger Kreativchefs geweckt hat. Das hatte Miuccia Prada jüngst bestätigt, als sie auf die 40s-Silhouetten in ihrer aktuellen Miu-Miu-Winter-Kollektion angesprochen worden war: „Ich wollte eine strenge und strukturierte Silhouette konzipieren", so Prada, „um damit den Frauen die Möglichkeit zu geben, die Kleidung frei nach ihrem persönlichen Gusto zu dekorieren und auszuschmücken."
Bis Christian Diors viel zitierter und legendärer New Look mit Wespentaille, zerbrechlich-femininen Schultern in eng anliegenden Jackets, Etuikleidern oder fülligen A-Linie-Ballonröcken aus dem Jahr 1947 abseits der Haute Couture gesellschaftlich akzeptiert werden und die Mode in eine ganz neue Richtung lenken sollte, hatten sich die Damen weltweit mit den auf kriegs- und nachkriegsbedingten Material-Beschränkungen basierenden Klamotten abgefunden. Diese sollten in erster Linie praktisch-funktional sein, Stoffverschwendungen für verspielte Faltenwürfe waren ebenso verpönt oder in Großbritannien sogar gesetzlich verboten, wie zum Beispiel schmückendes Beiwerk à la Stickereien oder Pelzbesätze.
Sanduhr-Silhouetten und knielange Röcke
Nur bei ganz genauem Hinschauen konnten erste Ansätze einer Hinwendung zu den Vierzigern schon im vergangenen Jahrzehnt festgestellt werden. Wobei sie meist, wenn überhaupt, unter dem Etikett „Mikrotrend" abgehandelt wurden. Dabei hätten schon im Winter 2011/2012 die Vierziger durchaus eine ausführlichere Würdigung finden können, weil typische Mode- und Beauty-Details wie Sanduhr-Silhouetten, knielang-taillenbetonte Röcke, adrette Kostüme, Pencil-Skirts, Jacken mit breiten Schulterpolstern, Blusen mit weit schwingenden Schmetterlings-Ärmeln oder feuerrote Lippen damals auf den Laufstegen von Gucci, Miu Miu, Marc Jacobs, Louis Vuitton oder Donna Karan zu sehen gewesen waren. Und weil im August 2011 Top-Model Kate Moss auf dem Cover der britischen „Vogue" und im Innenteil des Magazins in klassischen Forties-Klamotten und mit Pin-Curls-Frisur posiert hatte.
Im Sommer 2016 hatte Marc Jacobs schwingende Kleider im Forties-Style in seine Kollektion aufgenommen, das einfache Outfit aber mittels Federn oder Stolas aufgepeppt. Im Winter 2019/2020 hatten sich mit Gucci, Dolce & Gabbana und Fendi gleich drei modische Schwergewichte den 40ern zugewandt. Für die gerade zurückliegende Sommersaison hatte immerhin die englischsprachige Ausgabe der „In Style" ein Trend-Comeback der 40er ausgemacht, ohne dass diese Erkenntnis von weiteren Medien aufgegriffen worden wäre. Als angesagte Klamotten oder Accessoires hatte „In Style" Loafer, Cardigans, knielange Kleider, Polka Dots, Bleistiftröcke, Satin-Lingerie oder zweireihige Mäntel ausgemacht. Miu Miu hatte zusätzlich in ihrer Sommerkollektion 2020 Lackleder-Mäntel im puristischen 40er-Style präsentiert.
Auch diesen Winter haben nur ganz wenige Fashion-Beobachter Notiz vom 40er-Revival genommen. Obwohl renommierte Marken wie Miu Miu, Rodarte, Marc Jacobs, Lanvin, Giambattista Valli, Celine oder Etro dabei mitmachen und sich explizit auf eine Neuinterpretation der Kleider im 40s-Style beziehen, die ihren Reiz ausgeprägten Schulterpolstern, kleinen Kragenlösungen und figurbetont-femininem Schnitt verdanken. Speziell die Rodarte-Dresses scheinen einer fernen Zeit zu entspringen, es fällt daher leicht, sich Film-Diven der 1940er-Jahre wie Lauren Bacall, Joan Fontaine, Ingrid Bergman oder Veronica Lake darin vorzustellen. Ein von Bella Hadid auf dem Laufsteg präsentiertes Polka-Dot-Kleid hätte außerdem jeder Hausfrau in den Vierzigern garantiert wunderbar gefallen. Marc Jacobs zeigte ein langärmeliges Kleid in grünem Plaid mit Bateau-Ausschnitt, kombiniert mit einem kleinen roten Hütchen.
Zusätzlich hat Marc Jacobs auch noch schlichte, monochrome, absolut schmucklose Hängerkleidchen in A-Linien-Schnitt in seinem Sortiment. Einfach gehaltene Mäntel in A-Linie nicht zu vergessen. Erdem wählte für seine mit Puffärmeln ausstaffierten Kreationen das Material Satin und zeigte seine Dresses in Verbindung mit Gloves und auffälligen Schals. Bei Miu Miu gibt es neben knielangen Kleidern auch bodenlange Dresses mit weiße Kragen.