Israel will eine Annäherung zwischen Joe Biden und dem Iran verhindern
Weite Teile der Welt hoffen auf den designierten US-Präsidenten Joe Biden. Aber längst nicht überall herrscht freudige Erwartung. Im Nahen Osten zum Beispiel steigt die Nervosität, je näher der Stabwechsel im Weißen Haus am 20. Januar rückt. Die vor Jahren noch undenkbare Allianz aus Israel, Saudi-Arabien, den Emiraten und Bahrain hat große Sorge, dass Amerika unter Biden zum internationalen Atomabkommen mit dem Iran zurückkehrt – und damit die Tür für eine Kernwaffen-Option des Mullah-Regimes weit aufstößt.
Die Ermordung von Mohsen Fachrisadeh, der das iranische Nuklear-Programm leitete, trägt die Handschrift des israelischen Geheimdienstes Mossad. Ferngesteuertes Maschinengewehr in einem leeren Nissan, vier Attentäter in einem Hyundai, dazu acht Männer auf vier Motorrädern: Fachrisadeh wurde in einer generalstabsmäßig geplanten Blitzaktion erschossen. Die Kameras der Straße waren ausgeschaltet, die Täter vor Eintreffen der Polizei über alle Berge.
Fachrisadeh galt nicht nur als der Vater der Atomforschung der Islamischen Republik. Er war auch der wichtigste Raketenexperte des Landes und Brigadegeneral der Revolutionsgarden. Eine Mischung, die in Israel Albträume auslöste.
Premierminister Benjamin Netanjahu hatte bereits im Mai 2018 angekündigt, dass man sich den Namen Fachrisadeh merken müsse – eine kaum verhüllte Drohung. In einer spektakulären Fernseh-Präsentation enthüllte er, wie der Mossad nach eigenen Angaben umfangreiche Geheimdokumente über das iranische Nuklear-Programm aus Teheran erbeutet hatte.
Dem 2015 unterzeichneten Atomvertrag – zu dem Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Russland und China nach wie vor stehen – traute man in Jerusalem ohnehin nie. Der Iran bremse seine nukleare Forschung nur aus taktischen Gründen, um die harschen Sanktionen abzustreifen, so der Verdacht. Im Geheimen werde die Kernwaffen- und Raketenentwicklung jedoch weiter verfolgt. Der Ausstieg von US-Präsident Donald Trump aus der Übereinkunft 2018 entfachte in Israel ein Freudenfest.
Am Persischen Golf tobt bereits seit geraumer Zeit ein Schattenkrieg. Am 3. Januar ermordete eine US-Drohne nahe dem Internationalen Flughafen von Bagdad den populären General der Al-Quds-Auslandsbrigade, Qassem Soleimani. Im Juli zerstörte mitten in der schwer bewachten Atomanlage Natanz eine gewaltige Explosion das technische Herzstück des Nuklearprogramms. Erst Wochen später gab die iranische Führung zu, dass es sich um einen Sabotageakt gehandelt habe.
Auch in anderen Teilen der Islamischen Republik kam es während des Sommers zu rätselhaften Vorfällen. In Shiraz und Isfahan brannten nacheinander die Kraftwerke, in der Hafenstadt Mahschahr fing eine Chemiefabrik Feuer. Das Militärgelände von Parchim, wo ballistische Raketen hergestellt werden, geriet in Brand.
Es sind jedoch nicht nur die Atompläne des Mullah-Regimes, die Israel und die arabischen Nachbarländer in Wallung bringen. Es sind auch die schiitischen Milizen, die Teheran in Syrien, im Irak, im Libanon und im Jemen dirigieren. Und es sind GPS-gesteuerte Marschflugkörper und Drohnen – wie bei der Attacke im September 2019, als die saudi-arabische Ölraffinerie Abqaiq schwer beschädigt wurde. In Israel und in den Golfstaaten war man sich sicher: Nur der Iran verfügt über eine derart ausgeklügelte Technik.
Vor diesem Hintergrund spricht vieles dafür, dass Jerusalem den Iran mit der Ermordung des Nuklear-Spezialisten Fachrisadeh provozieren wollte. Schlägt Teheran in großem Stil zurück, würden Trump und Israel Vergeltung üben. Joe Biden wären danach die Hände gebunden. Er strebt einen Ausgleich mit dem Iran an, der die Anreicherung des Atombombenbaustoffs Uran nach dem US-Ausstieg erneut hochgefahren hatte. Sein Kalkül: Wenn Teheran unter die alten Obergrenzen zurückgeht, wären wieder Verhandlungen möglich. Allerdings käme dann auch dessen Rolle als Unruhefaktor in der Region auf den Tisch.
Netanjahu legt es hingegen auf eine Eskalation an. Wohl wissend, dass die Ultra-Konservativen im Mullah-Land auf Rache aus sind. Die Gemäßigten um Präsident Hassan Rohani wollen hingegen einen neuen Nuklear-Vertrag, der die Sanktionen beseitigt und Wohlstand ermöglicht. Ob sich die Revanchesüchtigen oder die Geduldigen durchsetzen, ist offen.