Er galt als Getränk einer spießigen Gesellschaft. Doch nun liebt ihn auch eine junge, flippige Klientel. Die Rede ist vom Apfelwein – dem Viez. Im Saargau hatte er allerdings immer schon Verehrer. Nun trinkt man ihn als Secco, Eisviez und Viezlikör.
Schon die römischen Legionäre mochten ihn. Sie nannten ihn Vieze, den Stellvertreter. Ein Ersatzwein, der gerne getrunken wurde, wenn einmal der vertraglich zugesicherte Wein ausging. Einen Liter Wein sollte jeder der Legionäre täglich erhalten, denn Wasser war oftmals verschmutzt und voller Keime und somit ein gesundheitliches Problem. Wein dagegen war bekömmlich, regte die Verdauung an und stärkte zudem die Kampfkraft.
Doch die Legionen täglich mit Wein zu versorgen war schier unmöglich. Also vergor man in den Gebieten nördlich der Alpen, in denen Apfelanbau ermöglicht wurde, reife Früchte und schuf Ersatz für die Mangelware Wein. Ursprünglich war dieser „Vice-Wein" aber kein Obstwein, sondern lediglich ein Aufguss aus den schon gekelterten Trauben, dem Treber. Wenn dieser mit Wasser übergossene Kelterrest nach Tagen einen weinähnlichen Geschmack angenommen hatte, war er das Tagesgetränk der Knechte und Leibeigenen.
Rund um Saar und Mosel, vor allem im Saargau, einem Höhenzug zwischen den Flüssen Saar und Mosel, werden seit mehr als 2.000 Jahren Streuobstwiesen kultiviert, allen voran die Obstsorten Birne und Apfel. Hier verdienen sich heute einige Obstbauern ein gutes Zubrot zum alltäglichen Job und erhalten die alten Apfelsorten und die Tradition des Kelterns von Äpfeln. Die Streuobstwiesen mit ihren besonderen Fruchtsorten sind über weite Strecken des Saargaus, bis hin nach Luxemburg, sichtbar. In fast jeder Ortschaft gibt es Apfelweinproduzenten und Brenner, die edle Destillate aus ihrem Obst herstellen.
Einer von ihnen ist Roland Lutz aus dem 400-Seelen-Dorf Fisch, zwischen den Orten Mannebach und Wincheringen gelegen. Lutz, im Hauptberuf Verwaltungsangestellter, pflegt die Tradition seiner Vorfahren und kultiviert die Obstwiesen und die Kunst der Mostzubereitung seit seiner Kindheit. „Ich bin mit der Arbeit auf dem elterlichen Hof schon früh in Kontakt gekommen. Einst waren wir Bauern mit typischem Mischbetrieb. Das heißt, es gab Getreideäcker, eine kleine Viehwirtschaft und den Obstbau. Mein Großvater brannte schon in den 1930er-Jahren Schnaps und verkaufte diesen in Saarburg. Während des Krieges war dies unmöglich, aber nach 1945 wurden Herstellung und Verkauf neu aufgelegt."
Roland Lutz brennt heute in der vierten Generation feinste Destillate aus Saargauer Obstbeständen und keltert aus seinen Apfelplantagen einen äußerst delikaten Apfelwein. Zudem hat er sich einige Besonderheiten ersonnen, die seinen Apfelwein, der im Saargau Viez genannt wird, veredeln. Lutz produziert eine moussierende Variante seines Viezes und macht einen Secco daraus. Für die Damenwelt, aber nicht nur für sie, stellt er jährlich einen Viez-Likör mit etwa 23 Volumenprozent Alkohol her. Ein Produkt, das die Stimmung auf vielen Festen hebt. Doch der Knaller in seiner Produktpalette ist sein Eisviez mit etwa zehn Volumenprozent Alkohol. Doch dazu später mehr.
Geschichtlich wurde Apfelwein erstmals um etwa 400 v. Chr. im heutigen türkischen Side erwähnt, ein Getränk, das damals Cidra genannt wurde. Davon abgeleitet ist die süß-säuerliche klare und spritzige Erfrischung heute unter den Synonymen Cidre (Frankreich), Cidra natural (Spanien), Cider (England, Irland, Schweden, USA), Siideri (Finnland) und in deutschsprachigen Apfelanbaugebieten Ebbelwoi oder Schtöffche (Hessen), Schobbe (Frankfurt), Viez (Mosel, Saar, Hunsrück, Eifel), und Most (Schweiz und Österreich) bekannt.
Für Mostfreund Lutz sind Jahre, in denen es wenige Äpfel gibt, eine persönliche Katastrophe. „2018 und 2019 waren sehr trockene Jahre, die Früchte waren klein, und die Bäume warfen schon früh einen Teil der Früchte ab, um den Rest erfolgreich reifen zu lassen", erzählt er. „Eigentlich will der Baum sich ja nur fortpflanzen. Deswegen entwickelt er ausschließlich Früchte. Wir Obstbauern, aber auch die Konsumenten, sind Nutznießer dieses biologischen Prozederes, des Fortpflanzungsdrangs des Baumes. Doch die Mengen waren immerhin noch ausreichend, um den Apfelweinliebhaber mit Viez zu versorgen."
2019 war aber auch kein gutes Jahr. Zwei Tage Frost (-2,1 Grad Celsius) zur Apfelblüte Anfang Mai ließen 50 Prozent und teilweise auch mehr der Blüten erfrieren. „2019 ist als ein sehr mageres Jahr in die Geschichte eingegangen", sagt Lutz. Das aber gehöre zur Landwirtschaft mit dazu, dafür gebe es dieses Jahr ein Fruchtjahr mit vielen Früchten.
Gepresster Saft in Edelstahltanks vergoren
Während Lutz in seiner Brennerei die Apfel-Maische einfüllt, um seinen Fischer-Apfelbrand zu destillieren, erzählt er von den gesundheitlichen Aspekten des maßvollen Viezkonsums. „Ein römischer Militärarzt bescheinigte bereits im 1. Jh. n. Chr. dem Viez heilende Wirkung. Seit jeher ist er ein altes Hausmittel gegen Erkältung. Viez regt Magen und Darm an, ist Appetitanreger und hilft bei Obstipation." Viez, vor allem der im Saargau beliebte Saargauer, (Särkower ist die moselfränkische Übersetzung) eine säurebetonte Variante an der deutsch-französischen Grenze, ist als wärmendes Getränk in der kalten Jahreszeit beliebt. „Apfelwein senkt den Blutdruck und verbessert die Gehirndurchblutung. Auch eine positive Wirkung auf die Blutfettwerte wird ihm nachgesagt", erklärt Lutz.
Normalerweise beginnt für den Apfelbauer die Erntesaison im ausgehenden Sommer, wenn die ersten Früchte ihre physiologische Reife erreicht haben. Je nach Wetter kann sich der Erntezeitraum bis in den späten Herbst hinziehen. Für die Versektung seines Apfelweines, technisch betrachtet ist er allerdings eine Aufspritzung des Produktes mit Kohlendioxyd, verwendet er den säurebetonten, trotz allem süßlichen Apfel der Sorte Rewena, der Ende Oktober reift und dann ein Mostgewicht von etwa 65 bis 70 Oechsle aufweist. Lutz verwendet für die unterschiedlichsten Produkte verschiedene Apfelvarianten. Auf seinen Wiesen stehen etwa Rauher Boskoop, Roter Trierer Weinapfel, Rheinischer Bohnapfel, der Winterrambur, Weißer Holzapfel, Erbachhofer Mostapfel, der Porzenapfel, Goldrenette von Blenheim oder Rewena, um nur einige zu nennen.
Zur Herstellung des Apfelmostes werden die Früchte gemust und gepresst und der aufgefangene süße Saft in Edelstahltanks – früher in Holzfässern – vergoren. Für die stabile Gärung seiner Moste setzt Lutz Reinzuchthefen ein, die ihm eine sichere Verarbeitung garantieren. Die Grundapfelweine vergären bei ihm je nach Menge in 1.000 bis 2.000 Liter großen Edelstahltanks. Für die Bereitung von Apfelwein verwendet er die oben genannten Sorten, da sie spät reifen und somit reichlich Säure und Fruchtzucker entwickeln konnten.
Erhalt der Streuobstwiesen und Artenvielfalt
Mit seinen Sorten trägt er auch zur Erhaltung der landschaftsprägenden Streuobstwiesen und der Artenvielfalt bei. Zahlreiche Insektenarten sind auf die pflegerische Unterstützung angewiesen, zumal die Saargauer Streuobstwiesen keiner oder zumindest nur geringer chemischer Belastung ausgesetzt sind.
Bekanntheit genießt Viezbauer Lutz über die Grenzen des Saargaus hinaus. Seine Besonderheit Eisviez wird auch anderswo geschätzt. „2003, nach dem Jahrhundertsommer, kam auch noch ein sehr kalter Spätherbst mit frühem Wintereinbruch. Mir kam die Idee, Äpfel über mehrere eiskalte Tage bei tiefen Minustemperaturen hängen zu lassen. So wie Winzer mit gefrorenen Trauben verfahren, wollte ich es mit Äpfeln versuchen und einen Eisviez keltern. An etlichen Bäumen der Sorte Rheinischer Bohnapfel hingen noch zentnerweise Früchte. Ein toller Viezapfel mit viel Zucker und einem tollen Geschmack", erinnert sich Lutz. „Nach drei bis vier Nächten waren die Äpfel durchgefroren, und da sie im Freien gelagert nicht gleich wieder auftauten, konnte ich sie nach und nach keltern. Kaum zu glauben, aber das Endergebnis war phänomenal. Ein süßer, säurebetonter Viez mit etwa zehn bis elf Volumenprozent Alkohol. Der Traum eines jeden Apfelliebhabers."
Dieses Produkt gibt es allerdings nicht jedes Jahr. Die Winter werden milder, nasser, und Lutz sichert seinen Obstbestand rechtzeitig. Faulen dürfen die Früchte in Jahren wie 2019, in denen es ohnehin nur wenige Früchte gibt, auf keinen Fall, denn ohne Ertrag wäre die gesamte Mühe eines Jahres ergebnislos.
Lutz hat allerdings noch einen kleinen Vorrat an Eisviez und hofft auf einen frostigen Winter 2020/21. Zudem sichert ihm auch die jahrzehntelange Erfahrung als Edelbrenner ein zusätzliches Einkommen, denn die Destillate aus dem Saargau sind gefragt. Alles, was die Region so bietet, findet sich in seinem Portfolio. Apfelbrände im Holzfass gereift; Zwetschgen, Mirabellen, Süß- und Sauerkirschen, Mispel-, Himbeer-, Schlehenbrand, Liköre aus Viez, Weinbergpfirsich und Wildfrucht erfreuen den Liebhaber hochgeistiger Lebenswasser, die Lutz zu moderaten Preisen anbietet. Proben und Verkauf sind nach Anfragen und Absprachen zu üblichen Zeiten möglich. Familie Lutz gestaltet auch verschiedene Präsentkörbe mit regionalen Produkten. Verkauf ist auch über ihre Internetpräsenz möglich.