Bei der E-Mobilität hinkt Deutschland hinterher, beim autonomen Fahren will man zum Innovationsstandort Nummer eins werden. Trotzdem sehen die Autohersteller das Robo-Auto skeptisch.
Eine Limousine fährt vor, der Fahrer steigt aus und tippt ein paarmal aufs Smartphone. Dann passiert etwas, das man gemeinhin mit der berühmten Geisterhand umschreibt: Das Auto setzt sich fahrerlos wieder in Bewegung und verschwindet im Parkhaus. Das hochkomplexe System, das das Valet Parking automatisiert, wird erstmals in der neuen Mercedes S-Klasse verfügbar sein, die der Stuttgarter Hersteller im Herbst vorgestellt und dabei in einem mit Kameras und W-Lan ausgerüsteten Parkhaus am Flughafen Stuttgart auch vorgeführt hat, dass der „Intelligent Park Pilot" funktioniert. Dennoch handelt sich um eine „schlafende Funktion".
„Aktuell kann der Kunde das System noch nicht nutzen", sagt Bernhard Wardin, Pressesprecher für autonomes Fahren bei Mercedes. Es entspricht dem vierten einer in fünf Levels definierten Klassifizierung der amerikanischen Normierungsorganisation Society of Automotive Engineers (siehe Infokasten) zum autonomen Fahren. Den Stufen drei bis fünf fehlt noch eine geltende Rechtsgrundlage.
„Gegenwärtig befinden wir uns noch auf Stufe zwei", sagt Yasmin Domé, Rechtsexpertin beim Auto Club Europa (ACE). Die weltweit liberalste Gesetzgebung finde sich derzeit im US-Bundesstaat Arizona, wo Google-Tochter Waymo seit Kurzem in einem Testareal in Phoenix Passagiere mit Robotertaxis befördert. Doch Deutschland will sich nach dem Fehlstart bei der E-Mobilität nicht noch einmal vorführen lassen.
Ab Ende Januar Stufe drei möglich
„Deutschland wird Weltspitze beim autonomen Fahren. Dafür machen wir Tempo", sagt Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer. In Planung ist ein neues Gesetz zum autonomen Fahren, das Mitte 2021 beschlossen werden soll. „Damit würde Deutschland der erste Staat weltweit, der Fahrzeuge ohne Fahrer aus der Forschung in den Alltag holt", heißt es in einem Papier des Bundesverkehrsministeriums (BMVI). Schon 2022 sollen Fahrzeuge mit autonomen Fahrfunktionen in den Regelbetrieb gehen – etwa als fahrerloses On-Demand-Shuttle oder People-Mover für die letzte Meile. Einen Vorgeschmack gibt eine Flotte umgerüsteter Ford Fusions, die der israelische Spezialist für Roboterautos und Intel-Ableger Mobiley mit Sondergenehmigung in München testet.
Bereits Anfang dieses Jahres dürften Level-3-Systeme scharf gestellt werden, die es dem Fahrer erstmals erlauben, sich während der Fahrt einer Nebentätigkeit zu widmen – Zeitung lesen, E-Mails checken. Laut Mercedes soll die sogenannte UN-R157-Regelung zu Automated Lane Keeping Systems (ALKS) voraussichtlich am 22. Januar in Kraft treten. Sie beschreibt den zur Zulassung erforderlichen Mindestumfang funktionaler Anforderungen an ein hochautomatisiertes System, während dessen Betrieb der Fahrer die Fahraufgabe nicht mehr ständig überwachen muss.
„Drive Pilot" oder „AI Staupilot" nennen Mercedes und Audi ihre Entwicklungen, die das Auto auf Straßen mit baulich getrennten Spuren hochautomatisiert bis Tempo 60 fahren lassen. Nach BMVI-Angaben tritt die erforderliche technische Vorschrift, von der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa erarbeitet, Anfang dieses Jahres in Kraft. Zwar können diese Automated Lane Keeping-Systeme (ALKS) dann genutzt werden – jedoch nur bis zu 60 km/h. Die Industrie drängt auf eine Genehmigung für 130 km/h. Mercedes will den Drive Pilot im zweiten Halbjahr in seiner neuen S-Klasse auf den Markt bringen.
Beim vollautonomen Fahren drücken die Autohersteller jedoch eher auf die Bremse. Zumal die genannte Regelung nicht die verkehrsrechtlichen Fragestellungen im Zusammenhang mit hochautomatisiertem Fahren klärt. „Level fünf halten wir für ein sehr ambitioniertes Ziel. Per Definition würde das eine Integration aller denkbaren Szenarien – alle Straßentypen und Umfeldbedingungen, international über alle Ländergrenzen hinweg, ohne jeglichen Eingriff des Fahrers – bedeuten", sagt Audi-Technologie-Sprecher Udo Rügheimer. Und Mercedes-Sprecher Wardin meint: „Bei der Stufe fünf kann man schnell philosophieren, ob diese überhaupt erreicht werden kann." Auch Jürgen Pieper, Autoanalyst vom Bankhaus Metzler, beobachtet zunehmende Entwicklungsschwierigkeiten. „Wir hatten ja Thesen, die sagten, dass wir 2025 die absolut autonomen Autos auf der Straße haben, das glaubt heute niemand mehr."
Ungelöste Rechtsfragen
Dass sich BMW und Daimler aus der Sharing-Sparte zurückziehen und offenbar den Verkauf der gemeinsam betriebenen Mobilitätstochter FreeNow an den US-Fahrdienstvermittler Uber anstreben, wertet der Automobilexperte Stefan Bratzel, Professor für Automobilwirtschaft an der Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach, als „ganz aktuelle Trendwende". Denn vor allem im Bereich der Shared Mobility sieht Bratzel lohnende Geschäftsmodelle. Während Level-fünf-Fahrzeuge für Privatmenschen („Ownership") viel zu teuer sein dürften, könnte gerade der Aufbau in intelligent vernetzte Flotten lohnen. Verzahnt mit Bus und Bahn könnten automatisierte Shuttles den ÖPNV optimieren und die Zahl der privat zugelassenen Autos in Städten senken, Transportkosten würden sinken. Professor Bratzel geht davon aus, dass Robotaxis als kommerzielle Dienstleistung Ende der 2020er-Jahre verfügbar sind, stellt aber auch die Frage: „Aber wollen die Kunden das?"
Laut Analyst Pieper bedeute Level fünf für Autofahrer, die Kontrolle an die Technik abzugeben und damit auf jegliche Eingriffsmöglichkeiten zu verzichten: „Das Gefühl, das Schicksal selbst in der Hand zu halten, ist weg." Auch Haftungsfragen sind offen. „Gegenwärtig haftet der Fahrzeugführer neben dem Halter und dem Kfz-Haftpflichtversicherer stets für Schäden Dritter, wenn dieser oder der Halter für den Schaden zu verantworten ist", sagt ACE-Rechtsexpertin Domé. Doch was, wenn es keinen Fahrer mehr gibt oder der auf der Autobahn Zeitung liest? „Wann eine Freistellung der Haftung erfolgen soll, ist rechtlich noch nicht geklärt."
Und ein ethisches Dilemma bedeutet die Technik: Was passiert, wenn Autos im Robo-Modus bei unausweichlichen Unfällen zwischen Leben abwägen müssen? Eine von der Bundesregierung eingesetzte Ethikkommission kam zu dem Schluss, dass solch dilemmatischen Entscheidungen nicht „ethisch zweifelsfrei programmierbar" seien, weil sie von „unberechenbaren" Verhaltensweisen Betroffener abhängig seien. Die Systeme müssten so ausgelegt sein, dass kritische Situationen gar nicht erst entstünden. Um Totalausfälle der Systeme unwahrscheinlich zu machen, legen die Hersteller diese schon länger technisch redundant aus – nicht nur Kameras passen auf, sondern auch Radar und zahlreiche Sensoren von Ultraschall bis Lidar; hinzu kommt die Vernetzung über W-Lan oder 5G.
Unfallzahlen könnten sinken
Automobilexperte Bratzel sagt: „Das ethische Grundproblem wird bleiben", in der Praxis sei es aber nur in Extremsituationen zu erwarten. Man müsse aufpassen, „die gesellschaftlichen Vorteile" nicht zu zerreden. Denn die Kontrolle an den Computer abzugeben ist angesichts menschlicher Fehlbarkeit auch mit der Aussicht verknüpft, die Unfallzahlen in Zukunft drastisch zu senken – ein Anliegen, für das die Branche den Begriff „Vision Zero" verwendet.
„Neun von zehn Unfällen passieren, weil Menschen Fehler machen. Meist, weil sie abgelenkt sind. Selbstfahrende Autos werden dagegen von einem Computer gesteuert. Der lässt sich nicht ablenken oder wird müde", sagt Bundesminister Scheuer. Ihm zufolge steht ein großer Wandel bevor.