Sachin Obaid und Suleman Thaker starteten kürzlich mit ihrem professionellen Koch- und Lieferservice „Tiffin" in Berlin. Jetzt gibt’s Comfort Food „wie bei Muttern" an den Wochenenden nach Hause gebracht.
Was würde sich besser zur Anlieferung eignen als indisches Essen? Schließlich wurde vor langer Zeit in indischen Großstädten der Kreislauf von „Tiffin Boxes" und „Dabbawala"-Lieferanten etabliert. Tag für Tag fahren die Kuriere Mahlzeiten in Henkelmännern zu Büros aus. Gekocht wird in Großküchen, Restaurants oder am heimischen Herd. Nach diesem System ist der neue „Tiffin"-Lieferdienst für „Indian Soulfood" in Berlin benannt. Die an den Wochenenden gelieferten Gerichte werden zwar nicht in Alu-Stapelboxen gefüllt. Aber was sich in den Pappschachteln und -bechern verbirgt, ist nicht weniger schmackhaft. Es hat viel mit indischem Essen „wie bei Muttern" und so gar nichts mit dem häufig eingedeutschten Einheitsgeschmack zu tun.
Wir packen „My Mom’s Keema", Lamb Shank Pulao, Dal, Raita und Achaar – Mixed Pickles – aus den Papiertüten. „Das ist die gute Hausmannskost", sagt die Begleiterin, die selbst mit einer indischen Mutter und deren Kochkünsten gesegnet ist. „Es schmeckt wie daheim, und auch die Auswahl ist so: Es gibt, was es gibt." „Tiffin" kocht ausschließlich auf Vorbestellung fünf Hauptgerichte wie das Keema, also Hackfleisch mit Erbsen, oder den Reis-Pulao mit Lammkeule. Eine Chana Masala aus Kichererbsen oder Aloo Gobi, geschmorten Blumenkohl mit Kartoffeln. Wir bekommen noch ein Ghar Ki Dal, Joghurt-Minz-Dip, Pickles und Brot als Side Dishes zu Keema und Lammkeule. Schon ist alles schön. Bei „Tiffin" stehen keine Hausfrau oder deren Bedienstete an den Töpfen. Aber professionelle Köche. Das sechsköpfige Team bereitet unter Chef Suleman Thaker in der Küche des befreundeten Restaurants „Moksa" frisch zu, was über die englischsprachige „Tiffin"-Website fürs kommende Wochenende ab montags bestellbar ist.
Authentisches Essen ohne Einheitsgeschmack
Die Partner Sachin Obaid und Suleman Thaker setzten in diesem Winter ihre schon länger existierende Idee innerhalb von vier Wochen um. Heimweh nach den Geschmäckern „wie zu Hause" spielte keine unwesentliche Rolle dabei. Vor nicht einmal zwei Monaten lieferte „Tiffin" das erste Mal aus. Aus den zuerst angepeilten maximal 50 Bestellungen pro Tag wurden inzwischen beinah 100. „Diese Art von Essen gab es vorher nicht in Berlin", sagt Sachin Obaid. Das stimmt: Das Essen ist „basic", frisch gekocht und gewürzt, produktfokussiert. Die einzelnen Gerichte sind prima kombinierbar. So kann gut geteilt und von allem probiert werden.
Das erweist sich beim Keema nach der Art von Suleman Thakers pakistanischer Mutter als praktisch: Das Hack vom Schaf mit Erbsen ist ganz schön scharf. Ihm tut der dämpfende Reis vom Lamm-Gericht sowie der eine oder andere Klacks Raita aus Joghurt, Minze, Cumin und Koriander gut. Ist die erste Schärfe-Attacke vom „Green Bird’s Eye"-Chili überstanden, melden sich Zimt, Kurkuma, Koriander, Kardamom, Cumin und Nelken zu Wort. „The heat is not burning from inside", sagt Sachin Obaid, als ich ihm von unseren Erfahrungen berichte. Das Keema heizt von innen auf, verbrennt uns aber nicht. Klein schlechtes Feature in Zeiten, in denen ständiges Lüften angesagt ist!
Der Reis vom Lamm hilft beim Neutralisieren. Wider den Eindruck an beeindruckender Menge von grünen Chili-Ringeln obenauf ist er mild. Er birgt sein Geheimnis in Gestalt einer gar nicht mal so kleinen Lammkeule, die beim Transport dadurch gegen Auskühlen gesichert ist. Er ist außerdem in Lammfleisch-Brühe gekocht, mit Kartoffeln vermischt sowie mit Kardamom, Lorbeer und Zimt gewürzt. Das ist ausdrucksstark, aber dennoch dezent genug, um dem butterweich geschmorten Fleisch den Vortritt zu lassen. „Das ist ein indischer Sonntagsbraten", sagt die Freundin. Die Kunst ist es, die unterschiedlichen Garpunkte zu treffen, sodass alles im richtigen Moment fertig ist: Die Lammkeule möchte mehrere Stunden geschmort werden, der Reis braucht 20 Minuten. Die Freundin ist über die Kartoffeln im Reis erstaunt: „Vielleicht kommt das aus Hyderabad? Es gibt Regionen in Indien, die besondere Ideen mit Reis haben."
Reisbrei als Dessert wird mit Safran abgeschmeckt
„Wir achten sehr darauf, dass unsere Gerichte zueinander passen", erklärt „Tiffin"-Mitinhaber Sachin Obaid. Jede Woche gehen ein, zwei Gerichte von der Karte weg, kommen andere neu hinzu. Manchmal steht ein Malabar Chicken Curry im südindischen Kerala-Style auf der Karte, ein anderes Mal ein nordindisches Palak Paneer mit Spinat und Rahmkäse. Sehr schön ist auch das Wein-Pairing. Wir sind angetan vom weißen Why Not Red Misket von Georgiev and Milkov aus dem bulgarischen Tracian Valley. Säure im Hintergrund und eine frische Blütigkeit sowie Noten von Grapefruit und Zitrusfrüchten machen ihn zu einem idealen Partner im Glas. Der Naturwein bringt Standfestigkeit und Widerspruchsgeist von Hause aus mit. Das passt sehr gut zur Gewürzdominanz der indischen Küche.
Suleman Thaker, Mitinhaber und mit Background aus der thailändischen Küche im „Khwan" und aus der Hotellerie, sei derjenige, der die Weinauswahl treffe, sagt Obaid. Er selbst ist in der internationalen Craft-Beer-Szene verankert. So stehen neben einem Brło Happy Pils etwa ein Motel Shady Pines IPA oder ein Fuerst Wiacek Smooth Mover IPA auf der „Tiffin"-Karte.
Wir tasten uns von unsichtbarer über mild grün geringelter zu aufmerksamkeitsfordernder roter Schärfe vor. Auf dem Dal lagert eine Chili-Kapsel. Der beinah pastige Eintopf aus gelben Mung-Linsen, Garam Masala, Koriander, Curryblättern, Knoblauch und Zwiebeln ist würzig, aber mild. Das Feuer gibt’s obenauf zum Hinzumischen. Die unempfindliche Freundin sticht die rundliche Chili-Beere sicherheitshalber lieber etwas abseits auf dem Teller an. „Zu viele von den kleinen, bösen Kernen", bricht sie den Selbstversuch ab. Wir reißen lieber noch etwas vom Naan ab und wischen den letzten Rest Dal vom Teller.
Alternativ zu dem im Tandoor-Ofen gebackenen Naan-Brot haben wir Chapatis bestellt. Das „Alltagsbrot des Nordens" hat einen Vollkornmehlanteil, ist ungesäuert und verlangt eine gewisse Kunstfähigkeit beim Backen auf der Eisenplatte oder in der Pfanne. „Die indische Hausfrau schaut schon kritisch hin, ob die Schwiegertochter gute Chapatis macht. Wenn nicht, dann wird nachgearbeitet", weiß die Freundin. Sicherlich ist das ein Grund dafür, dass Chapatis in Berliner Restaurants eher selten zu finden sind. Ebenso rar ist ein Kheer als Dessert. Der cremige Reisbrei ist mit Safran abgeschmeckt und von einem feinen Mandel- und Pistazien-Mix getoppt. Nicht süß, aber keinesfalls unsüß macht er zum sanften Hinausgleiten aus unserem Dinner Freude.
Im „Moksa", in dem die „Tiffin"-Küche ihr temporäres Quartier gefunden hat, ist der Tandoor-Ofen für Inhaber Zed Marke eines der wichtigsten Utensilien. In ihm werden Spieße aller Arten gegrillt und Brote gebacken. Zed Marke schlug mit seinem originell weiterentwickelten indischen Streetfood und mit seiner großen Gewürzpassion einen ganz eigenen – ud vollkommen anderen – Weg ein als sein Freund Suleman Thaker. Marke gibt nun, während des Lockdowns, räumliche Starthilfe fürs „Tiffin". Außerdem können im Kreuzberger „Moksa" abends auch die „Tiffin"-Essenstüten vor Ort abgeholt werden. Tagsüber, wenn vorbereitet, gekocht und die Lieferungen geplant werden, ist der obere Gastraum ebenfalls gut mit Schachteln, Bechern, Deckeln und Tüten belegt. Auf dem Tresen werden Listen ausgefüllt, nach denen die „Tiffin"-eigenen Fahrer auf ihren abendlichen Routen von Prenzlauer Berg bis Neukölln, von Moabit bis Alt-Treptow unterwegs sind.
Die Ideen stammen aus allerlei Familienrezepten
Sachin Obaid und Suleman Thaker haben mit ihrem „Nicht-Restaurant" das Prinzip der „Ghost Kitchen" im Kleinformat und sehr persönlich interpretiert. Foodblogger und Journalisten wurden via Instagram angesprochen. Mit Erfolg. Die Riege ernst zu nehmender Foodies ist voll des Lobes. „26 Prozent unserer Gäste bestellen gleich am Montag wieder", weiß Obaid. Diese hohe Wiederbesteller-Quote zeigt nicht nur, dass Obaid seine Zahlen im Blick hat, sondern ebenfalls, dass die Berliner offenbar auf genau diese Art von Comfort Food gewartet haben. Die Gerichte kosten zwischen acht und 13,50 Euro, die Side Dishes wie Reis, Brote, Raita oder Achaar 2,50 bis vier Euro. Die Lieferung ist extra ausgewiesen und schlägt mit drei Euro je Bestellung zu Buche.
Suleman Thaker fragte Mutter, Tanten und Cousinen nach den – meist mündlich überlieferten – Familienrezepten. An die nun unter Gastronomie-Bedingungen funktionierenden Anleitungen kochten und probierten sich die beiden Macher gemeinsam heran. Eigennutz sei bei der Gründung von „Tiffin" allemal dabei gewesen, sagt Sachin Obaid lachend: „Ich kann mir jetzt ‚homemade food‘ nach Hause bestellen, wenn ich selbst keine Lust habe, zu kochen." Wie praktisch, dass das nun auch für uns gilt!