Das Cassoulet ist ein Klassiker der südfranzösischen Küche. Seine Ursprünge gehen bis ins 14. Jahrhundert zurück, wenngleich mehrere Orte die Urheberschaft für sich beanspruchen.
Die Vorstellung, an einem eiskalten Winterabend am knisternden Feuer zu sitzen, wärmt das Gemüt. Dabei den aufsteigenden Duft eines deftigen Bohneneintopfs einzuatmen, der in einer irdenen Keramikform auf der Glut vor sich hin schmort, macht das gute Bauchgefühl perfekt. Sich dann noch mit einer Zeitmaschine bis ins Mittelalter nach Okzitanien zu beamen und der Geschichte über das Cassoulet zu lauschen, kommt einer abenteuerlichen Genussreise gleich.
Der sämige Schmortopf aus weißen Bohnen, Speck, gepökeltem Schweinefleisch und würzigen Würstchen aus Haus- und Landschlachtungen ist ein wahrer Kraftspender für Freunde der bodenständigen Küche. Das Garverfahren ist lange und aufwendig, aber mit einer guten Prise Geheimtipps auch zu Hause zu realisieren. Umso emotionaler kocht man es nach, wenn man die Kochmythen kennt, die sich um das Kultgericht aus dem Südwesten Frankreichs ranken. Auf einem Ausfahrt-Schild der Nationalstraße zwischen Toulouse und Carcassonne in der ehemaligen Region Languedoc-Roussillon im Département Aude macht ein grafisch stilisierter Eintopf bereits Appetit auf das Gericht. Das passt gut ins Bild der von Landwirtschaft und Weinbau geprägten, karstigen Region entlang des Flusses Aude. Die Burgen der blutrünstig verfolgten Katharer wie die „Zitadellen des Schwindels" Quéribus oder die Burg Peyrepertuse sprechen von einer rauen Zeit. Letztere thront wie ein riesiges gestrandetes Steinschiff auf dem Hochplateau im Landkreis Lauragais. Auf einem Hügel liegt sein Hauptstädtchen Castelnaudary – die Geburtsstadt des Cassoulet.
Kulinarisches Aushängeschild Okzitaniens
Fest steht: Viele mystische Ingredienzen brodeln mit im Topf. Ikonografische Analysen aus Kochbüchern, medizinische und archäologische Schriften sowie Lokalgeschichten, die bis ins Mittelalter zurückgehen, überliefern unterschiedliche Mythen über die „cassouletische" Geburtsstunde. Die soll bereits um 1337 gewesen sein, ursprünglich ein aus der Not geborener Eintopf der armen Leute. Die Einwohner von Lauragais schmissen im Hundertjährigen Krieg zur Stärkung der Soldaten alles Essbare in einen Topf. Die englischen Belagerer wurden daraufhin erfolgreich verdrängt. Küchen-Historiker, die noch tiefgründiger in der Geschichte des Schmorgerichts rührten, vermuten noch eine andere Herkunft. Der große Küchenmeister Guillaume Tirel alias „Taillevent" soll im 14. Jahrhundert fast 60 Jahre lang gleich mehrere Könige im Pariser Raum bekocht haben. Inspiriert von einem arabischen Rezept von Mohamed von Bagdad aus dem Jahre 1226, soll er einen raffinierten Eintopf mit Schafsfleisch, Gewürzen, Kräutern und Hülsenfrüchten entwickelt haben.
Bis zum 17. Jahrhundert verfeinerte sich die französische Kulinarik auf Basis vieler volksnaher Gerichte. So wurde das Cassoulet Hunderte Jahre später am Königshof zwar als Ragoût kategorisiert und am Hofe des Sonnenkönigs Ludwig XIV. elegant als „Estouffet" oder auch „Estofat aux féves" gekocht. Sein ursprünglicher, in der Feuerglut des Mittelalters entstandener Name, den er einer hitzebeständigen Keramikform namens „Cassole" verdankt, setzte sich schlussendlich bis heute durch. Die aus der Erde der Region gebrannten Gefäße wurden später auch durch gusseiserne Schmortöpfe ergänzt.
Bis heute ist Cassoulet das kulinarische Aushängeschild Okzitaniens. 1836 wurde in Castelnaudary sogar eine „Bouissou" – eine ortseigene Cassoulet-Fabrik – eröffnet. In den 70er-Jahren wurde im gleichen Ort zu Ehren des Gerichts eine Bruderschaft gegründet, die das geschichtliche Erbe und das Ur-Rezept verwaltet. Im Sommer, zum großen Festzug, paradieren die „Grands Maîtres d’honneur", die Großmeister, mit Kanzlern, Kammermännern und ritterlichem Gefolge zur Cassoulet-Hymne durchs Dorf. In orange-gelben Samtroben folgen sie dem Banner mit Stadtwappen und Foto bis ins örtliche Theater – auf beidem dampft das Nationalgericht.
Toulouse-Lautrec schrieb auch ein Kochbuch
In den angrenzenden Regionen rund um Castelnaudary, das sich okzitanisch-verschnörkelt auch Castèlnau d’ Ari ausspricht, wird auch gerne Lammfleisch oder Ente hinzugefügt. Auch Carcassonne beansprucht das Ur-Rezept. Hier kommen Hammelkeule und Feldhuhn in den Topf. In Toulouse gibt man regionale Landwurst, eingemachtes Gänsefleisch (Rillette), Kräuter und mediterrane Gewürze wie Thymian mit viel Knoblauch und Schalotten hinein – ebenso wie eine Option auf Urheberschaft. Im nahe gelegenen Département Tarn kochte ein prominenter Zeitgenosse ganz nach seiner Façon. Henri de Toulouse-Lautrec, der als Zögling einer bekannten Adelsfamilie im hochherrschaftlichen Albi geboren wurde, war nicht nur als Jahrhundertmaler, sondern auch als kochender Gastgeber bekannt. In seinem Kochbuch „Cuisine – Die Kunst des Kochens" findet sich seine „ausgemalte" Rezeptur mit süßlichen Riesenbohnen aus Soisson, Kalbshaxe, Hammel, Bratwurstfüllsel, gestopftem Gänsehals nebst getrüffeltem Schweinefuß. Akzentuiert wird mit Lorbeer und Petersilie. Das hat schon etwas von einem doch eher exzentrisch interpretierten Hexenkessel-Rezept – signiert von Lautrec.
Eine Fischvariante interpretiert heute das gleichnamige Restaurant „Le Lautrec" in Albi. So findet sich neben der klassischen „Comme Autrefois"-Variante mit „Pois carré de Cocagne" – einer quadratisch anmutenden Erbse („Spanische Linse") auch das „Cassoulet de l’Archevêque à la Morue". Der ortstypische rosa Lautrec-Knoblauch und Safran sind der Signature-Moment der Fischversion. Diese erzbischöfliche Variante mit Kabeljau entstammt einer Vorgeschichte aus dem Mittelalter. Denn die Kirche verbot freitags und vor den Feiertagen den Fleischverzehr. Stattdessen gab es getrockneten oder gepökelten Fisch, andernorts verfeinern Meeresfrüchte wie Hummer oder Muscheln das Essen. Wer es lieber vegetarisch mag, ersetzt das Fleisch einfach mit einem Mehr an Gemüse oder Fleischersatz wie gewürztem Tofu oder Seitan.
Kruste wird abgeschöpft und untergerührt
Eines ist den Gerichten aber gemein: die weißen, dicken Bohnen. Die waren bereits im alten Rom Leib- und Kraftgericht der Soldaten und zählten weltweit zu den unentbehrlichen Nahrungsmitteln der ärmeren Bevölkerung, denn die legendären Hülsenfrüchte sind reich an nährreichen Inhaltsstoffen wie Vitamin-C, viel Eiweiß und Stärke. Die Phaseolus, auch Acker- oder Saubohne genannt, wird nicht im Ganzen verzehrt. Die flachen, zartschaligen Samen, die man aus ihrer haarigen Schale pult, sollten gegessen werden, wenn sie noch klein und knackig sind. Columbus brachte 1530 die „haricot lingot" nach Frankreich. Beliebt sind die länglichen Bohnen aus Tarbes, die aufgrund einer besonders dünnen Haut die Gewürze leicht aufnehmen. Caterina de’ Medici forcierte das Anpflanzen der Bohnen in der Region. Die knackigen Weißen erobern damit endgültig den Sud-Ouest de la France. Im sonnenbeschienenen, kalk- und nährstoffreichen Erdreich finden sie bei moderater Wasserzufuhr optimale Bedingungen. So entscheidet jeder Koch individuell, wie er sein persönliches Cassoulet als „Ode an die Schönheit des Einfachen" interpretiert.
Am Ende ist das Geheimnis der Rezeptur so einfach wie die Wärme, die sich beim Genuss des Gerichtes im Bauch verbreitet: Bohnen und Fleisch werden langsam auf dem Herd gekocht und dann bei niedriger Temperatur über fünf Stunden im Backofen gegart. Das Wichtigste: Die beim Backen entstehende Kruste wird mehrfach abgeschöpft und untergerührt. Traditionsgemäß muss das echte Cassoulet sieben Krusten haben. Letztere entsteht aus Semmelbröseln und thront wie knuspriges Blattgold obenauf. Die Bohnen werden vor ihrem virtuosen Auftritt über Nacht eingeweicht. Möhren, Sellerie und Tomaten verbessern die Konsistenz, und Weißwein setzt einen letzten geschmacklichen Akzent. Das Cassoulet wird kochend heiß in seiner „Cassole" serviert, ohne es umzurühren. Es begleiten ein grüner Salat, ein knuspriges Brot und ein Glas vom guten Wein. Das durch Zentralmassiv, Pyrenäen und vom Mittelmeer umrahmte Languedoc-Roussillon ist Frankreichs älteste Weinregion und für seine hervorragenden AOC-Weine bekannt. Die lokalen Minervois-, Corbières-, Faugères- oder Fitou-Weine passen ebenso wie ein Côtes du Roussillon, ein Madiran Château Montus oder Gaillac de Tarn. Die Cassoulet-Bruderschaft rät: Nehmen Sie immer Nachschlag, denn dieses Gericht bringt sie – laut Originalübersetzung – ins Paradies der volksnahen Küche!