Verschwiegen, wildromantisch und gespenstisch: Eine Wanderung durch das Briesetal unweit von Berlin ist auch in dieser Jahreszeit pures Naturerlebnis.
Weil früher sowieso alles besser war, fragt man sich, ob es überhaupt noch richtige Winter gibt. Und man schimpft über Corona und das Wetter und meint entschieden, dass man bei Temperaturen um die null Grad und bei Frost und diesem Schneeregen noch nicht einmal einen Hund vor die Tür jagen würde. Also erst wieder raus, wenn es milder wird, die Sonne scheint, das Umland lieblich anzuschauen ist und diese ganze schiefergraue Stimmung irgendwie verschwindet. Das kann dauern. Alle „Tatort"-Wiederholungen in den dritten Programmen kennt man in- und auswendig, die Kinder quengeln, man geht sich langsam auf die Nerven. Lockdown und noch immer nicht das versprochene Licht am Ende des Tunnels. Wer dem Lagerkoller entgehen will, sollte umdenken. Auch in der Ausflugsfrage. Keine weiteren Ausreden mehr! Es gibt Gegenden, die nicht nur zwischen Mai und Oktober zu einer Wanderung locken, sondern auch ihren ganz besonderen Reiz entfalten, wenn die Farben blass, der Boden hart gefroren und der Himmel milchig-trüb bleibt. Und vielleicht die Sichtweise ändern: statt stimmiger Postkartenidylle das Zwielichtige, Gespenstische, Verschwiegene entdecken.
Das Briesetal in Brandenburg, das nur wenige Kilometer nordöstlich von der Berliner Stadtgrenze entfernt liegt, ist dafür genau zu dieser Jahreszeit das ideale Ziel. Auf den ersten Blick ist an diesem Schutzgebiet eigentlich nichts Besonderes. Durch eine ausgedehnte Waldlandschaft schlängelt sich die 17 Kilometer lange Briese, ein Flüsschen, das vom Wandlitzsee kommend bei Birkenwerder in die Havel mündet. Der Name leitet sich aus dem slawischen breza, was Birke bedeutet, ab und verweist auf jene, die lange vor den germanischen Stämmen hier ansässig waren. Ein typisches Merkmal der Landschaft: Die zahlreichen Erlen, die zu den Birkengewächsen gehören. Sumpfig und nass war es schon immer, früher wurden hier Torf gebrochen und drei Wassermühlen betrieben. Gutes Schuhwerk also statt Sandalen, nicht nur im Winter.
Typisches Merkmal sind die vielen Erlen
Aber wer nun ein Tal erwartet, wie er es aus den Mittelgebirgen oder den Voralpen kennt, sollte sich eher auf Mulden und bewaldete Anstiege, kaum höher als fünf bis zehn Meter, einstellen. Gespenstisch ist das alles nicht, zumindest nicht zu Beginn des knapp sechs Kilometer langen Rundwanderwegs, der bei Waldschule in Briese beginnt. Zunächst geht es über einen breiten, von hohen Buchen gesäumten Waldweg.
Doch nicht lange dauert es und die Szenerie verändert sich Schritt um Schritt. Plötzlich steht man mittendrin, schaut herab, staunt, wundert sich und sucht nach einer passenden Bezeichnung: Ist es ein Urwald, ein lichter Dschungel, eine Auenlandschaft? Es ist von allem etwas und alles zusammen wildromantisch. Mal schlängelt sich die Briese in einem engen Bett, mal weitet sie sich, staut sich auf wie ein kleiner See; der Schritt des Wanderers versinkt an den Ufern in feuchtem Laub und zähem Sumpf, und der Frost überzieht das Wasser vom Ufer aus mit einer bläulich-schwarzen Eisdecke bis hin zur Mitte des kleinen Flusses. Gespenstisch wirkt die ganze Szenerie immer dort, wo kahle Bäume inmitten des Wassers stehen, jeder für sich verloren, wie sich ihre nackten Äste dem Winterhimmel entgegenrecken; alle zusammen eine mystische Kulisse, ein verwunschener Ort. Und so sieht es aus, wohin man blickt.
In der Waldschule wird die Tier- und Pflanzenwelt erklärt
Wo der Wasserlauf sich staut, deutet alles auf den Biber hin, der einen imposanten Knüppeldamm quer über das Fließ gebaut hat. Das ist sein Revier und ebenso Heimat für vielfältige Fauna und Flora. Wer sich nicht auskennt, nutzt den Naturlehrpfad mit vielen Informationen, Rätseln und Naturspielen. „Bitte schauen Sie auf die Buche. Erkennen Sie den Buchengeist?", heißt es auf einem Schild am Rande des Weges. Da muss man schon länger und genauer hinschauen, um den Buchengeist zu entdecken, auch hier ist der Fantasievolle im Vorteil. Andere Zeichen sind einfacher zu deuten. An zahlreichen Stellen sind der Waldboden und das welke Laub gründlich durchwühlt – mit Wildschweinen ist also jederzeit zu rechnen. In den passenden Jahreszeiten sind hier Vögel wie Schwarzspecht und Eisvogel ebenso anzutreffen, wie Lurche, Enten und Moorfrösche. Aber nur in den Wochen, wo die Natur und alles Leben erstarrt zu sein scheint, verströmt das Briesetal jene merkwürdige Atmosphäre von Melancholie und Stillstand, die dem gehetzten Menschen helfen kann, seinen Blick auf das Wesentliche zu richten. Eine Wanderung durch das Briesetal ist ganz sicher kein Geheimtipp mehr. Doch wer in den dunklen Monaten das pure Naturerleben sucht und schon immer mal mit seinen Gedanken für sich alleine sein wollte, der ist hier zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Es geht auch in der Gruppe und man hat die Wahl. Entlang des Briesetals gibt es zwei Uferwege, kleinere Brücken und Wendepunkte, sodass je nach Lust, Kondition und auch dem Durchhaltevermögen der Kinder die Wanderstrecke verlängert oder abgekürzt werden kann. Gerade für Familien und Kinder ist das Briesetal ein lohnendes Ausflugsziel. Längs der Waldwege können aus herumliegenden Ästen Unterstände und Verstecke gebaut und mit ein bisschen Fantasie Waldläufern und Wilderern nachempfunden werden. Pädagogisch ambitionierte Eltern werden mit Sicherheit einen Besuch der Waldschule eingeplant haben, die den Jüngsten die heimische Tier- und Pflanzenwelt näherbringt.
Auch ein kurzer Ausflug lohnt: Bohlenwege und Plattformen geben an manchen Stellen aufs Bequemste beeindruckende Aussichten frei, unweit der Hubertusbrücke laden Tische und Bänke zu einer Verschnaufpause ein. Dann kann man immerhin behaupten, zumindest einmal da gewesen zu sein.
Wer länger durch das Briesetal gewandert ist, dem ist am Ende des Tages die Frage gleichgültig, ob es noch echte Winter gibt oder ob das Wetter gerade heute trüb und mies war. Er weiß, dass es verwunschene Landschaften gibt – nur einen Steinwurf entfernt von Berlin. Und das reicht ihm.