Die siebentägige UAE Tour in den Vereinigten Arabischen Emiraten ist der Startschuss der World Tour im Radsport. Das Starterfeld ist exzellent besetzt, auch der deutsche Hoffnungsträger Emanuel Buchmann ist hochmotiviert mit dabei.
Als Emanuel Buchmann auf den Champs-Élysées in Paris mit gesenktem Haupt die Ziellinie überquerte, gezeichnet von den Strapazen, den vielen Enttäuschungen und einem schier unglaublichen Gesamt-Rückstand von zwei Stunden und 22 Minuten, da gab es für ihn nur einen Gedanken: „Im nächsten Jahr greife ich wieder an." Doch sechs Wochen später kam der nächste Nackenschlag. Nachdem die Veranstalter der Tour de France das Streckenprofil für die 108. Auflage präsentierten, wusste Buchmann genau, dass sich seine Hoffnung auf eine glorreiche Rückkehr mit einem Sprung aufs Podest – vielleicht ja sogar ins Gelbe Trikot – nicht erfüllen wird. „Nach der Tour im letzten Jahr war es schon so geplant, dass ich dieses Jahr die Tour angreife", sagte der Tour-Vierte von 2019. Doch für einen Kletterkünstler wie ihn ist die kommende Ausgabe der Großen Schleife mit zwei Einzelzeitfahren und lediglich zwei Tagesabschnitten in den Alpen fast wie Gift. Nach Rücksprache mit der Teamleitung von Bora-Hansgrohe entschied sich Buchmann schweren Herzens für einen Verzicht. Stattdessen greift er beim Giro d’Italia (8. bis 30. Mai) nach den Sternen. „Das Team und ich haben entschieden, dass die Chance beim Giro größer ist, dass ich aufs Podium und vorne reinfahre", begründete der 28-Jährige. „Ich war noch nie bei einer Grand Tour auf dem Podium, das ist dann erst mal das Ziel."
Seit seinem Tour-Debakel hat der gebürtige Ravensburger kein Rennen mehr bestritten. Er legte bewusst eine lange Pause ein, um sich körperlich und mental zu erholen. Sein heftiger Sturz bei der Dauphine, der ihm alle Siegchancen bei der späteren Tour geraubt hatte, wirkte lange nach. Genau wie die fast täglichen Rückschläge in den Rennen in Frankreich. Zurückblicken will Buchmann aber nicht mehr, ihm gehe es inzwischen „ganz gut", sagt er, „die Verletzungen sind auskuriert".
„Die Chance beim Giro ist größer"
Wie gut seine Frühform ist, wird die UAE Tour zeigen. In den Emiraten werden Buchmann und weitere Top-Fahrer wie Tour-Gewinner Tadej Pogacar, der Schweizer Marc Hirschi (beide UAE Team Emirates), der Brite Chris Froome (Start-Up Nation Israel), Adam Yates oder Zeitfahr-Weltmeister Filippo Ganna (beide Ineos Grenadiers) an den Start gehen. Nach der Absage der Tour Down Under ist die UAE Tour der Auftakt der diesjährigen World Tour im Radrennsport. Der Startschuss der dritten Ausgabe erfolgt am 21. Februar in Al Ruwais, beendet wird die Rundfahrt am 27. Februar in der Hauptstadt Abu Dhabi.
Das Teilnehmerfeld ist auf der arabischen Halbinsel auch deshalb so prominent besetzt, weil zahlreiche Rennen weltweit, vor allem aber in Europa, dem Coronavirus zum Opfer gefallen sind. Buchmann zum Beispiel wollte eigentlich bereits bei der für Ende Januar geplanten Mallorca-Challenge einsteigen –
doch daraus wurde nichts. Die stark gestiegenen Corona-Fallzahlen wirbeln den Wettkampfkalender im Radsport erneut kräftig durcheinander, nachdem die Pandemie bereits im Vorjahr für eine knapp halbjährige Zwangspause gesorgt hatte. Schon jetzt ist klar, dass auch der Rennkalender 2021 nur mit einem stark abgespeckten Wettkampfprogramm und unter strengsten Hygieneauflagen abgehalten werden kann.
Die UAE Tour soll aber unbedingt stattfinden, auch wenn jeder positive Corona-Test im Peleton oder im direkten Umfeld der Fahrer das Kartenhaus zum Einsturz bringen kann. Das bewies schon das Vorjahr, als vor dem Schlusstag der UAE Tour mehrere Personen positiv getestet worden waren. Die Rundfahrt wurde abgebrochen, und die Teams mussten teilweise tagelang im Hotel in Quarantäne verbleiben, ehe sie in den Flieger Richtung Heimat durften. Die Ereignisse von damals waren nur ein Vorgeschmack auf das, was dann noch kam.
Buchmann hat die Vorjahres-Auflage der UAE Tour wegen einer anderen Sache in schlechter Erinnerung. Er hatte das Rennen wegen eines Sturzes auf der dritten Etappe vorzeitig abbrechen müssen. In den vergangenen Wochen absolvierte Buchmann auf Gran Canaria „einige harte Trainings", die Bedingungen auf der kanarischen Insel waren um ein Vielfaches besser als in seiner verschneiten österreichischen Wahlheimat. Die Motivation könnte bei Buchmann höher nicht sein, er wolle spätestens beim Giro „in Topform sein und mich quasi rehabilitieren nach dem herben Rückschlag bei der Tour im letzten Jahr".
Der Tour-Giro-Tausch hat einen weiteren Vorteil: Buchmann bliebe deutlich mehr Zeit, sich nach dem Ende der Italien-Rundfahrt für einen möglichen Start bei den Olympischen Sommerspielen vorzubereiten. Das Straßenrennen der Männer ist für den 24. Juli terminiert. „Tokio ist definitiv auf dem Schirm, da der Kurs eher für Kletterer sein wird", sagte Buchmann der „Schwäbischen Zeitung". Eine endgültige Entscheidung habe er aber noch nicht getroffen. Erst nach dem Giro wolle er „überlegen, wie es weitergehen kann". Er habe in jüngster Vergangenheit lernen müssen, „dass immer etwas dazwischenkommen kann". Klar ist aber, dass Frankreich sein Sehnsuchtsort bleibt: „Die Tour ist dennoch das größte Radrennen."
„Ich bin hungrig auf mehr"
Buchmann kann schon bei der UAE Tour austesten, wie weit er von den Topfahrern der Szene entfernt ist. Denn der slowenische Überflieger Pogacar, der bei der Tour 2020 die Radsportwelt aus den Angeln hob, will dort eine erste Duftmarke setzen – und Revanche nehmen. Im Vorjahr hatte sich der 22-Jährige mit einer Minute Rückstand dem Gesamtsieger Yates geschlagen geben müssen. Pogacar schlug in den Vereinigten Arabischen Emiraten bereits sein Trainingscamp auf, er schwärmte über die „exzellente Vorbereitung" und seine prächtige Frühform: „Ich fühle mich gut, ich bin motiviert. Nach dem Etappensieg im letzten Jahr bin ich hungrig auf mehr."
Etwas dagegen hat vor allem Chris Froome. Der viermalige Tour-Gewinner feiert sein Debüt als Kapitän beim israelischen Team Start-Up Nation. Froome ist hochmotiviert, nach seinem geräuschvollen Ende beim britischen Sky-Team und dessen Nachfolger Ineos will er es der Branche und ganz besonders seinem ehemaligen Arbeitgeber auf der Insel beweisen. „Es ist ein neues Projekt, ein neues Kapitel. Es fühlt sich wie eine Verjüngungskur an", sagte der 35-Jährige. Froome soll für den ambitionierten Rennstall, der zuletzt beim Giro und der Vuelta achtbare Ergebnisse erzielt hatte und in dem die deutschen Profis Rick Zabel und André Greipel unter Vertrag stehen, Gesamtsiege herausfahren. Möglichst schon bei der UAE Tour. Ob Froome nach seinem schweren Sturz im Sommer 2019 aber schon wieder mit der deutlich jüngeren Konkurrenz um Pogacar und Co. mithalten kann, wird sich zeigen.