Die Ergebniskrise von Union Berlin hält an, weil die Stürmer seit Wochen an Ladehemmung leiden. Auch deshalb wird die Rückkehr von Top-Scorer Max Kruse sehnlichst erwartet.
Auf dem Rasen wartet Union Berlin nun schon seit fünf Wochen auf einen Sieg, doch abseits davon ist den Eisernen jetzt ein Prestige-Erfolg geglückt. In der kürzlich vom Landessportbund Berlin veröffentlichten Mitgliederstatistik für das Jahr 2020 hat Union dem Stadtrivalen Hertha BSC erstmals den Rang abgelaufen. Die Köpenicker führen das Ranking mit 168 Mitgliedern mehr knapp vor der „Alten Dame" an. „Ich denke, dass das auch ein Signal ist, gerade in dieser Zeit, wo keine Menschen ins Stadion dürfen", sagte Manager Oliver Ruhnert, „dass die Menschen uns gut finden und als kleinen Farbtupfer in der Bundesliga unterstützen."
Auch sportlich ist Union derzeit die Nummer eins in Fußball-Berlin, der aktuelle Zwölf-Punkte-Vorsprung auf den selbsternannten Big City Club Hertha dürfte bis Saisonende reichen. Hätte Union derzeit keine Ergebniskrise, wäre die Kluft zwischen den beiden rivalisierenden Hauptstadtclubs sogar noch größer. Das 0:0 im Heimspiel gegen Schalke 04 war bereits das fünfte sieglose Spiel in Folge, bei einer Niederlage am kommenden Samstag (20. Februar, 15.30 Uhr) beim SC Freiburg würde sich Union wohl endgültig aus dem Europacup-Rennen verabschieden. Das internationale Geschäft war für die Club-Verantwortlichen öffentlich zwar nie ein Thema, doch natürlich wurmt es auch sie, dass Union langsam ins Tabellenmittelfeld durchgereicht wird. „Es war ja nichts Schlechtes", sagte Trainer Urs Fischer grinsend über die Nachfragen der Journalisten zu den Europacup-Aussichten, „aber ich musste mich immer wiederholen: Die Zielsetzung bleibt Ligaerhalt."
Union verzeichnet erstmals mehr Mitglieder als Hertha
Damit Union seine bisherige Überraschungssaison vielleicht doch noch mit Platz sechs krönt, müssen die Angreifer ihre Ladehemmung überwinden. Gegen Schalke hatte allein Taiwo Awoniyi zwei Großchancen kläglich vergeben, der Nigerianer wartet seit dem 14. Spieltag auf einen Treffer. „Das kennen wir doch von Stürmern, die haben solche Phasen", sagte Fischer. „Da muss man nicht in Panik verfallen, sondern cool bleiben." Er habe zahlreiche Übungen im Kopf, wie er Awoniyi, aber auch den ebenfalls glücklosen Joel Pohjanpalo im Training zu kleinen Erfolgserlebnissen verhelfen könne: „Da hilft es nur eins: dranbleiben und weiter üben, um den Ball über die Linie zu bekommen."
Fischer wehrte sich zudem gegen den Eindruck, Awoniyi fehle nach den vielen Spielen in dieser Saison die körperliche Frische. Ja, der 23-Jährige habe „noch nie so viele Spiele" am Stück absolviert, „das musst du auch erst verarbeiten". Aber das sei nicht der Hauptgrund für die aktuelle Torflaute. „Wenn er gegen Schalke trifft, hätte er ein Topspiel abgeliefert", meinte der Trainer. „Ich fand seine 80 Minuten wirklich erfrischend und nicht müde." Ohnehin seien Tore immer auch ein Gemeinschaftsprodukt der Mannschaft. „Nicht nur Taiwo hat gesündigt", betonte Fischer, „wir nehmen die gesamte Mannschaft in die Pflicht." Nur zwei Tore aus den letzten fünf Spielen sind eine klare Tendenz, die die Statistik aus dem Schalke-Spiel bestätigte: 19:6 Torschüsse. Die wenigsten davon gingen aber tatsächlich auf das Gehäuse von Schalke-Keeper Ralf Fährmann, was Fischer nachdenklich stimmte: „Man muss schon das Tor treffen, um überhaupt einen Treffer erzielen zu können." Ein Zauberrezept gegen das komplexe Problem gebe es aber nicht, so Fischer: „Im Moment fehlt uns von allem ein bisschen: Entschlossenheit, Leichtigkeit, Cleverness und – ich entschuldige mich für das Wort – Geilheit."
Einer, der all das verkörpert, ist Max Kruse. Der frühere Nationalspieler ist trotz eines wochenlangen Ausfalls wegen eines Muskelfaserrisses im Oberschenkel weiterhin Unions Top-Scorer. Seit ein paar Tagen absolviert Kruse wieder Teile des Mannschaftstrainings, schon gegen Schalke hatte er mit einem Kaderplatz „ein bisschen spekuliert". Ob es für das Auswärtsspiel in Freiburg reicht, war offen. Die jüngsten Untersuchungen beim MRT hätten positive Ergebnisse gebracht, „die Strukturen sind fast zusammen", teilte Kruse auf seinem Instagram-Account mit: „Noch nicht ganz leider, deswegen mussten wir noch ein bisschen von der Flüssigkeit rausziehen. Aber ich bin auf einem sehr guten Weg." Fischer bremste jedoch ein wenig die Euphorie. „Ich glaube schon, dass ihm ein komplettes Mannschaftstraining guttun würde", sagte der Schweizer, der nicht dafür bekannt ist, Profis, die gerade erst von einer schweren Verletzung zurückgekommen sind, schnell wieder aufzustellen. Wohlwissend, dass wohl alleine die Anwesenheit des abgezockten Instinkt-Fußballers auch bei den Mitspielern die Sinne schärfen würde – vor allem vor dem Tor. „Natürlich könnte das helfen", sagte Fischer, um diese Aussage dann doch wieder zu relativieren. Es schien, als wolle er keinen zu großen Druck auf Kruse aufbauen und den Star-Status des Stürmers nicht noch größer werden lassen. „Das alles an Max aufzuhängen, wäre falsch", sagte Fischer. „Dass es in den letzten drei, vier Spielen nicht so geklappt hat, hing nicht mit Max zusammen. Auch Max wird nicht jede Chance verwerten können." Und Kruse sei auch keine Garantie für eine neue Torflut bei Union: „Andere werden nicht auf einmal das Tor treffen, weil Max Kruse wieder auf dem Platz steht." Aber sie werden von ihm angetrieben werden, Kruse brenne auf sein Comeback, berichtete Fischer: „Max arbeitet gut, er versucht alles."
Fischer will keinen zu großen Druck auf Kruse aufbauen
Etwas mehr Engagement erhofft sich Fischer dagegen von Marius Bülter, das ist zwischen den Zeilen herauszuhören. Bülter, in der Premierensaison mit sieben Toren und beeindruckenden Tempoläufen noch Unions Shootingstar, spielt in der Rückrunde kaum noch eine Rolle. Zuletzt stand er zweimal in Folge sogar nicht mal im Kader. Bülter hatte zuletzt mit Verletzungsproblemen zu kämpfen, die dreiwöchige Zwangspause wegen einer Corona-Erkrankung brachte ihn auch aus dem Rhythmus. Zudem scheint im aktuellen Union-System mit zwei zentralen Stürmern kein Platz für den Flankenläufer.
Trotzdem ist es rätselhaft, warum Bülter mit seiner Qualität nicht wenigstens einen Platz auf der Bank findet. Über die genauen Gründe schweigt Fischer. „Dieses Gespräch führe ich mit Marius Bülter", sagte der Trainer. Dabei klang er, als sei er nicht damit einverstanden, was der Offensivspieler ihm derzeit im Training anbietet.
Insgesamt ist Fischer aber mit der Leistung im Training und Spiel zufrieden – trotz der Ergebniskrise. „Das ist für mich nichts Außergewöhnliches", betonte Fischer, sondern eine „Phase, die gilt es, zu überstehen und schnellstmöglich zu ändern". An Einsicht mangele es nicht: „Die Jungs sind selbstkritisch genug."