Was tun mit der Stadt der Zukunft? Von Seoul über Paris bis nach Hamburg machen sich Planer Gedanken darüber, wie Klimawandel und neue Mobilität das Gesicht des urbanen Raums verändern. Viele Städte, auch Saarbrücken, reagieren mit langfristigeren Konzepten. Doch nun kommt eine Pandemie dazu.
Die gilt als die ikonische Straße von Paris, als Prachtboulevard, Bühne für Paraden und Radrennen – und als Ärgernis für jeden Autofahrer: die Champs-Élysées. 3.000 Autos pro Stunde quälen sich an normalen Tagen über das Pflaster, gelegentlich im Stop-and-go, während links und rechts auf breiten Gehwegen Touristen flanieren, einen Café au Lait trinken, in den Läden und Boutiquen einkaufen. Eine Touristenfalle, die schon bessere Tage gesehen hat? 100.000 Besucher verzeichnet der Boulevard jeden Tag, 72 Prozent davon Touristen, hat ein französisches Stadtplanungsbüro berechnet. Die Einwohner der Stadt meiden diesen Ort im VIII. Arrondissement, wenn es geht. Anne Hidalgo, die seit 2014 das Amt der Bürgermeisterin von Paris innehat, hat nun anderes im Sinn. Seit 2015 ist die Champs-Élysées einmal im Monat autofreie Zone. Und Hidalgo geht noch einen Schritt weiter: Für 225 Millionen Euro soll der 70 Meter breite und fast zwei Kilometer lange Boulevard saniert werden und zum „außergewöhnlichen Garten" werden, wie die Bürgermeisterin es ausdrückt: mehr Fußwege, mehr Bäume und Gärten. Der Raum zum Autofahren wird um die Hälfte reduziert, das Kopfsteinpflaster durch einen hellen Belag ersetzt, der im Sommer für ein langsameres Aufheizen des Stadtgebietes sorgen soll. Der erste Bauabschnitt soll bereits 2024 fertiggestellt sein, wenn Frankreich die Olympischen Spiele ausrichtet. Der Trend geht weg vom Auto, vor allem im urbanen Raum. In Deutschland, dem Land der Autofahrer, ein besonders schwer zu vermittelnder Schritt. Erste zaghafte Versuche zeigen, dass es funktionieren könnte. Städte quer durchs Land experimentieren mit autofreien Straßen, meist auf Zeit, nicht wenige Probe-Sperrungen werden verlängert: Berlin, Köln, Bonn, Hamburg. In der Elbstadt soll der Jungfernstieg ab 2022 so umgebaut werden, dass sich dort nur noch Fußgänger, Radfahrer, Busse und, zwischen 21 und 11 Uhr, der Lieferverkehr bewegen können. In der bayerischen Landeshauptstadt München beschloss der Stadtrat 2019 die autofreie Altstadt. Dafür entfallen Kurzzeitparkplätze, andere werden teurer, Straßen werden für den Autoverkehr gesperrt, ein Altstadt-Radweg gebaut.
Schnelle und tiefgreifende Veränderung der Städte
Kleinere Städte sind da noch nicht so weit. In Trier wird das Projekt autofreie Römerbrücke auf unbestimmte Zeit verschoben. Zuerst sollen zu bauende Entlastungsstraßen den Verkehr aufnehmen, hieß es in der Stadtratssitzung, und man wolle niemanden bevormunden, welches Verkehrsmittel er zu bevorzugen habe.
Saarbrücken hat sich 2016 vorgenommen, den Verkehr bis 2030 anzupassen. Der Entwicklungsplan, der aus zahlreichen Einzelbausteinen besteht, zeigt sich bereits auf der Wilhelm-Heinrich-Brücke, im Luisenviertel, an der Ludwigskirche. Auffallend hoch ist der Anteil am Autoverkehr in der Landeshauptstadt: Über die Hälfte aller Wege werden mit dem Auto zurückgelegt. Trotz Saarbahn ist der Anteil des ÖPNV am Verkehrsgeschehen nicht gestiegen, der Anteil des Rad- und Fußverkehrs ist geringer als in vergleichbaren Städten. Der Verkehrsentwicklungsplan ÖPNV des Wirtschaftsministeriums sowie die finanzielle und planerische Offensive in Sachen Radverkehr beim Neu- und Umbau von Straßen sollen dies ändern, der Verkehrsentwicklungsplan 2030 der Stadt soll das Autoaufkommen verringern.
Doch nicht nur Klimawandel und neues Mobilitätsbewusstsein verändern die Innenstädte, auch die Pandemie. Das Coronavirus könnte dazu beitragen, dass sich Citys schneller und tiefgreifender verändern als geplant. Boomender Onlinehandel wirft die Frage auf, wie viele der Käufer wie oft noch ihren Fuß in eine Shoppingmeile setzen, wenn die Pandemie wieder abklingt. Hinausgezögerte Insolvenzen verschleiern die Zahl der Gastronomen und Einzelhändler, die trotz Überbrückungshilfen nicht mehr öffnen werden. Konsequenz für die Shopping-Monokultur in der Innenstadt: Leerstände. Wie können diese wieder aufgefüllt werden? Indem die typische Einkaufsmeile einem geplanten Mix aus Wohnen, Arbeiten, Freizeit und Einkaufen weicht. Eine „Stadt der kurzen Wege" – das Leitbild der Stadtplanung seit 30 Jahren. Und für kurze Wege braucht es keine vier Räder mehr.