Trotz Ausstieg aus der Atomenergie ist die Nuklear-Forschung noch nicht am Ende: In Südfrankreich entsteht unter deutscher Beteiligung der Fusionsreaktor ITER. Prof. Dr. Volker Naulin, Chef der Fusionswissenschaften im internationalen Forschungsverbund Eurofusion, dämpft jedoch die Hoffnung auf eine rasche kommerzielle Nutzung.
Herr Prof. Dr. Naulin, in Südfrankreich entsteht der Fusionsreaktor ITER. In vier Jahren soll dort durch die Verschmelzung zweier leichter Atomkerne zu einem schwereren Helium Energie erzeugt werden. ITER soll zunächst mit einer 500-Megawatt-Förderleistung an den Start gehen. Wie zuversichtlich sind Sie und Ihre Kollegen, dass dies gelingt?
ITER soll zeigen, dass wir technisch in der Lage sind, eine kleine Sonne auf Erden zu schaffen. Die große Herausforderung besteht für uns darin zu zeigen, dass wir mehr Energie aus dem Plasma rausholen können, als nötig ist, um es stabil und geheizt zu halten. Das Schöne an der Fusionsenergie ist, dass es eine konzentrierte Form der Energieerzeugung ist, sie nicht viel Fläche braucht und in das heutige bestehende Energiesystem passt. Wir wollen demonstrieren, dass wir Fusion auf der Erde im technischen Maßstab umsetzen können. ITER wird aber keinen Strom erzeugen. Ich bin ausgesprochen zuversichtlich, dass die 500 Megawatt Fusionsleistung von ITER erbracht werden wird.
Können Sie uns erklären, was in ITER genau geschieht und wie die Energie später ins Stromnetz eingespeist wird?
ITER ist im Prinzip das größte und das faszinierendste Projekt, das wir weltweit betreiben. Weil dort die Sonne in kleinem Maßstab nachgebaut wird, braucht man eine große Anlage. ITER ist 30 Meter hoch, so schwer wie der Eiffelturm, gebaut mit winzigen Toleranzen und an der Grenze dessen, was heute überhaupt technisch machbar ist. Überdies finden sich in der Anlage Systeme, die alle zum ersten Mal gebaut werden. Wenn überhaupt, ist ITER vergleichbar mit dem Apollo-Projekt. Nicht umsonst nennt man jene Unicorn-Projekte „Moonshot". Zugleich ist es das wichtigste Projekt für die Zukunft der Menschheit. Ich bin fest überzeugt, dass, wenn uns Fusionsenergie zur Verfügung steht, dies fundamental in unsere Wirtschaft und unser Leben eingreifen wird.
In ITER selbst wird ein relativ dünnes Gas, das Tritium und Deuterium enthalten wird, wie in einem Mikrowellen-Ofen erhitzt und in Magnetfeldern aufgehängt. Das ist heißer als das Zentrum der Sonne, wobei diese viel Masse für eine Fusion zur Verfügung hat. Auf der Erde bekommt man das so nicht hin. Deshalb fahren wir die Temperatur mit Mikrowellenstrahlung entsprechend so hoch, dass die Verschmelzungsreaktion in Gang kommt. Das zeigt auch den deutlichen Unterschied zur Kernenergie. Bei dieser befindet sich alles Material bereits im Reaktor und überspitzt formuliert muss man versuchen zu verhindern, dass das Ganze explodiert. Im Fusionsreaktor ist es genau umgekehrt: Man muss unheimlich viel dafür arbeiten, dass das Ganze Energie liefert. Sobald irgendeine der Bedingungen nicht mehr stimmt, hört der komplette
Prozess auf.
Gab es unter den Eindrücken der Fukushima-Katastrophe Erwägungen, das ITER-Projekt zu stoppen?
Nein, aber da ITER von den Regulatorien her als Nuklear-Anlage eingestuft wurde, musste man die gesamte Anlage auf federnde Elemente stellen, damit sie erdbebensicher ist – auch wenn sich im Süden Frankreichs wenig Erdbeben ereignen. Das war und ist ein Kostentreiber, denn man arbeitet momentan nach sehr strengen Sicherheitsregeln, die Kernkraftwerken auferlegt sind. Wenn Sie mich fragen, ob man das für Kernfusions-Anlagen wirklich braucht, sage ich offen Nein. Für die Fusions-Kraftwerke werden andere Regularien erlassen werden müssen.
Was sind die größten Hürden auf dem Weg zu einem ersten Strom erzeugenden Fusions-Kraftwerk?
Da gibt es natürlich noch technische Herausforderungen. Wenn man gezeigt hat, dass man Energie rausbekommt, da hört die Arbeit nicht auf, sondern fängt eigentlich erst an. Dann muss man zeigen, dass man das zu einem vernünftigen Preis kann, die Kraftwerke möglichst lange halten und 365 Tage im Jahr laufen können. Natürlich sollte sich eine Anlage kommerziell lohnen und nicht von staatlichen Subventionen abhängig sein.
Wann wird Fusion einen signifikanten Part im Energiemix einnehmen?
Spekulationen über die Zukunft sind immer schwierig, weil sie meistens nicht zutreffen. Deshalb würde ich mich dem enthalten wollen. Der Augenblick, in dem ITER bereit sein wird und zeigt, dass wir die grundlegende Technologie beherrschen, wird eine Zäsur einleiten. Wir werden dann davon reden, dass Geld von privaten Sponsoren reinkommt. Schon jetzt ist zu beobachten, dass Milliarden Euro in private Fusionsfirmen investiert wird. Das wird sogar zunehmen. Ich gehe davon aus, dass eine Anlage wie ITER nicht die weltweit einzige ist, die gebaut werden wird. Die Amerikaner wollen den Mini-Reaktor „Sparc" bauen, Großbritannien sucht bereits nach einem Standort für das erste englische Fusionskraftwerk STEP, und es gibt selbst in China private Firmen, die Fusion betreiben. Das heißt, wir reden hier von anderen finanziellen Mitteln, die zur Verfügung stehen und wesentlich schnelleren Zyklen in puncto Innovation. Laut der European Road Map soll das Demonstrations-Kraftwerk 2050 fertiggestellt sein. Aber ich denke, wenn ITER eine Energievervielfachung erreicht, wird die Situation ganz anders aussehen.
Wie ressourcenschonend und nachhaltig für kommende Generationen ist die Fusionsenergie?
Auch Windräder werden nicht gebaut, ohne dass man dafür Energie und Baustoffe verwendet. Bei den Ressourcen ist die entscheidende Frage, ob wir die Metalle, die Ausgangsmaterialien haben, um in der Zukunft Fusionskraftwerke zu bauen. Zum einen ist dies Beton, wobei für dessen Herstellung viel Kohlendioxid emittiert wird, sonst Metalle wie Wolfram. Unterm Strich sehe ich mit Blick auf die Materialien keine zu großen Herausforderungen.
Kritiker sagen, dass die Technologie angesichts des Ausbaus der erneuerbaren Energien zu spät kommt.
Wenn man sich den Weltenergieverbrauch ansieht, dann hat der Ausbau der erneuerbaren Energien noch nicht einmal dazu geführt, dass der Anstieg im Kohleverbrauch begrenzt worden ist. Wenn wir das Kohlendioxid-Problem lösen wollen, müssen wir die nächsten 50 Jahre täglich ein Megawatt CO2-freie Energieerzeugung in Betrieb nehmen. Das heißt beispielsweise in den nächsten 50 Jahren jeden Tag mindestens zwei der größten Offshore-Windkraftanlagen bauen. Mit anderen Worten: Wir haben noch nicht einmal ansatzweise das Energie-Problem gelöst. Erneuerbare Energien werden das Problem wahrscheinlich nicht alleine lösen können. Wir brauchen dringlich alles, was wir mobilisieren können. Wenn wir runterkommen wollen auf CO2-Emmissionen, die auf frühindustriellem Niveau liegen, dann müssen wir das ersetzen, was heute an Primärenergie verbraucht wird. Daher werden wir das Energie-Problem nur mit Fusionsenergie lösen können.
ITER wurde als einzigartiges Beispiel für internationale, friedliche Kooperation gelobt. Was muss aus Ihrer Sicht getan werden, damit ein solches Vorhaben im globalen Wettbewerb der Wirtschaftsmächte China, USA und Europa nicht unter die Räder kommt?
Natürlich ist ITER ein Friedensprojekt, das damals auf dem Gipfeltreffen in der isländischen Hauptstadt Reykjavík von Reagan und Gorbatschow auf den Weg gebracht wurde. Gleichzeitig stellt das Projekt aber auch eine Herausforderung insoweit dar, so viele Leute und unterschiedliche Interessen in Einklang zu bringen. Die Entscheidungsprozesse sind entsprechend lang und schwierig. In Wirklichkeit müsste man demjenigen, der das Projekt führt, also dem Direktor, das Geld an die Hand geben, damit er das Vorhaben umsetzen kann. Das hat das Projekt deutlich verzögert: die Auswahl des Standortes und das Fällen von Entscheidungen. Das ist ganz klar ein Kosten- und Zeittreiber. Die Kritik, die vor einigen Jahren an das ITER-Projekt gerichtet wurde, ist unter dem aktuellen Generaldirektor Bernard Bigot verstummt. Er hat das Vorhaben soweit flottbekommen, dass der Zeitpunkt für das erste Plasma nicht dauernd hinausgezögert wurde und wir mit ITER deutlich vorangekommen sind.