Oliver Glasner schien sich Ende November als Trainer in Wolfsburg ins Abseits gestellt zu haben. Er hatte sich – wie einige Kollegen zuvor – mit seinem Chef Jörg Schmadtke angelegt. Doch das Duo arbeitet weiter. Und der VfL marschiert Richtung Champions League.
Eigentlich, das hat Jörg Schmadtke kürzlich noch mal verraten, war ja Marco Rose im Sommer 2019 sein Wunschkandidat. Der damalige Trainer von Red Bull Salzburg habe ihm „persönlich ganz gut gefallen, auch mit seinem Team", erzählte der Sportchef des VfL Wolfsburg Mitte Januar bei einem Besuch im „Aktuellen Sportstudio". Er habe sich mit Rose getroffen, die Verhandlungen seien auf einem guten Weg gewesen. Auf die Frage, warum es dann nicht geklappt habe, sagte Schmadtke dann: „Weil die Gladbacher ihm ein Angebot gemacht haben."
Schmadtke musste sich also neu orientieren. Aber ihm war in Österreich noch ein weiterer Trainer aufgefallen: Oliver Glasner. Der war hinter Roses Salzburgern Vizemeister geworden, was ein unglaublicher Erfolg war. Denn Glasner hatte den Linzer ASK 2015 übernommen, 2017 zurück in die Bundesliga geführt, 2018 als Vierter direkt in die Europa-League-Qualifikation und 2019 dann eben zu Platz zwei und in die Champions-League-Qualifikation. Und dass Glasner auch ein Kämpfer ist, hatte er bereits als Spieler bewiesen. Im Juli 2011 hatte er sich in einem Kopfballduell einen Cut am Auge und eine leichte Gehirnerschütterung zugezogen. Trotzdem flog er mit seiner Mannschaft zum Europacup-Spiel bei Bröndby Kopenhagen. Das Abschlusstraining musste er wegen starker Kopfschmerzen abbrechen. Die Ärzte stellten eine Blutung zwischen Gehirn und harter Hirnhaut fest. In einer Not-Operation retteten sie sein Leben. Seine Karriere musste Glasner aber beenden und startete alsbald seine erfolgreiche Trainer-Karriere.
Schmadtke reibt sich gerne an den Trainern
Die begann auch in Wolfsburg durchaus gut. Zwar stand am Ende mit Rang sieben eine um einen Rang schlechtere Platzierung als im Vorjahr und der VfL hatte auch sechs Punkte weniger geholt, dennoch war man mit Glasners Arbeit zufrieden. Erste Fragen kamen aber auf, als der VfL in der beschwerlichen Quali die Teilnahme an der Europa League verpasste. Nach zwei Runden bei FC Kukesi in Finnland (4:0) und gegen Desna Tschernihiw aus der Ukraine (2:0) schieden die Wolfsburger durch ein 1:2 bei AEK Athen aus. Nun war der Modus schwierig, es gab kein Hin- und Rückspiel, sondern nur eine Partie, und die fand auswärts statt. Doch zum einen waren die Wolfsburger klarer Favorit gewesen, zum anderen waren sie durch Unreife gescheitert. Sie hatten kurz vor Schluss beim Stand von 1:1 auf die Entscheidung in der regulären Spielzeit gedrängt und waren in einen Konter gelaufen. Und so fand die Gruppenphase der Europa League ohne den VfL statt. Das Saisonziel war nachträglich quasi verpasst.
Und im November schien Glasner in Wolfsburg dann endgültig vor dem Ende. Der Grund: Ein öffentlich ausgefochtener Disput mit Schmadtke und der sportlichen Leitung. „Eines unserer Transferziele war es, einen Spieler mit Tempo und Tiefgang zu holen. Das haben wir halt nicht geschafft", hatte der Trainer in einem Live-Interview im Fernsehen gesagt. Und als er danach gefragt wurde, ruderte er nicht zurück, sondern konkretisierte seine Aussage auch noch: „Wir haben unser Transferziel in der Offensive nicht erreicht. Das ist schade, denn darüber haben wir uns monatelang unterhalten." Schmadtke fand diese Aussagen „nicht gut" und „den Zeitpunkt unglücklich". Inhaltlich sagte er: „Die Vorstellungen, die von ihm kamen, waren nicht realisierbar. Das ist ja nicht Phantasialand hier. Man kann nicht Dinge haben wollen, die unrealistisch sind."
Da schien ein Band zerschnitten. Das Fachblatt „Kicker" kam nach Gesprächen mit Glasner und Schmadtke zu dem Schluss, dass eine Trennung von dem Trainer in der kurz darauf folgenden Länderspielpause „fast schon unumgänglich" sei. Dieser habe „einen Konfliktherd öffentlich gemacht, der ihn über kurz oder lang den Job kosten wird". Dies liege auch daran, dass sich „die Unzufriedenheit über das Vorgehen des Fußballlehrers nicht nur in öffentlich diskutierten Transferangelegenheiten schon seit längerer Zeit durch den Club zieht und auch durch die Mannschaft, in der die Fürsprecher des Trainers in den vergangenen Wochen und Monaten weniger wurden."
„Werde nicht für Harmoniesucht bezahlt"
Das klang in der Tat nicht gut. Doch am Ende war es Glasners Glück, dass Schmadtke anders ist als die anderen seiner Zunft. Ja, wahrscheinlich wurde genau das sein Glück – und auch das des VfL – was man Schmadtke öffentlich oft vorwarf. Der kauzige und manchmal etwas schroffe Manager hatte sich in seiner Karriere nämlich schon des Öfteren mit seinen Trainern überworfen. Was für andere aber als Entzug jeder Arbeitsgrundlage galt, war es für Schmadtke nicht. Als Geschäftsführer werde er nicht für Harmoniesucht bezahlt. „Es geht darum, die beste Option für den Club rauszuholen. Da muss man auch schon mal unangenehm sein, auch zu sich selbst."
In Hannover soll er sich mit Trainer Mirko Slomka am Ende nur noch per Mail austauscht haben. „Es ist Fakt, dass Mirko und ich nicht zusammen ein Wohnmobil mieten, durch Kanada fahren und Grizzlies jagen – das weiß jeder", sagte Schmadtke damals. In einem Interview mit „11 Freunde" erzählte er schließlich: „Die Situation eskalierte nachdem wir uns vor dem Abstieg gerettet hatten. Es war relativ klar, dass er bei einem Abstieg nicht in Hannover bleiben würde. Ich hatte schon ohne sein Wissen zwei Spieler geholt: Lars Stindl und Moritz Stoppelkamp. Als es dann doch weiterging, fühlte er sich hintergangen und sagte: Was soll ich mit Zweitligaspielern? Ab da wurde die Zusammenarbeit schwierig." Stindl wurde später übrigens Nationalspieler. Und Hannover erlebte mit zwei Europa-League-Qualifikationen eine nie für möglich gehaltene erfolgreiche Phase.
Das Verhältnis besserte sich aber nicht, Hannover-Präsident Martin Kind entschied sich quasi für Slomka. Für nahezu jeden Hannover-Fan eine fatale Fehlentscheidung, die sich in der späteren Entwicklung des Vereins rächte.
Erinnerungen an die Meister-Saison 2009
In Köln arbeitete Schmadtke lange mit Peter Stöger sehr gut zusammen. Doch im Sommer nach der Europa-League-Qualifikation zerbrach das Verhältnis. Diesmal ging Schmadtke freiwillig. Und auch mit Bruno Labbadia in der ersten Wolfsburg-Phase passte es gar nicht. Er werde mit ihm „keine Kochrezepte austauschen oder einen gemeinsamen Urlaub planen", sagte Schmadtke damals der „Bild". Das sei nicht schlimm, aber „manchmal stimmt die Chemie einfach nicht." Mehr habe sich „einfach nicht entwickelt". Dennoch hätte Schmadtke wohl mit Labbadia weitergearbeitet, aber der warf schließlich hin. Doch entscheidend war: Obwohl die beiden Protagonisten sich nicht mochten, war die zuvor zweimal nur in der Relegation vor dem Abstieg gerettete Mannschaft überaus erfolgreich.
So etwas geht also, das hat Schmadtke nun mehrfach erfahren. Und so blieb er sich selbst und seinem Kurs treu. Er maßregelte Glasner für die seiner Meinung nach unangebrachte Kritik – und arbeitete erfolgreich mit ihm weiter. Und wie erfolgreich. Ende Februar belegte der VfL Rang drei, war damit klar auf Champions-League-Kurs und vor allem das wohl stabilste Team der Liga. Er hatte keine markanten Schwächen und auch keine hervorstechenden Schwächephasen. Die Wolfsburger kassierten die zweitwenigsten Tore und die wenigsten Niederlagen – bei den Bayern (1:2) und in Dortmund (0:2). Von Mitte Januar bis Ende Februar gewannen die Niedersachsen fünf von sechs Spielen mit einer Torbilanz von 11:0. Das erinnert manchen Fan sogar schon an die Meister-Saison 2009.
Und wie sieht es aus zwischen Glasner und Schmadtke? Im „Sportstudio" antwortete Schmadtke auf die Frage, ob er denn mit seinem aktuellen Trainer Grizzlies jagen gehen oder Kochrezepte austauschen würde, mit einem Schmunzeln und einem klaren Ja. Aber das muss ja gar nicht sein.
Bei „Sport1" erklärte der Sportchef dieser Tage, ihm gehe „die Diskussion auf den Sack, dass ich nach 20 Jahren Managertätigkeit mit Trainern diskutiere oder mit denen nicht freundschaftlich verbunden bin." Und er stellte noch mal klar: „Es ist besser, wenn man freundschaftlich verbunden ist, aber man muss es nicht sein. Es ist keine logische Gleichung zu sagen, dass bei Harmonie zwischen Trainer und Management Erfolg da ist. Umgekehrt heißt Disharmonie nicht gleich kein Erfolg. Es geht um sachliche Themen." Sein Erfolg gibt ihm Recht.